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"Ich denke immer an dich. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, ja sogar jede fucking Sekunde." Linnea möchte... More

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S P E C I A L . before | Von Rotstiften und Vollbremsungen

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By farbspritzer

|N O A H|

Konzentriert saß der junge Mann über einem der vielen über den Tisch verteilten Hefte und las mit einem der typischen roten Stifte den graus eines jeden Menschen, der einigermaßen die französische Sprache beherrschte. Immer wieder sträubte sich sein Körper dagegen noch weiter zu lesen und er wünschte sich einfach alles durchstreichen zu können- leider war das nicht sein Job.

„Fichu, Tom", fluchte er und fragte sich, warum sein Schüler mündlich so richtig gut sein konnte, aber in Arbeiten und Vokabeltests nichts auf die Kette bekam. Schon mehrmals hatte er versucht mit den Eltern ein Gespräch zu führen, weil er die nicht bestanden Lernstandsüberprüfungen nichts ins Bild mit dem mündlichen Tom bekam- egal wie sehr er ruckelte, aber entweder sie waren krank, arbeiten oder anderweitig verhindert. So oder so erschienen sie nie und Tom rückte auch nicht mit der Sprache heraus.

Somit rückte der rote Stift immer weiter im Text voran und zog die Benotung mehr und mehr in den Keller. Als Noah schließlich ein ungenügend unter den Text setzten musste, war auch er mehr als unzufrieden. Er wollte nur das Beste für seine Schüler und zwar für alle, auch wenn das einige von ihnen anders sahen. Er macht sich jedoch nichts daraus, weil er in seiner Schulzeit ebenso die Lehrer als Folterverrrichter gesehen hatte- auf jeden Fall den Großteil. Und seine Schulzeit war wahrlich noch nicht so lange her, wie die der älteren, verkorksten Kollegin Frau Pryzyk, die vermutlich schon im zweiten Weltkrieg gelebt hatte und eigentlich auch schon lange pensioniert sein müsste. Nicht, dass er etwa gegen sie hätte, das hatte er in der Tat nämlich nicht, er fand sie und insbesondere ihre Geschichten hochspannend, aber dennoch ging sie ihm manchmal mit ihrer Art ein wenig auf die Nerven.

Nun schlug Noah entnervt das Heft zu und überlegte kurz, ob er nicht zur Aufmunterung eine Pause machen sollte. Mit einem Blick auf die Uhr hatte sich dies jedoch erledigt, da er in anderthalb Stunden in einer Sportklasse der Oberstufe, einer der wenigen Oberstufenkurse die er hatte, stehen musste. Außerdem wusste er, dass vermutlich die nächste schlechte Klassenarbeit seine Laune eh wieder runterziehen würde. Stattdessen schnappte er sich von eines der Hefte, das er vorsorglich auf den gut-Stapel sortiert hatte. Da die meisten Schüler und Schülerinnen normalerweise die Noten hielten, hatte er diese Technik im letzten Jahr entwickelt.

Und tatsächlich konnte er, während er Lenas Arbeit las, den roten Stift fast gänzlich verschlossen halten. Nur ein paar Flüchtigkeits- und Rechtschreibfehler hatten sich eingeschlichen. Gerade als er die letzte Seite kontrollieren wollte, um schlussendlich wieder einmal eine eins unter die Überprüfung zu setzten, schellte das Haustelefon.

Entnervt, weil er seine spärliche, ruhige Zeit eigentlich nicht mit Telefonieren vergeuden wollte, lief er in die Küche zum Telefon. Eine unbekannte Nummer, jedoch mit Münsters Vorwahl, sah ihn an und drängte ihn dazu abzuheben. Nachdem er mit einem „Noah Franke" die Information seines Namens weitergegeben hatte so wie er es immer tat, und das fröhliche „Guten Tag" einer weiblichen Stimme vernahm, war er kurz davor aufzulegen, da er keinerlei Interesse an einer Telfonumfrage hatte.

Das „Hier spricht Frau Meerbusch von der Norbertus-Grundschue" hielt ihn hingegen davon ab genervt das Gespräch abzubrechen und veranlasste ihn dazu entkräftet aufzustöhnen.

Was hatte Viktor nun schon wieder angestellt? Hatte er wie beim letzten Mal angefangen die Lehrerin zu beleidigen? Urplötzlich kam ihm jedoch der Gedanke, dass ihm auch etwas passiert sein konnte. Augenblicklich setzte sein Herz gefühlt ein paar Sekunden aus.

„Ich würde sie also bitten, dass sie so schnell wie möglich hierher kommen", sprach sie weiter und riss somit Noah aus seinen Angstzuständen. Er hatte kein Wort davor im Gedächtnis behalten- im Gegenteil es war einfach alles an ihm vorbei gerauscht.

„Ok. Ok. Ich mache mich sofort auf den Weg", erklärte er der Direktorin der Grundschule von Viktor, während er sich versuchte irgendwie die Jacke anzuziehen- mit wenig Erfolg, da er immer noch das Telefon in der Hand hielt.
Als die Schulleiterin nicht mehr antwortete, warf er das Telefon einfach auf die Garderobe im Flur und war umso froher, dass er seine Schuhe vorhin nicht ausgezogen hatte und somit nur noch seine lederne Tasche schnappen musste, um danach die Tür hinter sich zuzuschlagen. Ihm blieb keine Sekunde damit er durchatmen konnte- im Gegenteil.

Er eilte die Treppen hinab als wäre der Teufel hinter ihm her. Ein Stockwerk rannte er eine brünette, junge Frau fast über den Haufen. Eher aus Reflex rief er noch schnell ein „Tschuldige" und lief eilig weitere der Betontreppenstufen hinab.
Als er vor seinem Wagen stand, war er erneut froh, dass er nur ein Auto seiner Eltern verkauft hatte und sich nicht für die Monatskarten des ÖPNV für Viktor und ihn entschieden hatte.

Schnell warf er die Tasche auf den Beifahrersitz, machte routinemäßig einen Blick nach hinten auf den Kinderitz von Viktor, den er noch benötigte, da er noch keine 1.50 Meter groß war, und legte den ersten Gang ein, um sofort darauf die Kupplung zu treten. Er vergaß die Worte seines Fahrlehrers, die ihm immer wieder in den Sinn kamen, von wegen bis zum Schleifpunkt kommen lassen und würgte erst einmal den Motor ab.

Als wäre das das Zeichen, das er gebraucht hatte, legte er die Hände auf das Lenkrad, atmete ein paar Mal tief ein und aus und sagte sich selbst, dass mit Viktor nichts Schlimmes sein konnte, da er sonst schon im Krankenhaus sei. Noah versuchte nicht dran zu denken, welch schlimme Verletzungen es gab für die man nicht ins Krankenhaus musste und auch nicht daran, dass er, weil er vorher nicht richtig zugehört hatte, gar nicht wusste, ob die Direx nicht aus dem Krankenhaus angerufen hatte.

Etwas ruhiger begann er erneut die Kupplung zu treten und parkte ordnungsgemäß aus seiner Parklücke aus, die sich gleich darauf auch schon ein wartendes Auto schnappte. Gemäß der Straßenverkehrsordnung fuhr er zu der Schule, was er beängstigt, wie er vorher war, definitiv nicht gemacht hätte. Noah hätte vermutlich jede Ampel einfach überfahre- egal ob rot, orange oder grün.

Souverän lenkte Noah das graue Auto durch die Innenstadt Münsters, in der glücklicherweise um 13.oo noch nicht allzu viel Verkehr war, und parkte den Wagen schließlich in einer Querstraße der Schule, die zu seiner Freude nicht allzu weit entfernt von seinem Arbeitsplatz entfernt war. Nun wieder beängstigter steig er hektisch aus dem Auto und weil er sich noch einmal nach seiner Tasche streckte, stieß er sich beim Herausholen dieser den Kopf am Metall des Autos.

„Fichu!", fluchend rieb er sich über die Stelle am Hinterkopf, wohlwissend, dass das seine kurzen, dunklen Locken noch mehr durcheinanderbringen würde als sie sowieso aufgrund des ständigen Haareraufens während der Fahrt waren.

Aufgrund seines Besuchs vor gut einem Monat wusste er noch, wo das Direktorat war und konnte somit einigermaßen ohne Probleme bis dorthin gelangen. Im Vorraum erblickte er auch schon Viktor, der betreten auf den Boden guckte und die Füße, die aufgrund der Stuhlhöhe und seiner Körpergröße nicht den Boden erreichten, hin und her schwenkte. Automatisch sah Noah im Tunnelblick, lief auf ihn zu und hob vorsichtig, die Stimme des Sekretärs „Hey! Was machen sie da? Das dürfen sie nicht" ignorierend das Kinn an und betrachtete Viktors Gesicht. Bis auf eine kleine Stelle an seinem Wangenknochen, der mit einer gelblichen Färbung auffiel, konnte Noah jedoch glücklicherweise keine Verletzungen erkennen. Endlich atmete er aus und merkte direkt, wie er sich entspannte. Langsam ließ er sich neben Viktor auf dem Stuhl nieder und schaute dem recht pissig aussehendem Sekretär in die Augen: „Ich bin sein Erziehungsberechtigter."

Nickend aber immer noch nicht seine Gesichtszüge entspannend wandte sich der Brünette wieder seinen Akten zu und drückte einmal auf die Klingel die auf dem Tresen stand. Wie als hätte sie nur darauf gewartet, öffnete Frau Meerbusch die Tür in ihr Büro und machte eine einladende Bewegung mit der Hand.

Schnell ergriff er Viktors Hand und zog ihm vom Stuhl. Es war Viktor peinlich, dass Noah hatte kommen müssen, das wusste er, ansonsten hätte Viktor schon längst angefangen zu reden oder sich zu bewegen.
Nachdem alle drei Platz genommen hatten, begann die Direktorin: „Wie bereits gesagt, hatte ihr Bruder heute erneut einen Aussetzer." Sofort schoss Noahs Blick zu Viktor, der nur weiterhin schuldbewusst nach unten blickte. „Er hat in der Pause eine Prügelei mit einem älteren Schüler angefangen. Der Lehrer, der dazwischen gegangen ist, konnte ihn auch nicht zum Aufhören bewegen, sodass er auch ein paar Schläge einstecken musste." Das Gesicht von Frau Meerbusch zeigte keine Regung. „Leider hat er auch nicht ein Wort verloren seit der Lehrer dazwischen gegangen ist. Ich kann und will so etwas nicht auf meiner Schule dulden. Immerhin waren das in zwei Monaten zwei Begegnungen mit mir, wie soll das weitergehen, Herr Franke?", fragend blickte sie Noah an.

„Ich bezweifle, dass Viktor jetzt noch etwas erzählen wird. Ich denke aber, dass ihm durchaus bewusst ist, dass das was er getan hat, falsch war. Ansonsten habe ich meine Erziehung ziemlich in den Sand gesetzt. Ich hoffe das hat keine Konsequenzen?", ließ er den Satz hoffnungsvoll die Frau vor ihm anblickend offenstehen.

„Tja, so gern ich das auch tun würde, aber das kann ich nicht. Viktor ist seit einem Jahr und zwei Monaten hier auf der Schule und ein Zweitklässler, der schon einmal zu einer Strafarbeit verdonnert wurde, kann nicht einen Monat später eine Prügelei anfangen. Das geht nicht. Ich muss ihn suspendieren."

Geschockt sah Noah sie an. Dann wandte er seinen Kopf zu Viktor, der bei dem Wort ‚Suspendierung' auch nach oben geschaut hatte und flehte ihn an: „Bitte, Vik. Sag mir warum." Doch dieser tat nichts außer wieder nach unten zu sehen.

„Wie lange? Wie lange hat er Schulverbot?", eindringlich sah er die eigentlich ganz locker erscheinende, junge Schulleiterin an.

„Bis einschließlich Dienstag. Hier sind die Strafaufgaben", sie kramte in einer Mappe herum und hielt mir dann einen mit einem Papereclip zusammengehaltenen Blätterstapel entgegen. Sie wusste vermutlich nicht, dass sie Noah damit mehr bestrafen würde als Viktor. Wer dürfte sich das Gequengel anhören von wegen ‚Ich habe keine Lust mehr, Noah' oder ‚Ich hasse Lehrer'? Ganz zu schweigen von dem Haufen Aufgaben die ich noch erledigen musste. Eigentlich wollte ich Viktor zu meinem besten Freund Gus geben, damit ich in Ruhe arbeiten konnte, aber das war wohl eher eine Belohnung für Vik. Wie Noah Gus kannte, würde er ihm sogar die Aufgaben vorsagen nur damit sie was Cooles machen könnten.

Noah versuchte gar nicht erst noch zu feilschen, bei der Entschlossenheit das Meerbusch war das sinnfrei. Stattdessen packte er die Blätter in seine Tasche und hielt der Direktorin die Hand zum Abschied hin. Nachdem diese geschüttelt worden war, verließ er mit seinem Bruder den Raum, schnappte sich im Sekretariat den Schultonister und zog ihn zum Auto. Still packte Noah die Taschen in den Kofferraum und deutet Viktor schon einmal ins Auto einzusteigen. Er hingegen zog sein Handy aus der Hosentasche und rief in seiner eigenen Schule an.

Nach einigen Wartetönen ging auch dort die Sekretärin dran: „Guten Tag, Herr Franke", wurde er begrüßt. Es war praktisch, dass die Telefone im Sekretariat die Nummern sämtlicher Lehrer eigespeichert hatten. „Guten Tag, mein Bruder hatte einen kleinen Zwischenfall, weshalb er die Schule früher verlassen musste. Dürfte ich ihn heute für den restlichen Unterricht mit in meine Stunden nehmen?", fragte Noah extra freundlich und spielte das Geschehene herunter.

„Natürlich. Wenn ich richtig sehe haben sie gleich nur noch ihre Oberstufenkurse, es dürfte also kein Problem sein. Ich werde dennoch Herrn Frenzel fragen. Ich benachrichtige sie dann. Bis nachher", verabschiedete sie sich schnell. Nach einer ebenso schnellen Verabschiedung von Noahs Seite, setzte er sich ins Auto. Kontrollblick zu Viktor, der sich bereits angeschnallt hatte und los fuhr er.


„Wieso, Viktor? Wieso? Hat dir das letzte Mal nicht gereicht?", redete er sich in Rage. „Was habe ich bei deiner Erziehung falsch gemacht? Sags mir, Viktor? Fichu! Wieso prügelst du dich mit jemandem? Er ist auch noch älter, da hast du keine Chance! Wieso?! Ich dachte ich hätte dir beigebracht, dass Gewalt keine Lösung ist. Mama und Papa doch auch", er flüsterte den letzten Satz nur noch verzweifelt. Auch ihn schmerzte der Verlust ihrer Eltern trotz der Zeit, die seitdem verstrichen war, noch.

„Er hat sie beleidigt!", schallte Viktors geschriene Stimme im Auto wieder. „Er hat sie beleidigt", flüsterte er traurig und wiederholte er sich immer wieder.

Mit einem Blick in den Rückspiegel sah Noah, dass Viktor weinte. Ohne Worte fuhr er rechts ran, wobei er sich arg zusammen reisen musste keine Vollbremsung zu machen, und stieg aus.

Er verstand Viktor.

Der zweite Teil der Lesenacht, der mich überwältigt hat... Ich habe versucht gehabt hier mal eine andere Sicht zu nutzen- nicht wirklich erfolgreich.

Ich hoffe es hat euch auch so gefühlsüberladen und einige Fragen geklärt :)

Bis nacher- wenn ich es endlich mal schaffe den dritten Teil fertig zu bekommen...

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