Down in Albion

By diekleineelisabeth

41.3K 2.7K 1.1K

Emma Simon ist Kunstgeschichtsstudentin aus Leidenschaft, Scones-Enthusiastin aus Prinzip (weil dieses Gebäck... More

Kapitel 1 - I LOVE LONDON
Kapitel 2 - BEGGIN' FOR THREAD
Kapitel 3 - THIS IS WHERE I BELONG
Kapitel 4 - HEROES
Kapitel 5 - DON'T YOU FIND
Kapitel 6 - HEART OUT
Harry POV - SHE'S ELECTRIC
Kapitel 7 - THAT DON'T IMPRESS ME MUCH (Part I)
Kapitel 7 - THAT DON'T IMPRESS ME MUCH (Part II)
Kapitel 8 - DRIFTING
Kapitel 9 - I WANNA BE YOURS
Kapitel 10 - HAPPILY
Kapitel 11 - ALL ALONG THE WATCHTOWER
Kapitel 12 - FALLING
Kapitel 13 - BATTLES
Kapitel 14 - I AND LOVE AND YOU
Kapitel 15 - YOURS TO SHAKE
Kapitel 16 - SLOW LOVE
Kapitel 17 - SAFE AND SOUND
Kapitel 18 - YOUNG BLOOD
Kapitel 19 - YOUNG FOLKS
Kapitel 20 - AMERICAN MONEY
Kapitel 21 - BAD BLOOD
Kapitel 22 - MUSHABOOM
Kapitel 23 - YOUR BODY IS A WONDERLAND
Kapitel 24 - IT'S THE MOST WONDERFUL TIME OF THE YEAR
Kapitel 25 - JEALOUS
Kapitel 26 - CEREMONY
Kapitel 27 - GIVE ME A TRY
Kapitel 28 - YOU ARE FIRE
Kapitel 29 - DEPTH OVER DISTANCE
Kapitel 30 - TONIGHT
Kapitel 31 - MIND OVER MATTER
Kapitel 32 - EVER SINCE NEW YORK
Kapitel 34 - DARLINGS
Harry POV - GOLD
Kapitel 35 - STILLE
Kapitel 36 - SHUT UP KISS ME
Kapitel 37 - ALL NIGHT

Kapitel 33 - BRIDGES

618 45 114
By diekleineelisabeth

Long time no see...

+++

Kapitel 33 – BRIDGES

Gave you a minute, when you needed an hour
Chose to push it aside instead of leaving behind you
If any word that I said could've made you forget
I'd have given you them all - but it was all in your head.
Now we're burning all the bridges now,
Watching it go up in flames
No way to build it up again.
And we're burning all the bridges now
'Cause it was sink or swim
And I went down, down, down.
(Broods – Bridges)

Es ist total komisch wieder zurück zu sein. Ich sitze auf dem Sofa im Wohnzimmer meiner Eltern und das Feuer prasselt munter im Ofen. Der Weihnachtsbaum ist immer noch festlich geschmückt und die Lichter erleuchten das Zimmer in festlichem Glanz. Vorgestern haben wir Weihnachten – und meinen Geburtstag – offiziell nachgeholt und es war einfach fantastisch. Alles in allem sollte ich also glücklich sein. Thea hat sich vor einer halben Stunde auf meinem Schoß niedergelassen, sich an mich gekuschelt und ist mittlerweile eingeschlafen. Es ist das Süßeste, was ich je in meinem Leben gesehen habe – und trotzdem vermisse ich England, London, Tessa – und vor allem Harry. Armselig, ich weiß. Aber in der kurzen Zeit, in der ich dort war, ist die Stadt wundersamer Weise zu meinem Zuhause mutiert. So sehr, dass ich den Sonntag nachdem ich wieder in Berlin gelandet war versucht habe, einkaufen zu gehen – und dann überrascht war, dass kein Tesco zur Verfügung stand, der in Deutschland an diesem Tag der Woche geöffnet ist.

„Oh mein Gott!", Jana flüstert grinsend, als sie durch die Tür tritt. Sie hält ein Tablett mit dampfenden Tassen in den Händen. „Ich muss unbedingt ein Foto davon machen. Die Tante mit dem kleinen Fratz."

Ich kichere leise während sie das Tablett abstellt und nach dem Handy in ihrer Hosentasche tastet. Sie macht ein paar Bilder und lässt sich danach auf dem Ohrensessel (eigentlich der angestammte Platz von meinem Vater, aber der ist gerade mit meiner Mutter unterwegs, um ein bisschen Feuerwerk für Silvester zu kaufen) neben dem Sofa nieder.

„Klein? Ich war nur zwei Monate weg und ich hab das Gefühl, sie ist so groß geworden." Ich kuschle mich näher an sie.

„Jup, ein Wachstumsschub nach dem anderen momentan." Jana nimmt sich eine der Tassen (gefüllt mit heißer Schokolade) und nippt daran. „Also, jetzt wo wir ein bisschen Zeit für uns haben und die Eltern außer Haus sind – wie läuft's Beziehungstechnisch?"

Ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken. „Ganz gut würde ich sagen... gab ein paar Ups und Downs aber alles in allem", ich seufze glücklich, „kann ich mich nicht beklagen."

„Ups and Downs?", fragt Jana – wie immer die besorgte große Schwester.

„Naja, ist glaube ganz normal, oder? Dass man sich erstmal richtig kennen lernen muss – und verstehen muss, warum die andere Person manchmal so und manchmal so reagiert? Es hat ein bisschen gedauert, bis er richtig offen mit mir über alles reden konnte und auch, bis ich vieles besser verstanden habe. Ich glaube, seine besondere Situation verstärkt das alles noch. Normalerweise unterzeichnet man keine Verschwiegenheitserklärung, wenn man eine Beziehung beginnt, oder muss sich darum Sorgen machen, ob man fotografiert wird.", ich verziehe das Gesicht, „Und ja, es gab ein paar Momente, die deshalb vielleicht nicht optimal waren – aber Weihnachten war echt", ich hole tief Luft und atme schwer aus, „Weihnachten war wirklich toll."

Jana lächelt sanft.

„Es ist ein bisschen angsteinflößend.", gebe ich nach ein paar Sekunden Stille zu.

„Was?", fragt sie. „Dass er so berühmt ist?"

„Nein. Also, das auch, aber... Wie sehr ich ihn mag. Das macht mir echt Angst. Manchmal frage ich mich, ob das nicht zu gut ist, um wahr zu sein. Ich warte immer noch drauf, dass irgendwas schief geht."

„Ach Emma."

„Ich habe noch nie jemanden so sehr gemocht Jana. Das macht den Gedanken beinahe unerträglich, dass sich das vielleicht irgendwann einmal ändert. Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringt. Harry war jetzt relativ häufig in London, aber was, wenn er zurück auf Tour geht, wenn ich ihn Monate nicht sehe? Was, wenn ich den Platz für den Master in London nicht bekomme und dann wieder in Berlin bin? Und wir uns deshalb noch weniger sehen?", ich zucke mit den Schultern, „Das sind alles so Sachen, über die ich mir mittlerweile Gedanken mache – denn das ist so ernst geworden zwischen uns."

Das Ganze ist mir erst richtig klar geworden, als Anne mich am 26. zum Flughafen gefahren hat (Harry ist nicht mitgekommen, da er nicht riskieren wollte, dort erkannt zu werden). Lächelnd, während im Radio ,Fairytale of New York' lief, hat sie das Auto in Richtung Manchester Airport manövriert.

„Danke nochmal. Dass ich hier bleiben konnte während der Feiertage. Hat mich echt sehr gefreut.", habe ich irgendwann gesagt. Und sie hat es einfach abgewunken.

„Absolut kein Problem. Es war wirklich toll, dich hier zu haben. Und du bist immer herzlich eingeladen zurück zu kommen.", sie hat sich auf die Lippe gebissen, bevor sie fortfuhr, „Ich bin froh, dass Harry dich kennengelernt hat. Ich weiß, ihr kennt euch noch nicht so lange und das ist alles noch so frisch, aber – zumindest für mich – fühlt es sich anders an als sonst. Er... er hat noch nie jemanden mit zu uns gebracht. Und es ist schön, ihn mal in einer Beziehung zu sehen, in der er sich wohl genug fühlt, dass er das macht und die außerdem so auf Gegenseitigkeit beruht. Er hat so viel erreicht, aber er hat auch auf so viel verzichten müssen und als Mutter macht man sich dann natürlich immer Gedanken. Aber dann kamst du", sie lacht, „und mit dir ist er so glücklich. Und bevor ich jetzt weiter abschweife und meinen armen Sohn möglicherweise noch blamiere, höre ich besser auf zu reden."

Danach war ich erst einmal rot wie eine Tomate. Und sprachlos. Aber das war es dann: In diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Diese Sache ist wirklich verdammt ernst, es ist nicht nur mein verliebtes Gehirn, das so denkt. Selbst seine Mutter ist überzeugt, dass ich gekommen bin um zu bleiben.

Jana nickt und unterbricht meinen Gedankenstrom, „Ich verstehe was du meinst." Dann lächelt sie, „Ist so komisch, dich so zu sehen. Total hin und weg. Wenn ich das mit Tom vergleiche."

„Verrückt oder? Da denkt man, man weiß, was Liebe ist und dann kommt eine andere Person daher und zack: komplett neue Definition. Alles, was man kannte gilt nicht mehr."

Jana grinst: „Liebe... so so."

Mein Herz schlägt ein bisschen schneller in meiner Brust und ich wiege meinen Kopf hin und her. „Es geht definitiv sehr stark in die Richtung.", gebe ich zu. „Wie gesagt. Alles ein klein wenig beängstigend, weil ich das so noch nie erlebt habe. Das ist so, als wäre das mit Tom nur eine leichte Brise gewesen und jetzt stecke ich mitten in einem Hurrikane fest."

„Hey, das wird schon.", Jana blickt mich aufmunternd an. „Ich habe in puncto Beziehung immer nach dem Motto gelebt: Wenn's klappen soll, dann klappt es auch. Erinnerst du dich daran, als ich mit Chris zusammen gekommen bin?"

„Natürlich.", entgegne ich. „Du hast über einen Monat nicht die Klappe halten können und am laufenden Band geschwärmt. Er hat so einen tollen Charakter Emma, und seine Haare, seine Haare sind der Hammer. Ich habe noch nie einen Mann mit so schönen Haaren gesehen!", imitiere ich sie.

Sie zwinkert mir zu, „Hey! Don't judge! Ist immer noch wahr, aber – kommt dir das momentan bekannt vor, Schwesterherz?"

Ich kichere. Möglicherweise.

„Naja, auf jeden Fall ist er kurz danach für ein drei Monate für ein Praktikum nach New York gegangen. Und es hat trotzdem geklappt, weil wir uns beide darum bemüht haben. Jetzt ist er mein Mann und wir haben diese süße Kleine", liebevoll schaut sie Thea an, „Beziehungen sind nie leicht. Man muss vermutlich öfter kämpfen, als man will, aber am Ende kommt es darauf an, ob die andere Person es wert ist – und ob sie genauso um dich kämpft. Klar ist das bei dir mit Harry noch ein bisschen extremer, aber im Endeffekt kommt es immer wieder darauf zurück."

Ich atme laut aus. „Du hast Recht."

Nach einer Pause, fragt sie plötzlich, „Hast du eigentlich noch einmal mit ihm gesprochen? Also mit Tom?"

Ich senke meinen Blick, „Noch nicht, aber ich hab ihm heute geschrieben und gefragt, ob er sich morgen treffen und mit mir reden möchte. Bis jetzt kam aber noch keine Antwort. Er hat sich zwar absolut beschissen verhalten, aber ich habe immer noch das Gefühl, dass ich ihm eine Erklärung schulde. Dass wir noch einmal richtig mit einander reden sollten – und nicht einfach so über Skype."

Janas Augen weiten sich. „Was hat er getan?", will sie wissen. In dem Moment wird mir klar, dass ich ihr überhaupt nichts mehr von den diversen Beleidigungen erzählt habe, die er mir in den letzten Wochen über Whatsapp geschickt hat. Tessa hatte mir geraten, einfach seine Nummer zu blockieren, aber irgendetwas hat mich davon abgehalten. Ich glaube, da ist immer noch ein Teil von mir, der sich scheiße fühlt, weil die Sache so zu Ende gegangen ist. Und dieser Teil würde sich ihm gerne erklären.

„Naja, er war verletzt und hat das verbal ein wenig an mir ausgelassen. Und sich außerdem sehr über Harry aufgeregt." Es ist wohl besser, das Ganze etwas herunter zu spielen.

„Verdammt uncool.", presst sie hervor. „Glaubst du echt, dass das eine gute Idee ist, sich dann mit ihm zu treffen?"

Ein lauter Seufzer kommt aus meinem Mund. „Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Ich würde nur gerne einen Schlussstrich unter die Sache ziehen."

Jana nickt – aber es sieht nicht wirklich überzeugt aus.

„Okay", sagt sie schließlich, „Reden wir wieder über ein lustigeres Thema! Die Sache mit den Geschenken finde ich immer noch zum Totlachen."

Ein kleines Lächeln stielt sich auf mein Gesicht. „Ja, wir waren der Witz des Abends. Gemma hat sich nicht mehr eingekriegt." Wie sich herausgestellt hat, haben Harry und ich uns tatsächlich fast genau das gleiche geschenkt. Ich war so stolz auf mein Geschenk, hab auf einem Flohmarkt in Camden einen alten Walkman aufgestöbert und dann stilecht ein Mixtape für ihn aufgenommen. Er wiederum hat das ganze natürlich noch ein bisschen weitergetrieben und ich stand dann auf einmal dort mit einer Vinyl-Platte in den Händen und einem Vintage-Grammophon direkt daneben. Ich glaube so glücklich war ich noch nie über ein Geschenk (außer vielleicht über Harrys famoses Geburtstagsgeschenk).

Die Lieder, die er auf die Platte hat pressen lassen, waren einfach famos. Ich will nicht leugnen: ich habe die ein oder andere Träne verdrückt, weil das Geschenk so perfekt war. The Troggs, Stevie Nicks, Divinyls – sogar When in Rome und The Kinks waren drauf vertreten (mit Waterloo Sunset). Wir haben die Nacht vor meinem Flug noch lange im Bett gelegen, die beiden Mixtapes rauf und runter gehört und gefühlt endlos über Musik gesprochen.

Während wir ineinander gekuschelt den Klängen lauschten und zum dritten Mal ‚Leather and Lace' den Raum erfüllte, war mir auf einmal der Gedanke gekommen, dass das vielleicht nicht nur ein stink normales Mixtape war, sondern möglicherweise auch ein kleines Geständnis von Harrys Seite aus. „You in the moonlight, with your sleepy eyes. Could you ever love a man like me? And you were right, when I walked into your house, I knew I'd never want to leave. Sometimes I'm a strong man, sometimes cold and scared and sometimes I cry – but that time I saw you, I knew with you to light my nights. Somehow I'd get by."

Ich habe nichts gesagt, nur dem sanften Pochen seines Herzens gelauscht und mich gefragt, ob ich mich schon traue, das ganze Liebe zu nennen.

~ ~ ~

Meine Mutter hat eine ihrer unzähligen Stones Platten aufgelegt und bereitet mit meinem Vater das Essen für heute Abend vor. Genau wie das verspätete Weihnachten feiern wir Silvester dieses Jahr in einem eher kleinen Rahmen: Jana und Chris kommen nachher mit Thea vorbei und dann werden sich die über 18-jährigen unter uns gepflegt mit Bowle die Kante geben und darauf warten, dass das neue Jahr beginnt.

Ich grinse als ich sehe wie mein Vater beginnt zu dem Beat die Hüften zu bewegen (obwohl er sich zuerst – wie immer – über die Musik beschwert hat), nur um schließlich in wildes Mick-Jagger-imitierendes Tanzen auszubrechen, während meine Mutter neben ihm steht und sich nur schwer ein lautes Lachen verkneifen kann. Ich liebe es, wie die beiden miteinander umgehen. Wie sie sich immer noch, nach mehr als 25 Jahren Ehe jeden Tag aufs Neue zeigen, wie sehr sie sich lieben. Es ist so etwas Besonderes. Als ich noch mit Tom zusammen war, habe ich mich immer damit getröstet, dass nicht jeder Mensch auf spontane Tanzausbrüche steht oder das Bedürfnis verspürt, so wie mein Vater (und ich – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm), einfach in verrückte Dance-Moves auszubrechen. Ich habe mir eingeredet, dass Beziehungen nicht gleich sind, und, dass es andere Sachen an Tom gibt, die mich genauso glücklich machen, wie meine Mutter, wenn sie meinen Vater dabei beobachtet, wie er versucht eine Pirouette hinzulegen. Im Nachhinein habe ich mir vielleicht zu lange etwas vorgelogen, nur weil ich nicht alleine sein wollte – oder, weil ich es nicht besser wusste. Denn mit Harry ist es etwas anderes. Mit ihm ist verrücktes Tanzen auf einmal angesagt.

Das Lied endet und mein Vater widmet sich wieder dem Schneiden von Gemüse. Ich nippe an meiner Tasse Kaffee und blicke auf die Uhr, die an der Küchenwand hängt. Es ist zwei, was bedeutet, dass es noch circa zwei Stunden dauert, bis Tom auftauchen wird. Er hat sich tatsächlich gemeldet und gesagt, dass er heute Nachmittag gerne vorbei kommen würde. Ich weiß nicht genau, wie das ganze ausgehen wird und was ich zu erwarten habe – aber ich hoffe wirklich, dass wir uns danach im Guten trennen können. Dass ich ihm vermitteln kann, dass diese Trennung wirklich in unser beider Interesse war. Ich werte es als positives Zeichen, dass er bereit war ausgerechnet an Silvester den Weg aus der Stadt heraus zu machen, um mich zu sehen.

Plötzlich klingelt mein Handy. Überrascht laufe ich in das Wohnzimmer, dem Klang meines Klingeltons (immer noch ‚London Calling') folgend. Als ich sehe wer gerade anruft, hüpfe ich glücklich auf und ab. Normalerweise ruft er immer erst abends an – aber heute scheint eine Ausnahme zu sein.

„Harry!", rufe ich in den Hörer. Von der anderen Seite kommt dieses tiefe Lachen, das in mir immer ein Gefühl allumfassender Wärme auslöst. Jedes verdammte Mal.

„Hey Emma. Wie läuft's so?"

„Ganz gut, die Eltern kochen für heute Abend, wobei mein Vater eher damit beschäftigt ist, einen auf Mick Jagger zu machen und durch die Küche zu tanzen."

Er prustet ins Telefon, „Klingt nicht übel."

„Ist es auch nicht.", stimme ich ihm zu und beiße mir dann auf die Lippe, „Ist wirklich schön wieder hier zu sein, aber ich vermisse dich.", füge ich schließlich hinzu.

Ein lauter Atemzug folgt, „Glaub mir, ich dich auch."

„Ist irgendwie scheiße, dass neue Jahr ohne dich zu beginnen.", murmle ich und spiele mit dem Saum meines Pullovers.

„Echt nicht famos.", kommt es von der anderen Seite.

Ich beschließe das Thema zu wechseln, anstatt weiter darüber nachzudenken. „Und was ist bei dir so los? Bist du noch bei deiner Mum?" Er hatte mir gesagt, dass er dieses Silvester in Holmes Chapel bleiben wollte.

„Ähm", er zieht scharf die Luft ein, „Nicht wirklich, um ehrlich zu sein."

Meine Augen weiten sich überrascht, „Wie? Nicht wirklich? Doch woanders hingefahren?"

„Geflogen."

„Geflogen? Im Ernst?"

„Jap, war eine relativ spontane Entscheidung."

Ich kichere, „Davon bin ich irgendwie ausgegangen." Ich lasse mich auf das Sofa fallen. „Und wo genau treibst du dich rum? Noch Europa oder schon Amerika? Oder vielleicht sogar Australien?" In dem Moment klingelt es und ich stöhne auf. Ausgerechnet jetzt, wo ich mich hingesetzt habe.

„Gehst du zur Tür, Emma?", kommt es passenderweise aus der Küche.

„Einen Moment, es hat gerade geklingelt.", grummle ich in den Hörer bevor ich mich aufrappele und zur Tür trotte. Ich öffne sie, halb damit rechnend, dass unsere Nachbarin dahinter steht und sich über die laute Stones Musik beschweren möchte (alles schon vorgekommen).

Das Telefon fällt mir aus der Hand und fliegt scheppernd auf den Boden – und meine Kinnlade folgt. Geschockt blicke ich auf die Person, die auf unserer Fußmatte steht. Ich glaube mein Herz hat für eine Sekunde aufgehört zu schlagen.

„Harry?"

Skinny Jeans, Mantel, Beanie, Chelsea Boots, wilde Locken und absolut hinreißende Grübchen. Er ist es wirklich. Und er grinst mich verschmitzt an. „Europa. Genauer gesagt, Deutschland, Nähe Berlin.", sagt er und legt den Kopf schief, „Da treibe ich mich rum."

Ich quietsche und – ich kann es nicht verhindern – springe ihm förmlich in die Arme. Meine Beine schlingen sich um seine Taille und ich hänge an ihm wie ein kleiner Koala. Er stolpert ein wenig, doch hält mich sicher in seiner Umarmung. Sein Kopf schmiegt sich gegen meine Halsbeuge und ich spüre, wie er tief einatmet. Langsam hebt er den Kopf und wir blicken uns an. Seine grünen Augen leuchten, die Nase ist leicht gerötet von der Kälte, die draußen herrscht. Auch hier hat es geschneit.

Er drückt mir einen sanften Kuss auf den Mund. „Hoffe, das ist okay.", murmelt er gegen meine Lippen. Eine Gänsehaut jagt durch meinen Körper und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht an dem kalten Wind liegt, der von draußen hereinkommt. „Wollte nämlich genauso wenig wie du das neue Jahr ohne dich beginnen."

Mein Mund drängt sich gegen seinen, nachdem er diese Worte ausgesprochen hat. Kuss nach Kuss presse ich auf seine kalte Haut. „Absolut okay.", grinse ich, nicht in der Lage, meine Freude auch nur halbwegs zu verbergen.

„Chrm, chrm.", kommt es auf einmal aus dem Hintergrund und ich reiße meinen Kopf herum. Meine Eltern stehen hinter uns und schauen beide amüsiert auf das Schauspiel, das ihnen hier geboten wird. Mit rotem Gesicht löse ich mich von Harry und stelle mich wieder auf meine beiden Beine. Ich beiße mir auf die Unterlippe, dann greife ich nach seiner Hand, schlage die Haustür zu und ziehe ihn mit in das Innere unseres Hauses.

„Mama, Papa – darf ich euch Harry vorstellen.", sage ich, immer noch überglücklich darüber, dass mein Freund mir einen Überraschungsbesuch abgestattet hat.

Sie grinsen und dann tritt meine Mutter hervor, streckt ihre Hand aus und begrüßt ihn auf Englisch. „Hallo Harry, ich bin Frederike. Aber wir haben ja bereits telefoniert. Freut mich, dich endlich kennenzulernen." Er gibt ihr die Hand und lächelt sie an. Augenkontakt und fester Händedruck – das ist schon einmal die erste Hürde bei ihr.

„Freut mich auch sehr Sie endlich persönlich zu treffen.", antwortet er und ich starre ihn mit offenem Mund an. Er hat auf Deutsch gesprochen – seine Zunge rollt sich um die Worte wie Watte. Meine Mutter ist sichtlich begeistert und nickt anerkennend mit dem Kopf.

„Du hast Deutsch gelernt?", will sie wissen und stellt damit meine unausgesprochene Frage.

„Nur ein bisschen.", kommt es schelmisch von Harry – und dann wechselt er wieder in seine Muttersprache. „Aber ich muss definitiv noch einiges lernen. Hat sich rausgestellt, dass Deutsch nicht so leicht ist."

Ich lache ungläubig. Die Tatsache, dass er sich überhaupt diese Mühe gemacht hat, erschlägt mich.

Mein Vater tritt auf ihn zu, Harry will auch ihm die Hand geben, doch – mit dem schlimmsten deutschen Akzent, den man sich vorstellen kann – entgegnet Papa: „Ich bin Karl und außerdem ein Umarmer, also gewöhn dich dran." Harry schaut nur kurz erstaunt drein, dann lächelt er und streckt seine Arme ebenfalls aus. Ich kichere in mich hinein. Es fängt zumindest schon einmal gut an; immerhin scheint er noch nicht eingeschüchtert von den zweien zu sein, was tatsächlich das erste Mal der Fall ist.

„Ich hoffe, es ist okay, dass ich vorbei gekommen bin, aber ich wollte Emma sehen und außerdem ihre absolut fantastischen Eltern kennenlernen.", sagt Harry augenzwinkernd, nachdem mein Vater ihm mehrere Male kräftig auf den Rücken geklopft hat.

„Ahh.", mein Vater grinst ihn an, „Mit Schmeicheleien kommst du bei mir auf jeden Fall weiter – bei meiner Frau vielleicht nicht unbedingt. Sie ist eher beeindruckt von tiefgreifenden philosophischen Diskussionen, oder allem was irgendwie mit Tod und Verwesung zu tun hat.", er blick zu meiner Mutter und lacht dann auf, „Wobei, du siehst wirklich aus wie ein junger Mick Jagger, also brauchst du dir vermutlich doch keine Gedanken zu machen."

Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit wird mein Gesicht rot wie eine Tomate. Das ist der Grund warum ich normalerweise länger damit warte, meine Eltern jemandem vorzustellen. Wie gesagt, sie sind etwas speziell.

Meine Mutter rollt mit den Augen. „Ihr tut alle immer so, als sei ich besessen von ihm."

Ich kann nicht anders und pruste los. Mein Finger deutet in Richtung Wohnzimmer. „Mama, da hängen über zehn Rolling Stones Poster an den Wänden – und deine Vinyl Sammlung von ihren Alben und Singles spricht auch eine ganz andere Sprache."

Sie presst ihre Lippen aufeinander, „Es handelt sich grundsätzlich einfach um gute Musik. Das ist alles."

„Natürlich.", sagen mein Vater und ich gleichzeitig – mit leicht ironischem Unterton.

„Also ich habe auch alle ihre Platten.", wirft Harry auf einmal ein, „Ich kann das total verstehen."

Mein Vater grinst mich an und nickt mir zu, bevor er auf Deutsch sagt: „Oh, er ist gut." Meine Mutter schlägt ihm daraufhin spielerisch gegen den Arm. Er kichert nur und wechselt dann wieder die Sprache.

„Naja Harry, herzlich willkommen! Ich hoffe du stehst auf Bowle und ‚Dinner for One' in Dauerschleife, denn so wird der Rest des Tages aussehen."

„Bei der Bowle bin ich natürlich dabei – aber was ist ,Dinner for One'?", fragt Harry verwirrt.

„Oh mein Gott!", rufe ich aus, „Das kann nicht sein! Du kennst ,Dinner for One' nicht? Und dabei ist das auf Englisch!"

„Ähm nein.", sagt er und kratzt sich im Nacken. „Sollte ich?"

„Ohne ,Dinner for One' ist es kein richtiges Silvester.", informiert mein Vater ihn mit ernstem Blick und wendet sich dann an mich, „Emma, führst du unseren Gast bitte in die Gepflogenheiten dieses Hauses ein. Wir machen noch schnell das Essen fertig und dann freuen wir uns sehr, deinen Freund näher kennenzulernen."

Ich stöhne auf, während sich die beiden auf den Weg in die Küche machen. Der letzte Satz bedeutet nichts anderes, als, dass mein Vater sich schon jetzt darauf freut Harry nachher mit diversen Fragen zu löchern. Ich drehe mich zu Harry, der mich halb amüsiert, halb geschockt anschaut.

„Kein Kommentar.", murmle ich doch er lacht nur.

„Deine Eltern sind der Hammer, Emma."

„Das sagst du jetzt. Warte bis du später am Tisch sitzt und meine Mutter dich in eine Diskussion über Existentialismus oder schlimmer noch, die Nachweisbarkeit unterschiedlicher Verwesungsstadien verwickelt und mein Vater dich gleichzeitig über deine Drogenvergangenheit ausquetscht."

Er tritt näher an mich heran und hebt seine Hände zu meinem Kopf. Seine Daumen streichen über meine Wange und er drückt einen sanften Kuss gegen meine Lippen. „Wird schon. Ich meine es ernst – sie sind der Hammer. Genau wie ihre Tochter.", sagt er zuversichtlich und küsst mich noch einmal, „Gott, ich bin so froh dich zu sehen."

~ ~ ~

Ich helfe meinen Eltern den Tisch zu decken und summe glücklich vor mich hin. Harry ist momentan nach oben verschwunden, um sich zu duschen und umzuziehen (ich musste mich sehr zusammenreißen, beinahe wäre ich einfach mit in die Dusche gestiegen). Jana, Chris und Thea sollten bald auch aufkreuzen und irgendwie freue ich mich darauf, dass auch sie Harry endlich kennen lernen können.

Erstaunlicherweise hat er sich auch nach der allgemeinen Vorstellung noch unglaublich gut mit meinen Eltern verstanden. Er war direkt, sachlich und interessiert wann immer er mit meiner Mutter gesprochen hat, und die Anzahl von Dad-Jokes, die er mit meinem Vater in der letzten Stunde ausgetauscht hat, war definitiv zu hoch – doch sie hat ihr Übriges getan: Beide sind absolut begeistert von ihm.

Ich grinse, während ich die Gläser für die Bowle auf dem Gedeck positioniere. Als es zum zweiten Mal an diesem Tag klingelt, rechne ich fest damit, dass es sich um meine Schwester handelt. Ich rufe ein „Ich geh schon.", in Richtung Küche und trotte zur Tür.

Als ich sie öffne, kann ich mir ein leises „Fuck.", nicht verkneifen. Es stolpert einfach so aus meinem Mund heraus. Vor mir steht Tom – und mir wird schlagartig klar, dass ich, ab dem Zeitpunkt in dem Harry aufgetaucht ist, komplett vergessen habe, dass er vorbei kommen wollte.

„Hi.", schiebe ich hastig hinter her und beiße mir auf die Lippe. Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.

Es ist komisch ihn zu sehen. Etwas zieht unangenehm in meinem Herzen und ich weiß nicht, was es ist. Es sollte nicht da sein, denn ich bin glücklich mit Harry und Tom hat sich in den letzten zwei Monaten beschissen verhalten, aber es ist da. Vielleicht bin ich wirklich zu schnell von einer Beziehung in die nächste gestolpert und habe mir nicht genug erlaubt, mit allem richtig abzuschließen.

Seltsamerweise lächelt er mich an, als hätte er die ganzen beleidigenden Nachrichten vergessen, die er mir geschickt hat. „Hi, Emma. Ähm... Danke für deine Nachricht, ich- ich hatte echt gehofft, dass wir reden können, hab mich aber nicht getraut selbst zu fragen. Hat mich gefreut, als du gefragt hast, ob wir uns treffen wollen. Hat mir Hoffnung gegeben."

„Ähm...", stottere ich. Wie bitte? Hoffnung? Hat er die Nachricht etwa falsch verstanden? Denkt er vielleicht, ich will ihn zurück? Bitte nicht. „Ja, ich wollte noch einmal mit dir reden und alles erklären, weil da so einiges schief gelaufen ist..."

Unschlüssig starre ich ihn an, bevor mir ein Gedanke kommt. „Wollen wir eine Runde spazieren gehen?", frage ich ihn. Denn ich möchte nicht wirklich, dass er Harry trifft – und das scheint mir momentan die einzige Möglichkeit zu sein.

„Klar.", antwortet er. Ich greife nach meiner Jacke, die an der Garderobe hängt und bin dabei sie anzuziehen, als er anfängt, etwas aus seinem Rucksack herauszuholen. Bevor ich ihn davon abhalten kann, beginnt er zu reden.

„Ich... Ähm, ich dachte ich bringe dir etwas mit. Als Entschuldigung. Ich war kein guter Freund und ich hab ein paar dumme Sachen gesagt und das tut mir Leid. Aber du musst auch meine Perspektive verstehen – ich dachte ich verliere dich an diesen Typen, nur, weil du vielleicht mal kurz ein bisschen mehr Abenteuer wolltest. Ich war einfach nur unglaublich eifersüchtig und sauer. Und ja – du hast Recht, vielleicht waren wir ein bisschen eingeschlafen in unserer Beziehung und haben zu wenig für einander gemacht, aber das kann ja wieder wer-"

Er stoppt mitten in seinem Satz und blickt mit weit aufgerissenen Augen über meine Schulter. Hinter mir höre ich, wie jemand die Treppe herunterläuft und kurz darauf auf Englisch spricht. „Emma, könnte ich mir bitte, bitte, bitte einen von deinen Pullis ausleihen? Hab gerade festgestellt, dass ich nur dieses eine halbdurchsichtige Hemd mitgenommen ha-"

Fuck. SHIT. Ich drehe mich um und, um die Sache noch schlimmer zu machen, steht dort Harry wie erstarrt auf der untersten Stufe der Treppe, die Haare noch nass von der Dusche und von einem Oberteil weit und breit keine Spur.

Mein Herz rast und es fühlt sich an, als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Als würde ich einen Autounfall beobachten, den ich nicht verhindern kann.

Hilflos flüstere ich Harry zu: „Kannst du kurz hochgehen Harry? Ich bin gleich da. Nimm dir ruhig was du willst."

Harrys Augenbrauen sind hochgezogen und er beißt sich auf die Unterlippe. Er hat sich vermutlich zusammenreimen können, wer dort an der Tür steht und er scheint nicht begeistert davon zu sein, mich mit ihm alleine zu lassen. Doch er nickt und macht sich auf den Weg nach oben. Bevor er jedoch die zweite Stufe in Angriff nehmen kann, presst Tom hervor: „Das kann nicht sein."

Ich drehe mich zurück und sein Gesichtsausdruck hat sich komplett verändert. Er sieht unglaublich wütend aus.

„Das ist immer noch am Laufen?", er wedelt wild mit seinen Armen, seine Stimme wird lauter.

Entgeistert blicke ich ihn an. „Ja."

„Wieso hast du mich dann heute hier her bestellt? Ich dachte du wolltest reden.", er atmet schwer ein und aus, „Wieder alles gut machen. Und dann komme ich hier her – und dieser scheiß Typ ist hier, halbnackt, bei deinen Eltern im Haus!"

„Tom!", mein Ton ist warnend. „Sprich nicht so." Gott sei Dank hat er das gerade auf Deutsch gesagt.

„Ich spreche wie ich will!", er schnaubt, seine Augen haben sich zu Schlitzen verengt, „Ich dachte du willst mit mir reden, damit wir das endlich wieder hinbiegen können. Bald bist du sowieso wieder hier-"

„Tom-", ich versuche ihn zu unterbrechen, doch Harry kommt mir zuvor.

„Hey, vielleicht solltest du erst mal ein bisschen ruhiger werden.", schlägt er vor.

Toms Hände ballen sich zu Fäusten als er sich an Harry wendet und laut auf Englisch ruft. „Halt dich da verdammte Scheiße nochmal raus! Du hast mir meine Freundin ausgespannt. Das ist alles deine Schuld, du-"

„Tom!", ich schreie beinahe. „Das reicht. Verdammt. Es ist nicht Harrys Schuld. Wann kapierst du das endlich? Ich wollte mit dir reden, um dir alles zu erklären – und, um zu verhindern, dass wir uns weiter streiten. Ich wollte einen Schlussstrich unter das alles ziehen." Ich kann nicht glauben, dass er tatsächlich damit gerechnet hat, ich wollte ihn treffen, um wieder mit ihm zusammenzukommen. What the Fuck?

Tom starrt mich an, Mund weit geöffnet und ich kann förmlich dabei zusehen, wie sein Gesicht langsam rot vor Wut anläuft.

„Es tut mir leid.", wispere ich – in einem Versuch das Ganze zu deeskalieren. „Aber ich habe das gemeint, was ich dir im November gesagt habe. Wir haben uns auseinandergelebt, Tom. Das- wir hätten nicht mehr funktioniert, selbst wenn ich Harry nicht kennengelernt hätte. Es tut mir wirklich leid, ich wollte das nicht über Skype machen damals, aber es ist nun einmal so gelaufen.", meine Stimme wird wieder fester, „Und du kannst nicht ernsthaft erwarten, dass ich nach den letzten Monaten, in denen du mich immer wieder beleidigt hast – ihn beleidigt hast – nur darauf gewartet habe, zu dir zurück zu kommen. So läuft das nicht." Ich verstehe nicht, wie er das nicht sehen kann. Wie er sich zuerst so von mir entfernt hat, mich von sich gestoßen hat und dann anscheinend trotz allem davon überzeugt zu sein scheint, dass die Beziehung eine Chance hätte, weiter zu gehen. Es ist, als hätte ich ihn nie richtig gekannt.

Ich habe keine Ahnung, warum ich dennoch das Gefühl habe mich noch einmal entschuldigen zu müssen. „Bitte, glaub mir, ich wollte nicht, dass das so endet. Deshalb wollte ich dich heute treffen, um die Wogen zu glätten."

Tom schüttelt den Kopf, „Das kann nicht dein Ernst sein!" Er betont jedes einzelne Wort. „In welcher Welt glaubst du, dass das mit dem Deppen dort langfristig funktioniert? Der Typ ist ein Player Emma. Ich dachte, du hättest mittlerweile mitbekommen, dass er sich 'n Scheißdreck um dich schert. Der ist weg, sobald es die ersten, richtigen Probleme gibt, du wirst schon sehen!"

„Du kennst ihn nicht.", protestiere ich. „Und hör endlich auf ihn zu beleidigen."

„Ich weiß genug über ihn.", spuckt er mir vor die Füße, „Aber dich – dich kenne ich wirklich nicht mehr. Das wirst du bereuen Emma!" Er hebt warnend den Finger, bevor er auf dem Absatz kehrt macht, die Tür hinter sich zuknallt und dann die Treppe hinunter poltert.

„Fuck.", stoße ich erneut aus und merke, dass ich regelrecht zittere.

Harry steht mittlerweile hinter mir, seine Hände streicheln über meine Schulter, auf und ab. Ich drehe mich, sodass ich ihn umarmen kann. Mein Kopf liegt auf seiner warmen Haut und ich versuche meine Atmung wieder unter Kontrolle zu kriegen, doch das ist schwerer als gedacht. Ich merke, dass auch er angespannt ist.

„Das war dein Exfreund, oder? Das war Tom?" Die Frage klingt abgehackt.

„Ja.", flüstere ich gegen seine Brust. „Es tut mir so leid."

„Wieso entschuldigst du dich?"

„Ich hatte ganz vergessen, dass er vorbei kommen wollte, nachdem du so überraschend aufgetaucht bist. Ich dachte ich könnte endlich mit ihm reden und ihm klar machen, dass sich zu trennen das Richtige war. Keine Ahnung, irgendwie wollte ich wohl, dass wir uns gegenseitig verzeihen können. Ist nach hinten losgegangen... Sorry, dass du das miterleben musstest."

Harry zieht über mir die Luft ein und ich merke, dass er meine Einschätzung und Entscheidung mit Tom zu sprechen – genau wie Jana – immer noch nicht teilt.

„Ich hab zwar nicht alles verstanden, was er gesagt hat, aber ich glaube eher, dass er derjenige ist, der sich entschuldigen sollte.", sagt er mit eindringlicher Stimme. „Hat er dich etwa bedroht?"

Ich presse meine Lippen aufeinander und bin froh, dass er mir gerade nicht ins Gesicht sehen kann. Ich will nicht, dass sich Harry darüber Sorgen macht – nicht auch noch darüber (oder über die lächerlichen Anschuldigungen, die Tom erneut über ihn verbreitet hat). Er ist mein Exfreund und damit auch meine Verantwortung.

„Nein.", lüge ich. „Er war nur sauer, weil er dachte, ich hätte ihm die Nachricht geschickt, weil ich wieder mit ihm zusammen kommen will – und als ich ihm erklärt habe, dass das nicht der Fall ist... war er ziemlich verletzt. Und dann kamst du ohne Oberteil die Treppe herunter gestolpert. War einfach ein äußerst ungünstiges Timing."

„Okay.", das Wort ist langgezogen. Er scheint mir nicht ganz zu glauben, doch er bohrt nicht weiter nach.

„Was war denn hier los?", kommt es plötzlich vom anderen Ende des Flurs und meine Eltern treten aus der Küche. „Emma, war das etwa Tom?"

„Ähm... ja.", stammle ich – auf einmal wieder daran erinnert, dass ich hier mit einem nur halbbekleideten Harry stehe. Der ist genauso sprachlos wie ich ob der peinlichen und unangenehmen Situation in der wir uns gerade befinden.

„Okay.", sagt mein Vater und blickt zwischen uns hin und her. „Nach fast dreißig Jahren Erfahrung als Vater von zwei Töchtern, habe ich gelernt, dass es besser ist manchmal keine Fragen zu stellen – und deshalb werde ich das jetzt einfach ignorieren und weiter an der Bowle feilen." Er wandert zurück in die Küche.

„Alles in Ordnung Emma?", meine Mutter jedoch ist stehen geblieben und betrachtet mich aufmerksam.

„Ja.", antworte ich und versuche ihrem Blick standzuhalten, doch ich weiß, dass sie sofort registriert hat, dass etwas nicht stimmt. Zu meiner Überraschung, bohrt sie allerdings nicht weiter nach, sondern folgt nach einem leisen „Wir reden später" (auf Deutsch) meinem Vater.

Ich wende mich wieder Harry zu, meine Unterlippe zwischen meinen Zähnen eingeklemmt. „Ähm, nicht, dass ich mich beschweren will – aber vielleicht, solltest du dir langsam mal etwas anziehen.", versuche ich die Stimmung aufzulockern. Es will mir nicht ganz gelingen.

In diesem Moment höre ich, wie jemand einen Schlüssel in das Schloss der Haustüre steckt und umdreht. Kurz darauf stehen Jana (beladen mit einer großen Kuchenplatte) und Chris, der Thea auf dem Arm hält, vor uns und starren uns ungläubig an.

„Da is' an'emalt.", brabbelt Thea auf einmal in die Stille hinein und Chris lacht laut auf.

„Ja, da hast du Recht Thea. Der ist angemalt."

„Metterling!", ruft sie begeistert und hüpft in den Armen meines Schwagers auf und ab, während sie auf Harrys Tattoo deutet.

„Scheint so als hättest du einen neuen Fan gewonnen.", flüstere ich Harry zu. „Thea steht auf deine Tattoos."

Er grinst, doch seine Wangen sind gerötet und er bekommt die Lippen nicht auseinander. Vermutlich hat er es sich das erste Treffen mit meiner Schwester auch etwas anders vorgestellt.

„Da ist sie wohl nicht alleine, oder Emma?" meine Schwester zwinkert mir zu und kommentiert dann schelmisch, nachdem sie einen weiteren Blick auf Harry geworfen hat: „Ich sehe, was du an ihm findest." Zum gefühlt zehntausendsten Mal an diesem Tag stöhne ich auf. Doch kurz darauf breche ich dann auch in Lachen aus. Die Situation ist einfach so verrückt – da bleibt einem nichts anderes übrig.

„Hi, ich bin Jana.", meine Schwester nickt Harry zu, während sie die Kuchenplatte auf der Kommode neben der Eingangstür abstellt und ihre Jacke auszieht und aufhängt. „Schön, dich endlich mal zu persönlich zu treffen."

„Ähm, freut mich ebenfalls dich kennenzulernen. Ich bin Harry.", er winkt etwas unbeholfen zurück bevor er mit dem Daumen hinter sich, in Richtung Treppe, deutet, „Und ich glaube, ich muss mal ganz kurz nach oben und mir etwas anziehen, bevor ich mich weiter vorstelle, denn das war eigentlich nicht so geplant und irgendwie wird das hier gerade etwas seltsam."

„Erst jetzt?", fragt Chris und hebt amüsiert eine Augenbraue an. Thea klatscht immer noch in die Hände und wirft ein „Metterling!" nach dem anderen in das Gespräch ein.

„Chris.", gluckst meine Schwester und spricht dann weiter mit Harry. „Klar, wir sehen uns gleich."

Als Harry die Treppe hinauf stolpert, sind Jana und ihr Mann immer noch am Kichern. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen.

„Ein Popstar Oben ohne als Empfangskomitee – also damit habe ich nicht gerechnet.", sagt meine Schwester schließlich, als sie auf mich zutritt und mich umarmt.

„Ich kann nicht glauben, dass das gerade passiert ist.", jammere ich in ihre Umarmung hinein, doch sie tätschelt nur meinen Rücken. „Seid lieb zu ihm, bitte.", flehe ich inständig, „Er hat vorhin schon die komplette Dosis Mama und Papa abgekommen. Ich sage nur: Die Tierinnereien-Sammlung in unserem Keller ist zur Sprache gekommen-" (und außerdem hat er meinen Exfreund getroffen, füge ich in Gedanken hinzu) „-und ich wollte euch eigentlich als die Normalos der Familie verkaufen."

Chris prustet los. „Oh Gott Emma, der Plan war ja wohl von Beginn an schon zum Scheitern verurteilt."

„Metterling!", nickt Thea zustimmend.

Jana lächelt mich an und tritt zurück – ihre Hände verharren auf meinen Schultern. „Hey, keine Sorge kleine Schwester. Das wird schon. Er scheint echt nett zu sein – und wenn er jetzt noch nicht davon gelaufen ist, dann wird er uns auch aushalten."

Zusammen laufen wir in Richtung Küche, um uns zu unseren Eltern zu gesellen. Ich atme ein paar Mal tief durch. Die letzte halbe Stunde war wirklich eine Gefühlsachterbahn der besonderen Art (und eine, auf die ich dankend hätte verzichten können.)

Ein Gutes hatte Harrys Auftritt vor meinen Eltern und meiner Schwester allerdings – er hat den Vorfall mit Tom zumindest für diesen Abend aus allen weiteren Gesprächen verbannt. Nach einem kurzen Lacher und noch ein wenig mehr Neckerei, nachdem er zurück nach unten kam, waren wir irgendwann in andere Themen vertieft. Meine Mutter hat eine Schallplatte aufgelegt (dieses Mal nicht die Stones, sondern Artie Shaw) und der Swing begleitet unsere Unterhaltungen im Hintergrund.

Begeistert stelle ich fest, dass sich Jana unglaublich gut mit Harry versteht – sie reden eine geschlagene Stunde nur über Mode und Anzüge und diese Tatsache allein macht mich überglücklich. Auch Thea ist über die Maßen von ihm angetan (ich bin nicht verwundert, denn er hat einfach eine Aura, der sich kein Mensch – ob jung oder alt – entziehen kann). Sie versteht zwar kein Wort von dem, was er sagt, aber trotzdem wuselt sie den ganzen Abend irgendwo in seiner Nähe herum. Es ist ein bisschen zu süß und mein Herz schwillt zu ungeahnten Größen an.

Insgesamt schauen wir dann noch über zwanzig Mal ,Dinner for One', betrinken uns mit Bowle und essen, bis uns fast die Bäuche platzen. Und als die Uhr schließlich zwölf schlägt, und das neue Jahr mit Harrys Lippen auf meinen beginnt, habe ich Toms Worte schon wieder komplett vergessen.

Das beste Silvester meines Lebens.

2015 kann nur fantastisch werden.

+++

Okay...
Was soll ich sagen.

Da hat Harry mit der Tour angefangen und ich musste wieder drauf los schreiben.
AHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHhh (wie genial sind die neuen Lieder????)

Geht ihr auf ein Konzert? Ich gehe zwei Mal (Ups) :D Und Niall sehe ich auch nächste Woche :))))

Okay - nun zum Kapitel. Harry kam überraschend vorbei :))) (Habt ihr damit gerechnet?)

Und er hat endlich Emmas Eltern kennengelernt - und ihre Schwester. :D Ich hoffe ihr hattet Spaß bei der Begegnung (ich hatte auf jeden Fall extrem viel Spaß dabei, das ganze zu schreiben).

Aber dann die Sache mit Tom.... Irgendwelche Befürchtungen? Vermutungen? War es klug, dass Emma nichts gesagt hat? (Noch drei Kapitel und ein Epilog... AHHHH)

Ich hoffe, es geht euch allen guuuut!

Ganz liebe Grüße!!!!

PS: Für alle, die es interessiert: Hier ist der Link zu dem Mixtape, das Harry für Emma gemacht hat :) https://open.spotify.com/user/diekleineelisabeth/playlist/5uLanmPfTWfpCLISBxZ87V?si=MkGPan6kRYyOsUhbiuCRXQ (also einfach 'diekleineelisabeth' auf Spotify suchen und dann unter den öffentlichen Playlists nach 'Harry's Mixtape' schauen und dann sollte es da sein!)

Continue Reading

You'll Also Like

151K 8.3K 98
Was passiert, wenn Thomas Müller eine WhatsApp-Gruppe gründet und mit der Zeit die unterschiedlichsten Fußballer Teil davon werden? Das Chaos ist vor...
37.2K 1.1K 38
𝐩𝐫𝐢𝐯𝐚𝐭𝐞 𝐛𝐮𝐭 𝐧𝐨𝐭 𝐚 𝐬𝐞𝐜𝐫𝐞𝐭. Aïssata ist wie jedes andere Mädchen in ihrem Alter: Sie hat ihr Abitur in der Tasche, hat danach direk...
51.9K 7.8K 162
Informationen zu Kpop und allem drum und dran Start: 01.01.2024 Ende: ? ➪ Sollte ich Fehler machen, zum Beispiel einen Namen falsch schreiben, eine...
8.1K 496 55
"Kannst du nicht für einen kleinen Moment dein Riesen-Ego abschalten und mir einfach mal zuhören?" - "Könnte ich schon, aber wo wäre denn der Spaß da...