Midnight Whispers

By TwoBrainArmy

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Auf der Flucht vor einer geheimen Forschungseinrichtung trifft Lillith, eine verschlossene High-Class Assassi... More

Sternenhimmel
Easy
Den Sternen so nah
Konsequenzen
Bestimmung
Erinnerung
Aufbruch nach Europa
Veränderung
Scherbenregen
Entscheidungen
Schnitzeljagd
Vom Jäger zur Gejagten
Royal Pains
Von schlechter Laune und Befehlen
Nachts in Prag [Zwischensequenz]
Ab ins Spatzennest
Nachts in Amsterdam [Zwischensequenz]
Teepause
Nachts in London [Zwischensequenz]
Nachts in Paris [Zwischensequenz]

Fliegende Klingen

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By TwoBrainArmy

Dieses Weib würde ihn noch Kopf und Kragen kosten! Genervt fuhr Keiran sich mit beiden Händen übers Gesicht und lehnte sich an die Tür zum Reich von Altheia. Er kannte sie nicht und dennoch schien sie ihn zu kennen. Egal wie gut sie ihn kannte, dank ihrem Heiler Geschwafel hatte er eine Gefangene, welche nicht im Kerker verrottete, sondern im Hotel Oma Altheia bequem und liebevoll hauste. Das alte Glühwürmchen war viel zu nett zu dem kleinen hitzigen Teufel.

Frauen. Nichts als Ärger. Er dachte zurück an weiße sinnliche Schwingen und dieses Lächeln, welches ihm damals die süßesten Träume versprach. Izara. Bei den Göttern war sie schön gewesen! Wie teuflisch hatte er sich doch die Finger an ihr verbrannt. Frauen waren komplizierte, falsche Schlangen. Er hoffte, dass Cassian nicht auf ihre verführenden Versprechen hereinfallen würde. Hoffte seinem Bruder gehe es gut. Er würde seinem Bruder einen Brief verfassen, so viel war sicher, doch vorher müsste er dieses Chaos überleben.

Die Gedanken an die sinnliche Engelsdame und seinen Bruder verblassten während er ins Leere schaute und tief durchatmete. Doch seine Gedanken wollte ihm keine Ruhe gewähren.

Zwei unnatürlich rote Augen schwirrten in seinen Gedanken herum und Keiran seufzte erneut. Er bekam sie nicht aus dem Kopf. Geschweige denn davon, dass er überhaupt irgendetwas über den kleinen Feuerteufel verstand. Nichtmal die Sterne wussten ihren Namen!

Wieder zog sich Keiran die Hände durchs Gesicht und blieb etwas an seinen unteren Augenlidern hängen. Genervt knurrte er in den leeren Flur. Dieser erste Auftrag würde ihn noch wahnsinnig machen. Er wollte endlich raus hier. Kein Wächter sein. Keine Verpflichtungen. Nur der Himmel und er. Endlose Nächte und unendliche Freiheit. Frustriert öffnete und schloss er seine Fäuste. Er wollte am liebsten zurück in die Engelsstadt, Cassian schnappen und verschwinden. Er hatte es satt keine wirkliche Freiheit genießen zu dürfen. Hatte es satt, dass sein Leben von früh an bereits für ihn entschieden wurde. Nichtmal sein eigenes schlechtes Benehmen hatte Akira davon abschrecken können ihn zu wählen. Frei sein. Das wollte er. Der Nachthimmel schrie förmlich nach ihm. 

Aber den Himmel würde er lange nicht besuchen können, wenn Ajax herausfand, dass eine gewisse Zelle im Kerker leer war. Ajax würde ihm Feder für Feder seine Flügel ausreißen. Am liebsten würde er zurück in den Saal stürmen, die junge Frau über die Schulter schmeißen und sie dann im Kerker abladen. Andererseits war die junge Frau brav dort geblieben wo er sie hinterlassen hatte. War das nicht eigentlich sowieso egal, wo sie den kleinen Vulkan verstauten, solange er nicht ausbrach? 

Vulkan. So ein passendes Wort für die mysteriöse Frau. Ihre Augen wie Glut, ihre Haare wie Blut. Einerseits war sie furchteinlösend und andererseits war sie... Nun, das wusste er selbst nicht so ganz genau. Irgendetwas faszinierendes. Die Gefahr reizte ihn. Lockte ihn an. Machte ihn neugierig was genau sie - nein, wer genau sie war. Seine Neugier juckte danach des Rätsels Lösung zu finden. Wieso war sie so kratzbürstig? Wo hatte sie gelernt so zu kämpfen? Was genau war sie? Sie hatte keine Flügel, aber Fähigkeiten. Eine Art Halbengel, aber das war eben der springende Punkt - sie war kein wirkliches Mischblut. Irgendetwas an ihr war anders. 

Keiran schüttelte seinen Kopf im Versuch die endlosen Gedanken zum Schweigen zu bringen. Es war zu laut in seinem Kopf und er sehnte sich nach etwas Stille. Etwas Frieden in diesem ganzen Chaos der letzten Tage wäre ganz nett. Er war noch nichtmal zwei Wochen hier und schon hatte er die Nase gestrichen voll. Nicht das er überhaupt mit Freude je hergekommen wäre, aber das war irrelevant. Fakt war, dass seine Motivation weniger vorhanden war als der kleine Vulkan im Kerker. 

Keiran schmunzelte. Kleiner Vulkan. Ja, für die weitere Zeit würde er sie so nennen. Ein kleiner Spitzname für den kleinen Feuerteufel mit den roten Haaren und den glühenden Augen. Etwas selbstzufriedener stoß er sich von der Wand ab und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. 

In seinem Zimmer angekommen, ging er geradewegs zum Balkon. Der große Balkon verband sein Zimmer mit dem Nachbarzimmer, doch wer auch immer dort wohnte, war nie da. Somit konnte er die Ruhe genießen. Er streckte sein Gesicht dem Himmel entgegen, schloss seine Augen und atmete tief ein. Die nächtliche Brise über seine Wangen streifend wie die sinnliche Berührung eines Liebhabers. Er öffnete seine dunklen Schwingen und breitete sie aus. Lies die Federn sich strecken und im nächtlichen Mondlicht funkeln. Die Sterne am Himmel schienen ihn zu rufen. Der Mond auf ihn hinabschauend wie eine liebevolle Mutter. Komm nach Haus schien sie mit ausgestreckten Armen zu flüstern. 

Keiran öffnete seine blauen Augen und sprang.

Höher. Im höher trugen ihn seine Flügel. Immer näher zu seinem Herzen. Hier war er zuhause. Der endlose Nachthimmel. Die kühle Brise. Die lachenden Sterne. Unter ihm funkelte Akiras Spiegelpalast und brach das feine Sternenlicht. In diesem Licht war der Palast wunderschön. Ein Spiegelbild des nächtlichen Himmels.

~*~*~*~ 

Am nächsten Morgen lief er los Richtung Trainingsraum. Trotz seines Ausfluges letzte Nacht, war er nervös. Er wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war den kleinen Vulkan zu Altheia zu bringen, anstatt sie im Kerker kläglich verenden zu lassen, doch das Risiko, welches er damit eingegangen war, lastete auf ihm. Die Nervosität Schwierigkeiten mit Ajax zu bekommen genährt von der Angst seine Flügel ausgerissen zu bekommen. Er wusste die Rechte Hand des Erzengels machte keine leeren Versprechen und war in der einen oder anderen Legende durchaus als brutal und gnadenlos dargestellt worden. 

Als er um die Ecke zum Trainingsraum bog, hörte er bereits wie Klingen aufeinander trafen und Vorfreude machte sich in ihm breit. Seine Finger sehnten sich bereits danach sich um die kühlen Griffe der Dolche zu schließen. Vielleicht würde er seine Unruhe und Nervosität mit dem Training etwas vergessen können. Zumindest bis er sich einen Plan ausdenken konnte wie genau er mit der Situation fortfahren sollte.

Als er in dem großen Raum kam, blieb er zunächst in der Tür stehen. Der Raum war riesig mit hohen Decken und gefüllt mit allem was sein kämpferisches Herz begehrte. Es gab Wurfmesser, Schwerter, Bogen und Pfeile, Boxsäcke, von der Decke hängende Seile, Gewichte und vieles mehr. Die Wand gegenüber der Tür war komplett aus Glass und ermöglichte den Blick auf ein äußeres Trainingsgelände. Überall im Raum verteilt trainierten Wächter und Elite Krieger, die gerade nicht im Dienst waren. In der Mitte des riesigen Raumes war eine Fläche frei gelassen. Aus gutem Grund. Das Gedicht aus aufeinander treffenden Klingen erklang durch den Raum. Ein Wirbel aus weißen und anthrazitfarbenen Flügeln. 

Keiran began zu grinsen. Er kannte diese Flügel mittlerweile nur zu gut. Er ging näher heran um das Schauspiel besser verfolgen zu können.

Cineris wollte gerade mit einem Dolch zustechen, da tanzte Jasper ihr elegant aus dem Weg. Sie machte eine blitzschnelle leichtfüßige Bewegung und stach zu, doch wo ihr Dolch hätte Jasper austricksen und in seiner Wade landen müssen, war nun nur leere Luft. Wie aus dem Nichts tauchte er hinter Cineris wieder auf und gab ihr einen Schubs. Die Generälin taumelte kurz, fing sich wieder, drehte sich um, schmiss die Dolche zu Boden und griff nach Jasper's Kehle, welcher einen verdutzten Laut von sich gab. Ihre Hände verwandelten sich in große Raubkatzen Pranken mit schwarzem Fell und spitzen Krallen. Jasper konnte gar nicht schnell genug reagieren, stolperte und schon stieß sie ihn zu Boden. 

"Gewonnen", grinste Cineris süffisant und hielt den Engel am Hals fest in ihren Pranken auf die Matte gepresst. "Ich hasse Katzen." Jasper klopfte einmal auf die Matte um das Ende des Kampfes zu signalisieren und sie sprang auf. "Ach sei nicht so, du hast es gerne, wenn sie für dich schnurren." Sie warf ihm ein vielsagendes Grinsen zu und Jasper verschluckte sich beinahe an seiner eigenen Zunge.

Keiran begann zu lachen, schnappte sich zwei Dolche vom Waffenständer und stellte sich Cineris gegenüber. "Lust zu tanzen?" Er warf den Dolch kunstvoll in die Luft und fing ihn wieder auf, bevor er Cineris ein schiefes Grinsen zuwarf. Sie ließ ihren Nacken kurz nach rechts, dann nach links, knacken, rollte ihre Schultern und stellte sich kampfbereit. "Warum nicht. Lass mal sehen was du drauf hast, Küken." 

Kaum hatte sie es ausgesprochen und Jasper sich am Rand der Matte auf den Boden des gezeichneten Ringes gestellt, sprang sie ihm bereits entgegen. Ihre zwei Dolche waren verflixt schnell, doch Keiran parierte sie mit seinen eigenen. Ihre anthrazitfarbenen Flügel breiteten sich hinter ihr aus. Ein imposantes Raubtier aus Stahl. Immer wieder wenn Keiran dachte er könnte sie nun erwischen, schoss ein Dolch ihm in den Weg. Er kam nicht ein einziges Mal durch ihre Abwehr. Sie war schnell und präzise. Nichts entging ihr.

Mit steigender Frustration, erhöhte Keiran die Kraft, die er in seine Klingen gab. Ließ sie auf ihre Klingen schmettern, sodass die Vibrationen des Zusammenstoßes durch seine Knochen widerhallten, doch er kriegte es nicht hin. Ihre anthrazitfarbenen Augen mit orangen Splittern blitzten amüsiert auf während sie lachte. Sie spielte mit ihm wie eine Katze mit ihrer Maus. In dem Moment verstand Keiran, warum der ihm gegenüberstehende Engel mit den beinahe bodenlangen orangefarbenen Haaren die Generälin von Akira's Legionen war. Warum sie in der Rangliste hier direkt nach Ajax folgte. Es war als würde Kampf und Krieg durch ihre Adern fließen. Als wären die Klingen ein Teil von ihr. Sie war mehr ein Raubtier als ein Engel. Ihre Hiebe präzise und tödlich. Ihr Klingentanz unermüdlich. 

"Sehe ich da etwa ein paar Schweißperlen?", versuchte sie ihn aufzuziehen, doch Keiran blieb konzentriert. Eine Sekunde Unaufmerksamkeit und er würde sich genau wie Jasper auf seinem Hintern wiederfinden. Sie schien seine Gedanken zu erraten und nickte zustimmend wie ein Lehrer zu seinem Schüler. "Gut so." 

"DEVELARIS!", schallte plötzlich eine wutentbrannte Stimme durch den Raum und alles verstummte. Sekundenschnell stand Cineris still und hob eine Augenbraue in Keiran's Richtung.

Giftgrün leuchtende Augen fanden ihn blitzschnell und ließen ihn nicht mehr los, als ihr Besitzer Keiran zügig entgegen schritt. Von dem Engel ging eine erdrückende Bedrohlichkeit aus. Aus dem Augenwinkel merkte Keiran wie Jasper und Cineris sich jeweils etwas weiter von Keiran entfernten. Na super Unterstützung, die zwei. Das Ganze konnte nichts Gutes verheißen. Keiran schluckte kurz und setzte ein unbekümmertes Lächeln auf. "Ajax, mein Guter -", fing er an, doch da schoss ihm bereits wie aus dem Nichts auftauchend, blitzschnell ein kleines Wurfmesser entgegen. Keiran konnte vor Schock gar nicht schnell genug ausweichen. Das Messer verfehlte zwar seine Brust, doch er spürte kaum eine Sekunde später wie das Metall durch seinen linken Flügel schnitt und etwas warmes sich auf seinem Flügel ausbreitete. Er biss die Zähne zusammen, riss das Messer aus dem Flügel und stellte sich Ajax wütend die Zähne fletschend entgegen. Ein eiskalter Luftzug flog durch den Raum. 

"Wag es gar nicht erst", zischte Cineris leise warnend Keiran zu und behielt die beiden sich gegenüberstehenden Männer genauestens im Blick, während sie ihre Dolche fest in ihren Händen behielt. 

Ajax brauchte nur drei Wörter sagen um Keiran förmlich den Boden unter den Füßen zu entreißen:
"Wo. Ist. Sie." 

Keiran hatte schon gedacht die Legenden über den Schlangenkrieger wären alle nur übertrieben. Das die giftige Rechte Hand des Europäischen Erzengels gar nicht so furchteinflößend war wie er in den Geschichten dargestellt wurde, doch nun stand genau dieser Krieger vor ihm. Seine Stimme bedrohlicher denn eh und je. In diesen drei Worten, war nicht nur die Frage nach dem Aufenthaltsort der jungen Frau, sondern auch ein Versprechen. Das Versprechen, dass er seine Drohung, sollte Keiran versagen, durchaus ernst gemeint hatte. 

Feder für Feder. 

Frauen. Nichts als Ärger. Er wusste, dass es keine gute Idee war die junge Frau in den Krankentrakt zu bringen. Er hätte sie einfach in den Kerker werfen sollen. Hätte keinen zweiten Gedanken an ihr verletztes Bein verschwenden sollen. Nun würde er dafür büßen. War der kleine Vulkan es wert seine Federn gerupft zu bekommen? Nein. Definitiv nicht.

Nun ging es darum ruhig zu bleiben. Einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Irgendwie musste er die Situation in den Griff kriegen. Er kniff seine Flügel schützend hinter sich zusammen. Ein stechender Schmerz raste durch seinen verletzten linken Flügel. Was für ein Fiesling. Das wäre nicht nötig gewesen.

"Unser kleines Fünkchen macht gerade einen Kurzurlaub auf den Malediven. Sie lässt ganz herzliche Grüße ausrichten", presste er hervor, grinste und versuchte ruhig zu bleiben. Eine Ader an Ajax Hals pulsierte und sein linkes Auge begann frustriert zu zucken. Ajax war wohl nicht einfach nur sauer. Oh nein, er war so richtig sauer sauer. Keiran wollte gerade noch etwas sagen, da japste er schon kurz nach Luft als sich ein ganz anderes Gewicht in der Luft breit machte. 

Oh nein. Bitte nicht. Eins musste man Akira lassen, sie hatte ein fürchterliches Gespür für das richtige Timing. Direkt wurde der Gesichtsausdruck von Ajax neutral wie ein Stein und er drehte sich um zur Tür. Paar Sekunden später trat der Erzengel selbst hindurch. 

Keiran bemühte sich seinem Atem so ruhig wie möglich zu halten, doch die Schwere ihrer Präsenz war wie eine tonnenschwere Last in der Luft. Ihre Macht zu groß selbst für die Engel in ihrer Nähe. 

Ihm fiel auf, dass viele der jüngeren Wachen anscheinend ebenfalls die Präsenz des Erzengels so extrem in der Luft spürten, doch er selbst spürte es durch seine luftige Gabe doch wiederum anders als sie. Es war als würde die Luft selbst einen Hauch von Angst haben. Die Kraft, die von Akira ausging, beinahe hypnotisierend. Die anwesenden Wächter und Krieger verfielen in eine tiefe Verbeugung, bevor sie sich wieder aufrichteten und still schweigend auf Akira's Worte warteten. 

Der Erzengel ließ einen Blick beinahe gelangweilt durch den Raum schweifen. Es war kein Lächeln auf ihrem Gesicht. Kein Zucken einer Wimper. Sie schien wie eine surreale Porzellanpuppe aus einem angsteinflößendem Albtraum. Ihre Spiegelsplitter Flügel reflektierten die durch die Fenster hineinfallenden Lichtstrahlen. Keiran verlagerte unruhig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Ihre Stille war unheimlich und machte ihn furchtbar nervös. Es war noch viel schlimmer als wenn sie etwas sagte. 

Endlich blieb der Blick des Erzengels an Ajax haften. Eine melodische, leise Stimme erhob sich, welche jedoch mit jedem Ton eine unanfechtbare Autorität ausstrahlte.
"Bring die Gefangene her. Ich will sehen was sie kann." Ihr Befehl war kurz und knapp. Ajax nickte und schluckte kaum merklich.
"Keiran wird sie für Euch holen." Er warf Keiran einen wütenden Blick zu. Dieser machte nur große Augen und zeigte mit einem Finger auf sich. "Warum ich?", flüsterte er Ajax zu, doch dieser bekam wieder sein angestrengtes Zucken im Auge als würde er sich gerade unglaublich stark zusammenreißen müssen ihm nicht die Kehle auszureißen. 

Schnell grinste Keiran frech und warf Ajax einen kleinen Luftkuss zu, bevor er sich Akira zuwandte, welche still wie eine Statue in der Tür wartete. Aus dem Augenwinkel sah er wie Ajax seine Augen schloss und angestrengt durch die Nase ausatmete, während Cineris ein kleines leises Kichern entwich. Akira legte ihren Kopf schief und betrachtete die drei Engel schweigend. Wieder hatte die Geste etwas raubtierhaftes und unnatürliches an sich. Als wäre sie ein übernatürliches Wesen gefangen in einer zu kleinen Hülle. Sie trat beiseite und nickte Keiran kaum merklich zu. 

Zügigen Schrittes und den Blick konzentriert auf den Boden geheftet, huschte Keiran an ihr vorbei in den Flur und machte sich zügig auf den Weg zum Krankentrakt. 

~*~*~*~

"Auf gar keinen Fall!" Die alte Heilerin plusterte ihre Federn auf und stemmte ihre Fäuste in die Hüfte.
"Sie hat noch Bettruhe!" Nervös verlagerte Keiran wieder sein Gewicht von rechts nach links, von links nach rechts. Er konnte Altheia nicht einfach sagen, warum exakt er die junge Frau mit den roten Augen mitnehmen musste. Nicht wenn besagte Augen ihn gerade beobachteten wie ein Adler auf der Jagd. Ein falsches Wort und das Biest würde wieder versuchen abzuhauen. Er musste sie irgendwie normal, vorzugsweise nicht hinter sich her schleifend, schnellstmöglich zum Trainingsraum bringen. Akira fragte sich sicherlich bereits warum er so lange brauchte.

Nach kurzer Überlegung hatte Keiran eine Idee.
"Ajax sagt sie soll sich bewegen. Alle denken sie ist im Kerker. Sie soll im Trainingsraum sich die Beine vertreten. Damit es nicht auffällt, dass ich Madame hier hin gebracht habe, wäre es nun sehr freundlich, wenn der kleine Vulkan seine werte Wenigkeit nun brav zum Trainingsraum begeben würde." Um das ganze zu unterstreichen zeigte er zunächst auf die junge Dame und dann auf die Tür. 

Altheia warf ihre Hände aufgebracht hoch über ihren Kopf.
"Ihr barbarischen Krieger und eure beschränkten Verstände." Sie drehte sich um zur jungen Frau und Keiran bemerkte wie ein beinahe liebevoller Blick ihr Gesicht von wütend zu gutmütig verwandelte. Mochte sie etwa den kleinen Vulkan? Beim heiligen Nordstern, waren nun alle vollkommen irre? 

Abwartend schaute er zur jungen Frau, welche sich zögernd vom Bett erhob. Altheia ließ einen professionellen Blick über sie schweifen.
"Ich will sie spätestens morgen zur Kontrolle wieder hier haben", sagte sie, nickte der Frau ermunternd zu und ging dann zurück zu ihren Kräutern. Keiran atmete erleichtert aus, bemerkte jedoch, dass die Frau noch wie angewurzelt da stand.
"Wird das heute noch was oder muss ich erst eine Leine holen und fröhlich 'Komm wir gehen Gassi' schreien? Vielleicht noch ein Leckerchen?" Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Ein kurzes Innehalten während eines Schrittes war die einzige Reaktion die er bekam, bevor sie schweigend weiter ging und dann ohne Kommentar an ihm vorbei durch die Tür. Es war ihm egal. Hauptsache sie würde nun mitkommen und vielleicht würde Ajax dann kein Kissen mehr aus ihm machen.

Kopfschüttelnd holte er sie ein und überlegte ob er vielleicht ihre Hände fesseln sollte. Er hielt seine Kraft bereit, falls sie etwas versuchen sollte. Doch es war bereits zu spät. Ihr waren ihre freien Hände nicht entgangen. Ihre Mundwinkel hoben sich kaum merklich an. Ihr wachsamer Blick bereits einen Plan schmiedend.

"Wage es gar nicht erst", zischte er warnend und konnte nicht anders als seine Flügel kurz zu schütteln. Mittlerweile war die Stichwunde zwar nicht mehr am bluten und sie würde bald heilen, doch für jetzt war sie eine unangenehme Erinnerung, dass Ajax alles andere als amüsiert war. Ein nervöser Knoten bildete sich in seinem Magen. Seufzend ergänzte er: "Bitte mache heute einfach keinen Ärger." 

Als er mit ihr im Trainingsraum ankam, war der Raum leer, obwohl er noch immer die erdrückende Präsenz des Erzengels bis in seine Knochen spüren und sie dennoch nicht sehen konnte. Die junge rothaarige Frau neben ihm schien die Präsenz nicht aufzufallen. Ihr kalkulierender Blick schweifte bereits über die diversen Waffen.

Da der Raum leer war und Akira sie kämpfen sehen wollte, würde ein bisschen Aufwärmen nicht schaden. Er räusperte sich zögernd und führte Lillith zu den Wurfmessern. Irgendwie erschien dies als risikogeringste Variante um das Können der Frau zur Schau zu stellen. Sie konnte kämpfen. Er hatte sie in Prag gegen Jasper gesehen. Ihre Bewegungen trotz der Verletzung im Bein präzise und konzentriert. 

Keiran rollte seine Schultern nach hinten.
"Lauf rum oder hüpf etwas oder was auch immer du tun möchtest, aber bleib in diesem Raum", gab er ihr als Anweisung. Akira und Ajax würden sicherlich bald zurückkehren.

Die junge Frau ging weiter in den Raum hinein. Jeder Schritt vorsichtig und bedacht, als würde sie gleich jemand attackieren wollen, jedoch gleichzeitig überlegen wie ihr geheiltes Bein das wohl finden würde. Sie blieb in der Mitte stehen und schaute sich um. Mehr nicht. Sie blieb dort in der Nähe der Messer stehen und regte keinen weiteren Muskel.

Keiran schlenderte zu ihr hinüber, nahm ein Wurfmesser in die Hand und wandte sich der Frau zu.
"Weißt du was das ist?", fragte er sie grinsend. Sichtlich entnervt, verschränkte sie ihre Arme und starrte ihn an. Er hielt ihr das Messer hin und zeigte auf drei Figuren. Die Puppen waren für Trainingszwecke aufgestellt worden und würden ihr gute Zielobjekte bieten. Naja, zumindest die vorderste Puppe. Die zweite war etwas weit weg und die dritte definitiv zu weit weg um einen erfolgreichen Wurf eines Halbblutes zu zeigen.
"Du wirfst es einfach nach der ersten Puppe hier und versuchst sie zu treffen." Immerhin konnte sie hier doch nicht einfach so herum stehen. 

Sie schloss ihre Finger um die Klinge. Ihr Blick kalkulierend und ihrer inneren Glut widersprechend kühl. Sie machte jedoch keine Anstalten das Messer auch nur einen Zentimeter zu werfen. 

"Nein", sagte sie dann plötzlich entschlossen. Keiran kniff sein rechtes Auge leicht irritiert zusammen.
"Wie nein?", fragte er sie entgeistert. Er strich sich zunehmend verzweifelt mit den Händen übers Gesicht und hielt dann seine Nase mit zwei Fingern fest. Was sollte das jetzt? Sie sollte doch nur ein Messer werfen. Er verlangte doch nichts anstrengendes von ihr! Allmählich riss ihm mit ihr der letzte Geduldsfaden. Er war nett zu ihr, er hat ihr mit ihrem Bein geholfen, er lies sie hier ohne Handschellen herumlaufen und so weiter und so fort. Man würde doch annehmen, dass sie ihm ebenfalls mal entgegen kommen könnte.

"Okay, hör zu, kleiner Vulkan. Es wäre eine wahnsinnig nette Abwechslung, wenn du starrköpfiger Esel mal kurz einfach mitmachen könntest. Oder kannst du etwa keine Messer werfen? Verzeih mir meine hohen Erwartungen, nächstes mal darfst du dann mit einem Puppenhaus spielen." 

Mit jedem Wort begannen ihre Augen mehr zu glühen. Ihr Griff um das Wurfmesser wurde eisern bis ihre Knöchel an ihrer Hand weiß hervorstehenden. Mit dem letzten Satz schien ein Geduldsfaden entgültig zu reißen. Wortlos schnappte sie sich zwei weitere Wurfmesser vom Tisch neben ihnen und drehte sich auf der Ferse den Puppen entgegen. Blitzschnell warf sie das erste Messer und traf den Punkt auf der Puppe, welcher das Herz markierte. Ohne zu zögern warf sie das zweite Messer. Es flog zielgenau auf die zweite Puppe zu und landete direkt zwischen den Augen des aufgezeichneten Gesichtes. 

Keiran blieb der Mund offen stehen. Ihre Wurftechnik war makellos. Als hätte sie es in der Engelsstadt vom alten Waffenmeister persönlich gelernt. Es sah nichtmal so aus als müsste sie sich großartig konzentrieren. Locker flockig warf sie die Messer aus dem Handgelenk wie ein trainierter Auserwählter. Es war faszinierend. 

Er grinste begeistert über beide Ohren als ihm noch etwas auffiel: Er hatte sie zum Werfen bekommen. Vielleicht steckte in der Frau mehr als nur heiße Glut. 

Mit dem dritten Messer wandte sie sich ihm wieder zu. Glühende rote Augen starrte ihm entgegen während sie langsam den Arm zum Wurf erhob. Keiran ahnte Schlimmes und sammelte seine Kraft. Er war keineswegs scharf darauf am Ende des Tages durchlöchert wie ein Schweizer Käse ins Bett gehen zu müssen.

Doch sie warf das Messer nicht auf ihn. Gelassener denn eh und je, warf sie das Messer, während sie ihm in die Augen starrte, in Richtung der Puppen. Ein thunk ertönte als die Klinge eine Puppe traf und ein siegessicheres, schiefes Grinsen zog sich über ihre Lippen. Sie hob kurz eine Augenbraue als würde sie ihn gerade haushoch bei einer Wette geschlagen haben. 

Skeptisch wandte Keiran den Blick von ihr ab. Als er sah wo das Messer gelandet war, wurden seine Augen groß. Das Messer war zielsicher gelandet. In der dritten Puppe. 

Genau dort, wo das Prachtstück eines Mannes sich befinden würde. 

Entsetzt klatschte er mit seinen Händen an seine Wangen und schaute mit großen Augen wieder zu ihr hinüber. "Hast du nicht getan", flüsterte er entsetzt, "Was zur Hölle ist nur los mit dir!?" 

Es war ein faszinierender Wurf, aber AUA. Er hatte schon Mitleid für die Trainingspuppe. Sie grinste ihn weiterhin selbstsicher an. Es schien der kleine Vulkan habe eine rebellische Seite an sich und obwohl diese Seite ihm nach diesem Wurf äußerst beunruhigte, machte es ihn dennoch auch neugierig. Wo hatte sie gelernt so zu werfen? 

Ein Klatschen ertönte und schlagartig erinnerte sich Keiran an den Erzengel, welche er aus Faszination mit dem dargebotenen Schauspiel ganz vergessen hatte. Kaum merklich zuckte er erschrocken zusammen. Die junge Frau ihm gegenüber erstarrte. Weg war das Grinsen. Weg der gelassene Triumph. Sie schaute zu den Wurfmessern, zu Keiran und dann in Richtung des Klatschens, während langsam die Luft um sie herum vor Hitze zu wabern begann.

Doch dort oben auf einer Tribüne in der Nähe der Decke stand Akira und beäugte die zwei unter sich interessiert. Neben ihr stand ein grimmig dreinschauender Ajax. Er wandte sich Akira zu, sprach etwas Unvernehmliches und starrte dann wieder wortlos zu ihnen hinab. Akira nickte nachdenklich. 

"Interessante Begabung, die du da hast." Ihre Stimme driftete auf sie hinab, leicht wie eine Feder, doch als sie an seinen Ohren ankam, schien sich das Gesprochene wie eine Last auf seine Schulter zu setzen. Erzengel waren Keiran nicht geheuer. So viel war klar. Neben ihm wurde der kleine Vulkan ganz bleich im Gesicht. Sie gab keinen Laut von sich. 

Akira schaute kurz auf ihre Fingernägel als würde sie kurz überlegen. "Du könntest nützlich sein", dachte sie laut, "für die eine oder andere Sache." Sie heftete ihren unnatürlichen Blick direkt auf die junge Frau. Keiran spürte wie die Luft neben ihm immer wärmer wurde. Wutentbrannt blickte sie dem Erzengel entgegen und ballte ihre Fäuste.

Er verstand selbst nicht ganz was los war und wusste nicht was er machen sollte. Kaum merklich verlagerte der rothaarige kleine Vulkan sein Gewicht. Sie war hier fertig. Sie würde fliehen. Jetzt und hier. Die Hitze verdickte sich und kleine Schweißperlen formten sich auf seiner Stirn.

Irgendetwas. Er musste irgendetwas unternehmen. Ajax würde ihn köpfen, wenn sie fliehen würde. Bedacht und mit größter Vorsicht bewegte er kaum merklich seine Finger. Er ließ eine kleine Brise zunächst abkühlen und dann zu ihr hinüber wehen. Ein kleiner Versuch den Ausbruch des Vulkans zu verhindern. 

Doch Akira meldete sich bereits erneut zu Wort. Dieses mal richtete sie ihre Worte an Keiran.
"Sie soll ab morgen trainieren. Zece soll dies übernehmen. Damit du sie besser im Blick hast, bekommt sie das Zimmer neben deinem. Du trägst die Verantwortung für ihr Benehmen, also halte sie unter Kontrolle. Während sie trainiert wirst du deinen regulären Pflichten als Elite-Krieger nachkommen." Akiras Worte waren final. 

Die Hitze neben ihm verschwand schlagartig. Keiran schaute zu ihr hinüber, doch sie starrte lediglich voller Entsetzen dem Erzengel entgegen. Etwas wie Angst schien in ihren Augen zu glänzen. Sie presste ihre Fäuste zusammen und sog scharf die Luft ein. 

Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten, wandte Akira sich ab und verließ die Tribüne. Ajax folgte ihr auf Schritt.
Mit jedem Schritt, den sich Akira und Ajax entfernten, dämmerte Keiran was für ein Urteil hier nun gerade tatsächlich gefallen ist. Mit jedem Atemzug begann sein Herz mehr zu pochen. Zimmer neben deinem. Ein Gefühl des Grauens breitete sich in seiner Magengrube aus. Nein. Nein! Das konnte nicht ihr Ernst sein! Du trägst die Verantwortung. Entgeistert schaute er den kleinen Vulkan neben sich an.

"Shit", entfuhr es Keiran entsetzt, als die erdrückende Präsenz endlich abebbte und er von dessen erleichtert aufatmen konnte. Die junge Frau neben ihm stand da wie angewurzelt. Ihr Gesicht an sich verriet nichts, doch ihre roten Augen schrien förmlich vor Protest. Sie hatte scheinbar ganz andere Pläne gehabt. Gleichzeitig jedoch schienen Räder in ihrem Kopf zu rattern bis sie zu einem Entschluss kam und Keiran still abwartend ansah. Noch immer dieser rebellische Funke in ihren Augen, doch sie schien etwas gefasster zu sein. 

Keiran selbst war alles andere als gefasst oder ruhig. Er war kein Babysitter. Er hatte es satt für sie verantwortlich zu sein. Sein linker Flügel tat immer noch weh, wegen dem kleinen Wurf von Ajax. Diese Frau würde ihn binnen weniger Tage am Galgen baumeln haben. 

Er fluchte eine Anregung von galaktischen Schimpfwörtern, gab sich halbwegs geschlagen und begann einfach loszugehen, ohne auf sie zu warten.
"Ich zeig dir dein neues Zimmer", grummelte er frustriert und ballte seine Fäuste. Das Zimmer neben seinem. War Akira nun völlig irre? Es war so schön ruhig wo sein Zimmer war. Die meisten der Räume auf dem Flur gehörten Elite-Kriegern an, welche Akira meist außerhalb oder in einem anderen Land postiert hielt um ihr Bericht zu erstatten. 

Hinzukam, dass das besagte Zimmer den Balkon mit seinem Zimmer teilte. Ein wundervoller, großer Balkon. Jetzt würde er ihn teilen müssen. Was für ein miserabler Tag!

~*~*~*~

"Et voilà, die neue Magmahöhle." Seine Stimme klang genervt und müde, doch das war ihm egal. Dieser Tag konnte kaum schlimmer werden. Er ließ sie ins Zimmer eintreten und schloss die Tür hinter ihr ab. Danach ging er eine Tür weiter und betritt sein eigenes Zimmer. 

"Verflixte Sternenkotze", fluchte er leise vor sich hin und schlenderte, sich durch die Haare fahrend, hinüber zum Fenster um auf den Balkon zu blicken. Dieser wundervolle Balkon. Teilen. Absolut abartig.

Was ihn am meisten störte, als er über den Balkon hinaus in den Himmel blickte, war der Mangel an Privatsphäre, wenn er Nachts hinaustrat und dem Sternenhimmel entgegenblickte. Der Fakt, dass er nun nicht mehr einfach dort stehen konnte und mit den Sternen reden konnte wie er es einst mit Cassian getan hatte. Dieses kleine Gefühl von Geborgenheit, Verständnis und Verbundenheit, den der Nachthimmel ihm schenkte. Wie sollte er in dieser verdammten Spiegelhölle so klar kommen? Er lehnte seine Stirn gegen die Fensterscheibe, atmete tief aus und blieb so dort vorerst stehen.

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