Kapitel 29 "Die Herrscherin"

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„Wenn ich dich nicht besiegen kann." rief Leichenberger außer Atem. Natalie starrte ihn aus leeren, schwarzen Augen an.

„Dann muss ich eben das Herz erst zerstören! Ohne Magie ist diese Welt nichts und wird untergehen!" Er brach das Herz aus seiner Brust und wollte es mit aller Macht auf den Boden werfen.

„Nein!" alle stürzten sich auf ihn, doch es war zu spät. Das Herz fiel klirrend zu Boden und zersprang in tausend glitzernde Scherben. Blut trat aus den Überresten hervor.

„Was hast du getan?" die Magie verlies Natalies Körper so plötzlich, dass sie zusammensackte. Als wäre all ihre Lebensenergie plötzlich aus ihr gerissen worden.

„Ich habe sie zerstört. Eure Magiequelle. Nun steht Mondos Magie nichts mehr im Weg." Leichenberger schwankte leicht. „Die Magie geht zu uns über. Sie gehört nun uns!"

„So funktioniert das nicht!" rief Natalie ihm entgegen, völlig außer Atem, als die Magie brutal aus ihrem Körper gerissen wurde. „Alles was du getan hast, ist die Magie endgültig zu zerstören!"

„Was?" verzweifelt sah Leichenberger sich um. „Das ist unmöglich. Nein... ich habe doch..."

„Du hast die Magie in Mondos und Heris zerstört. Es gibt keine Magie mehr!" Natalie schrie ihn verzweifelt an. Sie warf ihm alle seine Taten an den Kopf, während er sich verzweifelt durch die Haare fuhr. „Was habe ich getan?" Auch er realisierte, dass es keine Magie mehr gab. Er spürte nur noch eine Leere.

„Du Monster!" schrie Natalie mit Tränen der Verzweiflung in den Augen. Sie hatte sich aufgerappelt, um Haltung zu bewahren.

„Halt die Klappe!" Leichenberger hatte die Pistole so schnell gezogen, dass niemand sie realisierte, bis sich ein Schuss aus ihr löste. Jonas rannte auf Natalie zu und wollte sie vor der Kugel bewahren. Doch sie stieß ihn von sich weg. Die Kugel glitt knapp an Jonas' Brustkorb vorbei. Sie traf sie in die Brust, nur Millimeter von ihrem Herzen entfernt. Blut trat sofort aus der Wunde aus. Jonas schrie und fing sie, bevor sie den Boden erreichte, in seinen Armen auf. Ihr Körper gab schlagartig nach und wurde schwach. Joshua rannte nun zu ihnen und werte jeden, der ihm im Weg stand ab. Er ließ sich neben Jonas fallen, wieder auf seine menschliche Größe geschrumpft.

„Nein." hauchte dieser unter Tränen. „Bleib bei mir."

Verzweifelt versuchte er die Blutung zu stoppen, doch es war vergebens.

„Bleib bei mir." schluchzte Jonas und wiederholte es immer wieder. „Bleib bei mir."

Auch Joshua kamen die Tränen. Verzweifelt kniete er neben ihr und hielt ihre Hand. Sie war eiskalt. Die Mädchen wollten ebenfalls zu Natalie eilen, doch die Soldaten ließen sie nicht durch. Sie versuchten so viele wie möglich von den drei wegzuhalten. Verschwommen, mit Tränen in den Augen, kämpften sie für ihre sterbende Freundin.

Ein letztes Lächeln glitt über Natalies Lippen. Sie hob zitternd die Hände und berührte die Wangen, der Menschen, die sie am meisten liebte. Sie flüsterte ihnen etwas ins Ohr und mit letzter Kraft sagte sie: „Machts Gut, ich liebe euch."

Eine einsame Träne lief über ihre Wange und hinterließ einen roten Schweif auf ihrer blassen Haut, als ihre Seele den Körper verließ. Jonas schluchzte ununterbrochen und hielt Natalies leblosen Körper fest in seinen Armen. Joshua saß erstarrt da. Er hatte das schon einmal erlebt. Und wieder konnte er nichts für sie tun. Er riss sich aus seiner Schockstarre und raufte sich die Haare. Er griff sich in ihnen fest, so wie es Natalie oft getan hatte. Bei dem Gedanken an sie, zog sich alles in ihm zusammen, sein gesamter Körper schmerzte auf einmal. Er krümmte sich. Nun konnte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Aus seinem Schluchzten wurde ein markerschütternder Schrei, der das Schlachtfeld erschütterte. Er war so laut, dass Jonas und die Mädchen sich die Ohren zuhalten müssten. Der Schrei war gefolgt von einer Welle, die über die Köpfe der Verbündeten wehte. Als sie die Augen wieder öffneten, lagen die Soldaten reglos am Boden. Sie waren nicht tot, aber aus dem Gefecht gesetzt. Die Mädchen entdeckten Leichenberger. Er versuchte an die Waffe zu kommen, die Natalie das Leben gekostet hatte. Anna kickte sie weg und bohrte ihre Ferse in die Hand des Mannes. Dieser schrie vor Schmerz. Stefanie und Justine stellten sich neben Anna. Ihre finsteren Mienen waren mit Tränen überströmt.

„Du hast verloren." Stefanie funkelte ihn an.

„Du wirst ihren Tod büßen." sagte Justine. „Und das in alle Ewigkeit."

Leichenbergers Miene wurde kreidebleich. „Nein. Nein, alles nur das nicht." flehte er.

Anna lächelte boshaft. „Das hast du dir selbst zu zuschreiben."

Mit diesen Worten fesselte Justine ihn mit den übrig gebliebenen Ranken und sie schleiften ihn zum Eingang der Unterwelt. Leichenberger versuchte sich mit Händen und Füßen zu wehren, doch es war vergebens. Er würde nun das bekommen, was er verdiente, das, was er Charles angetan hatte. Sie fesselten ihn in der Höhle aus Eis und ließen ihn dort zurück, bis sie wussten, wie sie in die Unterwelt gelangten und wieder rauskommen konnten.

Natalies Körper lag auf einem Bett aus Rosen, die in das Boot hineingelegt waren. Das Kleid war aus schwarzer Seide. Auf ihren Lippen lag immer noch ihr letztes Lächeln. Sie sah nicht einmal tot aus. Es war, als könnte sie jeden Moment aus diesem Schlaf erwachen.

Die Sonne war hinter den Bergen der eisigen Höhen untergegangen. Fackeln erhellten den See, in dem Natalie ihre letzte Ruhe finden sollte. Gemäß der Tradition wurde ihr Körper in dem See der Toten, in den eisigen Höhen beerdigt. Der Eingang zur Unterwelt. Die Flüsse in Heris führten alle zurück zu diesem See.

Alle waren da. Die gesamte Bevölkerung, die die den Krieg überlebt hatten, standen mit Fackeln und Blumen in den Händen um den See. Sie waren aus ihren Verstecken gekommen, um ihre Königin, die zu jung gestorben war, zu beerdigen. Anna, Justine und Stefanie standen still da. Sie klammerten sich an die Blumen in ihren Händen und versuchten Haltung zu bewahren. Ihre Augen rot und von Tränen gefüllt. Natalies Eltern und ihr Bruder konnten nicht einmal hinsehen. Sie wollten ihre Tochter so nicht sehen. Die anderen Herrscher, Jason, Arthur, Tyre, Lativa, Aisha und Scath versuchten ebenfalls nicht in Tränen auszubrechen. Als Herrscher ihrer Königreiche mussten sie Haltung bewahren. Aber selbst für Ferisa und Arcadia, die so viele Könige und Königinnen kommen und gehen gesehen hatten, war das ein trauriges Ereignis. Die ehemaligen Herrscher waren ebenfalls gekommen, um von Natalie Abschied zu nehmen. Jonas und Joshua standen neben dem Boot, in dem Natalie lag. Sie hatten keine Tränen mehr, die sie über Natalies Tod vergießen konnten.

Die Priesterin trat vor.

„Heute nehmen wir Abschied von einer Königin, die für ihr Königreich und unsere Dimension, alles aufs Spiel gesetzt hat. Wir danken dir für dein Opfer, Königin Natalie."

Sie setzte ein kleines Boot mit Rosen auf das Wasser. „Möge dieses Boot dir Geleit sein, auf deinem Weg in ein neues Leben."

Najade, die einstige Herrscherin von Elysion, trug eine Laterne zu Natalies Boot. Sie befestigte sie am Buck des Bootes und versuchte niemanden in die Augen zusehen. Auch sie waren rot und von tiefen Schatten unterlegt. Die Königin hatte Natalie auf ihrem Weg zum Thron begleitet und war ihr eine helfende Hand gewesen. Es schmerzte sie, Natalie so früh gehen zu sehen. Sie löste, gemeinsam mit Natalies Familie, die Seile, die das Boot am Steg befestigten und sie stießen es auf den See hinaus. Alle beobachteten, wie Natalies Körper auf die Mitte des Sees zutrieb und langsam versank.

Plötzlich schrie Jonas „Nein!" und watete in den See, drauf und dran das Boot aufzuhalten. Hatte Natalie sich eben nicht noch bewegt, ihn sogar angelächelt? Ihr Lachen hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Aber er wollte es sehen. Von ihr. Er wollte, dass sie ihn anlächelt, mit ihm spricht, dass sie bei ihm ist.

Joshua zog Jonas aus dem Wasser. Dieser wehrte sich und schlug um sich. Schluchzend und panisch versuchte er sich zu befreien. Doch Joshua hielt ihn fest in seinen Armen.

„Du kannst nichts mehr tun." schluchzte er. „Sie ist weg."

Verzweifelt sah Jonas Natalies Boot nach, das fast vollständig untergegangen war. Er konnte nichts mehr für sie tun. Geschlagen ließ er seinem Schmerz freien Lauf. Für Jonas brach an diesem Tag eine Welt zusammen. 

Das verlorene KönigreichOnde histórias criam vida. Descubra agora