fleur de cerisier //

By farbspritzer

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"Ich denke immer an dich. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, ja sogar jede fucking Sekunde." Linnea möchte... More

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D R E I | Vics Geheimnis

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By farbspritzer

Sofort lief Noah aus dem Raum und ich ihm gleich hinterher. Nur blieb ich nicht verwirrt in der Tür stehen, weil ich nicht wusste, wo Viktor oder die Küche war, sondern lief ohne zu zögern um den besorgten Vater herum und eilte nach links durch die geöffnete Glastür. Ich bekam mit, wie sich Noah ebenso wieder in Bewegung setzte und mir folgte.

Als ich mich erneut nach links wand, sah ich einen breit grinsenden Jungen auf den dunklen Fliesen sitzen, der mich mit der Hand zu sich wank.

„Linnn?", fragte er ganz unschuldig, während er die Stirn krauszog: „Kannst du mir mal helfen?"

Ich hörte ein beleidigtes Schnauben hinter mir. Dieses ignorierend, ließ ich mich lächelnd nickend neben ihm auf dem Boden nieder. „Natürlich. Wobei denn?"

Er zog ein zusammen gefaltetes Blatt hinter seinem Rücken hervor und drückte es mir mit der Geste, dass ich leise sein solle, in die Hand. Es war mucksmäuschenstill, als ich das DinA4- Blatt entfaltete und stumm die krakeligen Druckbuchstaben las. Als ich meinen Kopf hob und leise seufzte, weil die Geste von Viktor so süß war, vernahm ich eine traurig klingende Stimme von Viktor: „Ist es so schlecht?" Sofort schüttelte ich den Kopf, blickte ihn an und sah, dass er beschämt den Kopf zum Boden gesenkt hatte.

Als ich bereits angesetzt hatte: „Nein, Vici, dass ist eine wunderbare", unterbrach er mich indem er einen Finger auf den Mund legte und aufsprang, um auf seinen Socken über die dunklen Fliesen in Richtung des Tisches zu rutschen. Verwundert blickte ich mich nach seinen Schuhen um und erspähte zumindest einen hinter seinem Schulrucksack.

„Ich lasse euch dann mal in Ruhe eure Geheimnisse austauschen", nahm ich Noahs enttäuschte Stimme wahr und mit seiner kindlichen Naivität und seinem Unwissen, beantwortete Viktor diese Aussage, natürlich nur auf sein geheimes Projekt bezogen, mit einem fröhlichen geschrienen Ja. Cazzone.

Ich sah augenblicklich, wie der Schmerz durch Noahs Körper zog und ihn zusammenzucken lies. Mit einem aufmunternden Lächeln meinerseits, das mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts an dem Schmerz, den er empfand, weil sein Sohn ihn loswerden wollte, änderte, verließ er den Raum. Er konnte ja nicht wissen, dass Viktor gerade an einem Geburtstagsgeschenk für ihn arbeitete und wollte, dass es eine Überraschung würde.

Einen kurzen Moment zögerte ich, ob ich ihm nicht hinterherlaufen, ihn trösten und ihm alles erklären sollte. Doch dann erinnerte ich mich an den kleinen Jungen neben mir, der wahrscheinlich um einiges trauriger wäre, wenn ich seine hart erarbeitete Überraschung zerstören sollte.

„Also Viki, ich finde, dass das eine sehr süße Idee ist", begann ich seine Überraschung zu beschreiben, wurde jedoch erneut von Viktor unterbrochen, indem er mir Stift und Zettel hinhielt. Verständnislos sah ich ihn an und fragte: „Warum soll ich das denn aufschreiben? Noah ist doch jetzt weg."

Als wäre es das logischste auf der Welt, schüttelte er den Kopf und erwiderte: „Er kann uns hören. Da ist keine Tür", und zeigte auf den Durchgang zum Flur, dessen Glastür immer noch aufgeschoben war.

Nickend und schmunzelnd über seine Raffinesse, nahm ich Zettel und Bleistift in die Hand und begann in sauberen Druckbuchstaben seinen kurzen Text verbessert auf zu schreiben.

Lieber Noah,

herzlichen Glückwunsch zu deinem 26. Geburtstag.

Ich schenke dir eine Viktor-Noah Lesestunde.

Dein Viktor

Darunter schrieb ich noch meine Frage und meine Meinung in ebenso penibler Druckschrift.

Ebenso eine Frage, die mich selbst interessierte: Wie alt bist du?

„Sieben", erwiderte er prompt stolz, als er mir über die Schulter guckte und meine Frage sofort gelesen hatte.

Dafür schreibst du schon sehr gut und ich finde, dass du eine äußerst süße Idee hattest.

„Also gefällt es dir?", hinterfragte er mit einem zurückhaltenden Lächeln meine Aussage. „Ja sehr!", sprach ich aus, was er hören wollte.

Lächelnd schnappte er sich mein Blatt und setzte sich wieder auf den Küchenstuhl, um es auf ein weißes Blatt abzuschreiben.

„Ich lasse dich, dann mal in Ruhe kreativ sein", verabschiedete ich mich. Jedoch bezweifelte ich, dass er das noch mitbekam, da er konzentriert den Text abschrieb. Dabei hatte er eines seiner Beine auf den Stuhl und das andere darübergelegt, sodass es immer wieder vor und zurück schwang, und die Zunge zwischen den Lippen eingequetscht. Das Bild der perfekten Konzentration wurde von der kritisch kraus gezogenen Stirn komplimentiert.

Leise, um ihn nicht abzulenken, schlich ich mich aus dem Raum und begab erneut in mein neues Schlafzimmer, wo Noah schweigend vor dem Schrank stand und die Kiste ohne meine Unterwäsche einräumte.

„Hey", versuchte ich ihn darauf aufmerksam zu machen, dass ich wieder da war.

„Na? Hast du jetzt genug von Viktor?", fragte dieser mit einem spöttischen Unterton. Aber ohne ihn von vorne zu sehen und seine Emotionen anhand seiner Gesichtszüge lesen zu können, wusste ich, dass er zutiefst davon gekränkt war, dass sein Sohn mich ihm vorgezogen hatte. Deshalb versuchte ich meine Stimme, die unter anderen Umständen sofort bissig geklungen hätte, zu entschärfen: „Er hatte nur ein paar kleine Fragen."

Noch immer wand sich Noah mir nicht zu, sondern sortierte nur stur weiter Pullover um Pullover ein. „Ich verstehe, dass du das nicht toll fandest, aber..."

Er drehte sich zu mir und sah mich mit einem Blick an, der mit Sicherheit töten könnte. „Nein! Du verstehst es nicht! Überhaupt nicht!"

Weiterhin mit ruhiger Stimme, versuchte ich ihn zu besänftigen: „Doch. Es tat dir weh, dass er nicht mit dir geredet hat."

„Weh tun ist gar kein Ausdruck! Aber ich brauche es die auch nicht zu erklären, weil du es eh nicht verstehen würdest", aus ihm sprach die pure Wut.

„Versuch es doch wenigstens. Nur Versuch macht klug", probierte ich ihn etwas runter zu bringen. Doch es klappte nicht. Merda.

„Jetzt komm du mir mal nicht so altklug! Das kann ich echt gar nicht haben gerade! Klugscheißer braucht keiner!" Augenblicklich sanken meine Schultern und Tränen sammelten sich in meinen Augen. Eigentlich hatte ich gedacht, damit nach meinem Schulabschluss abgeschlossen zu haben, aber anscheinend verletzten mich die Bezeichnungen als Streber, Klugscheißer oder Arschkriecher immer noch. Zumindest die Erinnerungen.

„Fichu!", hörte ich ihn ausstoßen und hob meinen Blick. Ich sah, wie er sich beinah aggressiv durch seine mittellangen, dunklen Haare fuhr und mit sich haderte.

Nach einem Stöhnen, gab er schließlich auf: „Exuse. Äh, Entschuldigung."

Ich blinzelte ein paar Mal, um die ich angesammelten Tränen zu aus den Augen zu bekommen, und wischte diese dann mit dem Handrücken fort.

„Viktor ist das Beste und Wichtigste in meinem Leben. Ich verstehe einfach nicht, wie er dich, eine praktisch Fremde, mir vorziehen konnte", begann er sich zu rechtfertigen.

Ich ging die paar Schritte auf ihn zu und strich sanft über seinen Arm, um ihn zu beruhigen.

„Ich bin mir sicher, dass er dich nicht verletzten wollte. Mit Sicherheit hat er nur jemanden gebraucht, der ihm hilft."

„Jemanden, der ihm hilft", er spuckte die Worte verächtlich aus, „Ich bin der Mensch, der ihn seit 7 Jahren kennt, der dabei war als er das Licht der Welt erblickte, der ihm das Fahrradfahren beibrachte. Ich bin immer für ihn da und er fragt mich einfach nicht nach Hilfe, sondern fragt andere." Kopfschüttelt wand er sich abermals dem Schrank zu.

Ich überlegte, wie ich Noahs Unmut auf seinen Sohn besänftigen konnte, ohne Viktor unglücklich zu machen oder gar das geheime Geburtstagsgeschenk zu verraten. „Viktor meint es wirklich nicht böse. Es gibt halt nur eine Sache, die er nicht mit dir besprechen oder verraten kann. Noch nicht. Aber ich verspreche dir Noah, dass es nicht schlimmes ist. Eher das Gegenteil."

„Wirklich?", schoss er skeptisch zurück. Der hoffnungsvolle Ton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

„Definitiv." Mit diesem Wort stellte ich mich neben ihn und fing an die Kiste aus zu räumen.

„Du wirst es mir nicht verraten, oder?" Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und war überaus zufrieden damit, dass ich es ihm erfolgreich verschweigen konnte und somit Viktors Geheimnis gewahrt hatte.

„Schade. Aber ich hoffe ich kann dir vertrauen und glauben, dass Vik nichts Schlimmes passiert ist."

„Wenn ich nicht vertrauenerweckend bin, dann ist mein Beruf wohl wenig erfüllen. Was bringt einem denn ein Arzt, wenn man ihm nicht glaubt, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um ein Leben zu retten?"

„Du bist Ärztin?", erfragte Noah verwundert. Ich blickte auf und nickte, nur um gleich darauf wieder den Kopf zu schütteln.

„Was denn jetzt?", wollte er mit einem amüsierten Unterton wissen.

„Noch bin ich keine Ärztin", erklärte ich meine missverständliche Geste. „Aber, wenn alles gut läuft in 2 Jahren", schob ich schnell hinterher.

Anerkennend nickte er und sprach mir seine Bewunderung dafür aus, dass ich mich durch das harte Studium kämpfte und mich davor schon ziemlich in der Schule angestrengt hatte, um den nötigen NC zu erreichen.

„Ich bin halt ziemlich wissbegierig und es fällt mir zum Glück nicht wirklich schwer die komplexen Informationen im Kopf zu behalten."

Da ich Noah jedoch nicht mit den Themen meines Studiums langweilen wollte, versuchte ich das Thema umzulenken, sodass wir über relativ belanglose Themen redeten, während wir weiterhin die Kisten leerten.

In der Zeit in der wir uns über alles Mögliche unterhielten, verging die Zeit unglaublich schnell und ehe wir uns versahen, waren mehr Kisten geleert, als ich alleine schaffen hätte können.

„Ich gehe mal nach Viktor schauen. Es ist recht ungewöhnlich, dass er so lange kein Lebenszeichen von sich gibt. Außerdem sollte er dringend etwas trinken", informierte mich Noah, nachdem er eine weitere Kiste geleert hatte.

Schnell brachte ich ihn davon ab, indem ich sagte, dass ich das machen würde. Schließlich wüsste ich ja, wo die Gläser waren- ich hoffte zumindest, dass ich es noch wusste- und er könne in der Zeit überlegen, ob er mir noch weiterhin beim Kisten ausräumen helfen wolle.

Als Noah schon ansetzte zu antworten, deutete ich ihm, dies nicht zu tun und wirklich darüber nach zu denken. Während ich den Raum verließ, ließ er sich auf dem inzwischen gemachten Bett nieder.

„Viki, willst du nicht mal was trinken und essen?", rief ich in den offenen Ess- und Wohnbereich herein, als ich diesen betrat. Ein langes Nein seinerseits folgte prompt.

„Viktor, du musst aber mal was trinken. Es ist ungesund so lange nichts zu trinken. Glaube mir." Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, nachdem ich den Tisch erreicht hatte, an dem er immer noch saß und den Gutschein verzierte.

„Aber ich habe schon was getrunken, Lin", erwiderte er und zeigte auf ein Glas neben der Spüle. Augenblicklich wurde mir bewusst, wie vertieft Noah und ich gewesen sein mussten, als dass wir nicht mitbekommen hatten, wie Viktor nach mir oder uns rief- falls er das getan haben sollte- oder andernfalls die Schränke nach den Gläsern durchsucht haben musste.

Merda. Was war nur los mit mir?

✖✖✖
Wie findet Noahs Reaktion?
Viktors Geschenk?
Sagt mir doch bitte, was ihr von dem Kapitel haltet.
✖✖✖

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