Kapitel 5

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Wildentschlossen sah ich ihm in seine Augen. Es schien, als sei er einen Moment verwirrt und schwieg. Doch es dauerte nicht lange, da brach er in schallendes Gelächter aus. Es war eigenartig, da es sich so herzlich anhörte, so echt, so menschlich. Allerdings änderte das nichts an der Tatsache, dass ich mich wie eine Idiotin fühlte. „Ach Prinzessin, ich wusste doch, dass du was ganz Besonderes bist!" Zerknirscht setzte ich mich auf und blieb in der Hocke. „Das ist auch der Grund, wieso ich mich so fürsorglich um dich kümmere. Ich habe dir eine Zahnbürste und Zahnpasta mitgebracht. Außerdem – du wirst es nicht glauben – eine Wasserflasche und einen Salat mit Brot. Du bist die Erste, die ich so umsorge." Er hungerte sie also aus. Nahm ihnen wirklich alles. Ein qualvolles Ende.

Ich traute mich kaum zu fragen, doch es kam mir dennoch über die Lippen. „Wieso?" Er legte den Kopf schräg und wippte auf seinen Zehen vor und zurück. Wenn ich ihn so betrachtete, kam er mir vor wie ein Schuljunge. Nicht zu glauben, zu was Menschen alles fähig waren, wenn man sie ließ. War sowas angeboren oder machte die Gesellschaft den Menschen zu einem Monster?

„Weißt du, das ist im Grunde relativ einfach. Mein Prozedere, weißt du. Es gibt verschiedene Methoden, aber die bringen mich letztendlich immer zum Ziel. Ich nehme dem Menschen alles und dann beobachte ich. Ich warte und manchmal helfe ich etwas nach, mal mehr, mal weniger, das hängt nicht von mir ab. Aber das Wichtigste ist dieser eine Moment, der ist Gold wert. Und wenn der gekommen ist, dann kann ich das leidende Lebewesen endlich erlösen. Und ich bin ja kein Unmensch, deswegen gebe ich die Überreste dem Besitzer zurück." Mir wurde etwas schwarz vor Augen, immer mehr dunkle Flecken kamen in mein Sichtfeld und beschränkten es.

„Du sadistisches Arschloch.", knurrte ich. In mir brodelten so viele Gefühle, dass ich kaum wusste, wohin damit und ich entschied, sie auf ihn abzufeuern, alle miteinander. Ich sprang auf und schlug auf ihn ein, traf ihn einige Male sogar beachtlich an unangenehmen Stellen, doch er war stärker als ich. „Du solltest nicht die Hand beißen, die dich am Leben hält, Miststück. Ein wenig Respekt im Umgang. Du wirst ihn noch vermissen.", zischte er bedrohlich. Das war der Moment, in welchem er auf mich einprügelte. Er traf mich in meiner Magengrube, um mir danach seine Faust ins Gesicht zu brettern, kurz dachte ich, ein Knacken vernommen zu haben und sorgte mich um meinen Kiefer, doch ehe ich mir länger darum Gedanken machen konnte, landete ich auf dem Boden und er trat noch einige Male zu. Ein metallischer Geschmack machte sich in meinem Mund breit und angeekelt spuckte ich angestrengt ein paar Mal vor mich. Ich hörte ein durchgängiges Piepsen und war kaum noch fähig meine Augen offen zu halten, doch seine Worte drangen noch zu mir durch. Es klang wie ein Versprechen, das um jeden Preis gehalten werden würde. „Ich werde dich brechen, wie jede Einzelne vor dir und dann wirst du den Tod bekommen, den du verdienst."

Dann wurde ich in eine willkommene Dunkelheit gerissen und mein letzter Wunsch war, dass ich für immer dort bleiben könnte.

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Es war bedrückend. Jegliches Zeitgefühl ging mir abhanden und der Fakt, dass es keine Fenster gab, nahm mir auch jede Chance die Uhrzeit oder die Dauer meines Aufenthaltes zu schätzen. Die Birne leuchtete unentwegt, sodass das spärliche Licht den gesamten Raum erhellte. Die Hütte bestand aus einem weiteren Raum. Ich vermutete, dass man es als Bad schimpfte. Eine Erhöhung mit einem Loch, die als Toilette diente und zwei Eimer mit sauberen, kalten Wasser an dem zwei Lappen hingen. Jede billige Veranstaltung besaß bessere mobile Toiletten.

Es gab verschiedene Phasen, ich würde sie gerne in Tage einteilen, doch das war nicht möglich, also sprach ich in Phasen.

Ich hatte langsam die erste Phase abgeschlossen und ich wusste, wenn ich die Letzte erreichen sollte, dann würde ich sterben. Dann hatte er gewonnen, denn sobald er mich brach, endete das Spiel.

Die erste Phase war das Leugnen. Ich bildete mir ein, sie abgeschlossen zu haben, denn das war vorbei. Ich wusste, dass ich nicht träumte und mir wurde mit jedem Mal, als ich die Augen öffnete bewusst, dass ich hier nicht einfach rausspazieren konnte, um in mein Leben zurückzukehren. Wir lebten in keiner Parallelwelt und Ben würde auch nicht durch ein Portal zu mir kommen und mich retten. Dennoch war da diese Hoffnung, dass er irgendwann durch die Tür trat, mich in seine Arme schloss und mir sagte, dass jetzt wieder alles gut wäre. Ich klammerte mich an diese Hoffnung wie ein kleines Kind an sein Lieblingskuscheltier. Es war der einzige Weg hier raus. Mein Entführer war größer, stärker und besaß die volle Kontrolle. Ich war ihm ausgeliefert und meine einzige Chance war, durchzuhalten und zu kämpfen. Es war ein Zeitspiel. Ben würde kommen, aber ich musste ihm helfen, ich musste ihm Zeit geben.

Phase zwei war demnach der Überlebenskampf, es war der Moment, in welchem ich alles geben musste. Kostete es, was es wollte. Das Holz war sehr morsch und so ritzte ich rein, wie oft ich aufwachte. Da sollte jemand sagen, dass Zahnbürsten nicht individuell anwendbar waren. Ich brauchte ein wenig bis ich ein geeignetes Plätzchen dafür fand, denn ich hatte das Gefühl, dass es besser war, wenn er davon nicht wusste. Es war zugegebenermaßen nicht der beste Identifikator bezüglich meiner Dauer in dieser Hütte, doch die einzige Idee, die ich hatte, um mir selbst ein gewisses Zeitgefühl einzubilden.

Es gab viele Dinge, die mir keine Ruhe gaben, so viele ungeklärte Tatsachen, die mich umtrieben. Ich suchte beispielsweise nach Kameras, nach irgendeinem Weg, dass er mich beobachten konnte, doch ich fand nichts. Selbst Wanzen entdeckte ich keine, doch schnell gestand ich mir ein, dass ich diese wohl auch nicht finden würde, wenn es die geben würde. Seien wir mal ehrlich, ich war auf diesem Gebiet vollkommen ahnungslos. Doch es musste eine Art der Observation geben, er behielt mich irgendwie im Auge, allerdings wusste ich noch nicht, wie er das machte. 

Jedes Mal, wenn ich aufwachte, hatte ich Angst, ihn wieder da sitzen zu sehen. Ich zwang mich zu gleichen Abläufen, um mir einen Rhythmus zu schaffen, der mir Halt und Zuversicht gab. So stand ich auch heute auf, ging in den separaten Raum, hockte mich über das Loch, um zu urinieren und putzte mir die Zähne. Wie ich ohne Klopapier auskam? Ich hatte einen Lappen. Außerdem nahm ich mir vor, meine Unterhose regelmäßig zu waschen. Es war zwar nur Wasser, aber was blieb mir sonst übrig. Ich achtete auf einen sparsamen Verbrauch, denn wer wusste schon wann ich wieder Neues bekam. Ich benutzte den anderen Lappen, um mir das Gesicht zu waschen und legte ihn zurück. Es war das sechste Erwachen und der sechste Strich. Wenn man das als Strich schimpfen konnte, aber für mich reichte jede kleine Markierung.

Auch wenn ich mich erst fürchterlich vor dem Gedanken geekelt hatte, dass er mich umgezogen hatte, so war ich im Nachhinein sehr dankbar. Wer weiß, wie lange ich es in meinen Schlafsachen ausgehalten hätte. So hatte ich Socken, eine Unterhose, einen BH, ein Langarmshirt, einen Cardigan, eine weiter geschnittene Jeans und meinen Mantel.

Dann trainierte ich, es war ein Abwägen zwischen Muskelschwund und unnötigem Energieverbrauch und ich entschied mich für den Energieverbrauch, denn wer wusste schon, wann ich ein wenig Kraft gebrauchen konnte. So machte ich lediglich in Unterwäsche bei jedem zweiten Erwachen Sport, um meine Kleidung nicht durchzuschwitzen, kühlte dann etwas ab und wischte mit dem Lappen über die nötigsten Körperstellen. Daraufhin wartete ich bis ich getrocknet war und zog mich an. Aktuell reichte die Hose und das Shirt.

Durch die Temperaturunterschiede, die mir langsam auffielen, bildete ich mir ein, den Tag von der Nacht unterscheiden zu können, doch gab dies schnell wieder auf.

Und da war noch der restliche Tag, den es zu überbrücken gab. Ich ärgerte mich schnell über mein voreiliges Verfuttern der ganzen Nahrung und war dankbar über meinen sparsamen Wasserkonsum. Es blieb mir noch ein Viertel der Wasserflasche. Darüber hinaus wartete noch ein ungerührter Eimer Wasser im Nebenzimmer, den ich als Reserve benutzte, sobald die Wasserflasche leer war. Irgendwann würde ich die beiden Eimer miteinander verwechseln und davor ekelte ich mich bereits heute.

Ich dachte viel an mein Leben. Überlegte mir Szenarien, wie Freunde und Familie auf mein Verschwinden reagierten. Vor allem dachte ich aber an Ben und daran, wie er Tag und Nacht an seinem Schreibtisch vor der Tafel saß und an diesem Fall arbeitete.

Und dann fiel es mir ein. Nun wusste ich, wer das war, der mich hier wie ein wildes Tier hielt. Es war Bens aktueller Fall. Wieso bin ich darauf nicht schon viel früher gekommen? Ich Vollidiot. Sie alle nannten ihn auf dem Revier den Metzger

The Special VictimWhere stories live. Discover now