Kapitel 2

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Mit enormen Rückenschmerzen wendete ich mich auf die Seite. Etwas klebte in meinem Gesicht, ein unbekanntes Quietschen ertönte bei meiner Bewegung. Unbehaglich öffnete ich meine Augen und starrte geradewegs auf Holz. Holz? Sofort sprang ich entsetzt auf und realisierte innerhalb weniger Sekunden eine offensichtliche Tatsache.

Ich war nicht zu Hause.

Ängstlich sah ich mich um, ehe mein Blick auf einen grinsenden Mann stoß, der direkt vor der Tür auf einem alten, morschen Stuhl saß. Er hatte die Ellenbogen auf seinen Oberschenkel abgestützt und sein Gesicht ruhte auf seinen ineinander verschränkten Händen. Er hatte keinen richtigen Bart, eher überall vereinzelt, längere Haare, die ihn unhygienisch wirken ließen. Seine grünlichen Augen fixierten jede einzelne meiner Bewegungen. Er hatte eine Halbglatze und seine Erscheinung ähnelte die eines Obdachlosen, doch ich wollte ihn gar nicht unterschätzen. Wie auch immer ich hier her kam, er war höchstwahrscheinlich dafür verantwortlich.

Ich traute mich nicht noch eine weitere Bewegung zu riskieren. Zu groß war die Angst vor möglichen Konsequenzen jeglicher Handlung. Regungslos stand ich inmitten des Raumes, hoffte, dass das nur ein Traum war und ich gleich in meinem weichen Bett aufwachen würde, wo ich hingehörte. Ich würde gleich mit Ben gemütlich frühstücken und er würde sich darüber lustig machen, wie ich morgens aussah.

Doch im Moment war da nur er und ich. Er rief in mir eine innere Panik aus, die ausbrechen wollte. Ich hörte mich schreien und sah mich um mich schlagen. Doch ich hatte mich nicht vom Fleck gerührt und auch meine Stimme versagte. Es schien mir, als hielt ich die Luft an und erstickte an meiner eigenen Angst.

Er brach schließlich noch immer grinsend die Stille. „Ich liebe es." Seine kratzige Stimme ließ mich zusammenzucken. Konnte das noch ein Traum sein? Ich flehte innerlich darum.

Setz dich, Prinzessin.", säuselte seine Stimme, die mir eine unangenehme Gänsehaut bescherte. Wie konnte das real sein? Tränen wollten sich in meine Augen kämpfen, doch ich unterdrückte sie mit aller Kraft. Ruhig bleiben. Es gab so viele Optionen. Es würde alles gut werden. Es endete immer gut, doch für wen? Meine Gedanken wanderten zu Ben und seinen hunderten Lektionen und Warnungen. Ich verfluchte mich selbst dafür, ihm in solchen Momenten nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.

ICH SAGTE: HINSETZEN!", schrie er aufgebracht, wobei er aufstand. Sofort zuckte ich ängstlich zusammen und sah auf meine rechte Seite, wo ein ebenso alter Stuhl stand. Unsicher, ob er überhaupt einen Kilogramm vertrug, ohne in sich selbst zu zerfallen, näherte ich mich ihm und setzte mich vorsichtig hin.

Sehr schön, Prinzessin. Wieso nicht gleich so? Du stehst wohl auf die grobe Art. Da haben wir ja schon die erste Gemeinsamkeit", sagte er wieder mit diesem Grinsen, das mich anwiderte. Er war groß, schlaksig gebaut und trotzdem angsteinflößend. Was auch immer er vorhatte, es würde mir sicherlich nicht gefallen und ich musste schleunigst dieser Situation entkommen.

Wollen Sie Geld?" Es war ein erster Versuch. Leider konnte ich trotz größter Bemühungen ruhig zu klingen, meine zittrige Stimme nicht verbergen. Er lachte laut auf, als wäre das das Witzigste, was er in der letzten Zeit gehört hatte. Doch sein Lachen war nicht schön oder aufheiternd, nein, es war gruselig und unangenehm. Sein kehliges Lachen ließ ihn noch viel älter erscheinen, als er schon ohnehin aussah. Sein Geruch ließ darauf schließen, dass er in letzter Zeit keine Dusche gesehen hatte. Während er so grässlich lachte, blitzten gelbliche, schiefe Zähne hervor.

Du bist wirklich witzig. Aber das ist nicht deine einzige Qualität, wie wir beide wissen. Habe ich nicht Recht, meine Prinzessin? Bildhübsch sahst du jeden Tag aus in den Straßen von New York.", bemerkte er und sein Grinsen, welches mir so Sorgen und Angst bereitete, wollte dabei nicht verschwinden. Nicht meine einzige Qualität? Bildhübsch in den Straßen von New York? Hatte er mich observiert? Wie lange schon? Was wusste er von mir? Panik überkam mich und ich sah mich unsicher um. Was wollte dieser Kerl nur von mir? Meine schwitzigen Hände bohrten sich in meine Jeans. Moment Jeans? Ich hatte aber meinen Schlafanzug an. Hatte er mich umgezogen? Wie widerlich. Immer mehr spürte ich, wie mein Mageninhalt nach oben kletterte, bat, rausgekotzt zu werden. Ich schüttelte mich kurz und sah wieder in das Gesicht dieses Mannes, das ich nie zuvor gesehen hatte.

Wie...wie lange...beobachtest du mich schon?", krächzte ich. Mein Hals fühlte sich so unglaublich trocken an und meine Angst schnürte mir praktisch meine Kehle zu. Ich krümmte mich unter seinem psychopatischen Blick etwas zusammen und sah von unten auf ihn hinauf. Wie konnte ich in einer solchen Situation landen?

Ach Prinzessin, eine Woche? Vielleicht zwei? Hast ja ein wirklich schönes Leben. Einen erfolgreichen Mann, eine luxuriöse Wohnung, eine großartige Karriere.", antwortete er mir. Mir entwich meine Luft und geschockt sah ich mich um, überall außer in die Augen dieses Psychopathen.

Wie ich bemerkte, handelte es sich hier um eine Holzhütte. Das verlieh dem Ganzen noch mehr  Horrorfilm-Stil. Ich schluckte und schloss einen Moment meine Augen. Doch auch so entkam ich nicht dem Bild, das mir sich bot. Ich sah diese Hütte und diesen Kerl. Beides wollte nicht aus meinen Gedanken verschwinden, sodass mir jede Chance auf einen klaren Kopf verwehrt blieb. In der Ecke stand das knarrende Bett, auf dem ich scheinbar gelegen hatte. Links von mir war ein großer, hölzerner, alter Schrank, der seine besten Tage schon lange vor meiner Geburt erlebt hatte. Ich saß auf einem Stuhl, welcher jeden Moment einkrachen könnte. Links von mir war ein genauso instabil aussehender Holztisch. Links diagonal von mir gesehen, war eine Tür, vor welcher er noch vor wenigen Minuten Platz genommen hatte.

Ich fühlte die Angst, die Stück für Stück jeden einzelnen meiner Gliedermaßen lähmte, sodass sie taub und leblos erschienen. Ein Piepen schlich sich in mein Gehirn und dominierte mein Gehör. Meine Angst radierte Stück für Stück mein gesamtes Wissen aus, wodurch ich der Situation unbewaffnet ausgeliefert war. Was sollte ich jetzt tun? Vollkommen überfordert wagte ich erneut einen Blick zu dem Mann, der mich in diese Situation gebracht hatte.

Er stand auf und in mir wuchsen meine Angstzustände um ein Zehnfaches an, wenn sich dies überhaupt im Bereich des Möglichen bewegte.

Du bist wirklich bildhübsch. Wie deine Vorgängerinnen. Erfolgreich, hübsch, reich." Er grinste  und strich mir bedacht und sanft über meinen blonden Haarschopf. Angewidert wollte ich aufspringen, seine Hand wegschlagen, doch ich entschied mich in letzter Sekunde anders. Wer weiß, wie er darauf reagieren würde. Ganz davon abgesehen fühlte ich mich psychisch wie auch physisch überhaupt nicht in der Lage dazu. 

Doch hatte er Vorgängerinnen gesagt? Vergewaltigt er etwa Frauen? Galle stieg in mir auf und ich drückte mich an die Stuhllehne, um so viel Abstand wie möglich aufzubauen. Ungewiss wie lange ich den Kotzreiz unterdrücken konnte, atmete ich ruhig ein und aus. Doch das entwickelte sich schnell zu hektischen Schnappatmungen, die meine Panik nur noch mehr zum Ausdruck brachte. 

Plötzlich dachte ich an Ben. Er erschien, wie aus dem Nichts, vor meinem inneren Auge. Tränen sammelten sich gegen meinen Willen in meinen Augen und ich unterdrückte das Verlangen, laut zu schniefen. Keine Schwäche zeigen, tue es für ihn. Er würde mich finden und retten, das musste er einfach. Er ist Ben, er würde das schaffen, er schaffte alles.

Ich startete meinen letzten Versuch, ehe er mich vermutlich vergewaltigen würde. Willst du nicht lieber einfach Geld?"

Er grinste schadenfroh, tappte von einem Fuß auf den anderen, ließ mich zappeln. Ich mag dich, Prinzessin, aber du wirst das gleiche Schicksal wie deine Vorgängerinnen haben. Geld regiert zwar bekanntlich die Welt, aber nicht meine, Prinzessin."

Ich keuchte auf. Was wollte er nur von mir? Ich wollte nur nach Hause in mein kuscheliges Bett und einfach wieder mein Leben leben. Doch was war mit den anderen geschehen? Vielleicht würde er mich vergewaltigen, aber danach frei lassen. Ich könnte wieder anfangen, zu leben. Ich kniff meine Augen zusammen, nichts, was ich mir vorstellte, war wirklich schön, doch was würde er nun machen wollen? Was sollte das Ganze? Was ist mit den Vorgängerinnen passiert?

Was..was..ist mit den anderen passiert?", flüsterte ich mit erstickter Stimme. Mir war nach Weinen und Schreien zu Mute. Ich wollte nach Hause. Ich wollte, dass das hier nur ein Albtraum war. Doch je länger es anhielt desto mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht erwachen würde, das dies nicht nur ein kranker Traum war, sondern die grausame Realität.

Er grinste weiterhin zufrieden, sah mich genau an, ehe er antwortete: Ich tötete, zerstückelte und schickte sie in ihren Einzelteilen dahin zurück, von wo ich sie geraubt hatte."

The Special VictimWo Geschichten leben. Entdecke jetzt