Kapitel 12 │Frust und Flammen

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Durch das Verlieren eines weiteren Zeltes mussten sie sich nun auf noch engerem Raum zusammendrängen. Elaine, Sarah und Karen waren auf die verbliebenen beiden Zelte aufgeteilt worden, als sie am Vorabend zwischen Bäumen das Lager aufgeschlagen hatten. Ihr aller Hunger war inzwischen so groß geworden, dass sie die Innenseiten ihrer Wangen zerbissen hatten, ihre Muskeln schmerzten und sie hatten mittlerweile aufgehört, verstehen zu wollen, was in den letzten Tagen geschehen war. Denn so sehr sie sich darüber auch den Kopf zerbrechen mochten - es lieferte ihnen keine Antworten.

Den Blick teilnahmslos ins Leere gerichtet, starrte Oliver mit völliger Gleichgültigkeit schon seit einer halben Stunde geradeaus und schien, wie James feststellte, erschreckender Weise kaum mehr Notiz von etwas zu nehmen. Adams Tod hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen und wenngleich sie alle seinen Verlust betrauerten, hatte es ihn am schwersten getroffen. Derart niedergeschlagen hatte er Oliver noch nie gesehen, der Berg hatte ihm sämtliche Lebensenergie entzogen, geschlafen hatte er allem Anschein nach auch kaum. Es schien, als wäre er um viele Jahre gealtert. Das sonst so lebensfrohe Funkeln in seinen Augen war einer tiefen Erschöpfung gewichen, er schien zunehmend den Mut zu verlieren, und zwar rapide. Besorgt musterte James ihn und spürte wieder das nagende Gefühl der Schuld in sich aufwallen. Trotz des Wissens, dass er keine Verantwortung für den Verlauf der Wanderung trug, bedrückte ihn immer noch die Tatsache, dass er es war, der seinen Bruder zum Mitkommen überzeugt hatte. Die Wanderung hatte ein schönes Erlebnis werden sollen, doch nun war sie in einen ausgemachten Albtraum ausgeartet, der sie sowohl physisch, als auch psychisch zerstörte.

Angestrengt überlegte James, wie er Oliver aufmuntern konnte, doch so sehr er auch grübelte, es fiel ihm nichts ein. Und ehe er leere Worte herunterspulte wie, dass alles wieder gut werden würde, zog er es vor, zu schweigen, denn es wäre nichts als eine Lüge.

Eine Thermoskanne, die in sein Sichtfeld geriet, riss ihn aus seinen Gedanken. Überrascht sah er zu Karen auf, die ihm mit einem freundlichen Lächeln Wasser anbot.

„Danke", entgegnete er leise, da die anderen noch schliefen oder in ihren Schlafsäcken dösten und nahm die Thermoskanne an, deren Inhalt erfreulicherweise noch lauwarm war. Offenbar war das Wasser gerade erst frisch abgekocht worden. Es war nicht viel, aber es verschaffte ein wenig Wärme im Magen.

Sobald Karen die Thermoskanne zurückerhielt, sah sie anfangs unsicher zu Oliver, kam dann jedoch zu dem Schluss, dass auch er einen Schluck Wasser vertragen konnte. Als sie ihm aber die Thermoskanne hinhielt, drehte er leicht den Kopf weg.

„Du solltest auch mal etwas trinken", versuchte sie ihn zu überzeugen, doch er rührte sich nicht. Mit angewinkelten Knien und den Schlafsack als Decke nutzend, saß er an die Zeltwand gelehnt. Karen war allerdings nicht gewillt, so schnell aufzugeben und bediente sich einer anderen Taktik. „Ich weiß, Adams Tod macht dir schwer zu schaffen", redete sie sanft auf ihn ein, „und ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich direkt neben ihm gestanden hätte. Aber ich denke auch, dass Adam nicht gewollt hätte, dass du jetzt in Trauer versinkst."

Gespannt warteten sie auf seine Reaktion. Eine Antwort erhielten sie nicht, doch James bemerkte, dass sich etwas in seinem Blick verändert hatte. Etwas Gequältes lag darin, ein schmerzhafter Ausdruck. Er hatte es schon einmal gesehen und endlich glaubte er zu wissen, was der Grund für den gestrigen Tränenausbruch und seinen andauernden Kummer war. Es war nicht nur die bloße Tatsache gewesen, dass er direkt neben Adam gestanden hatte, als dieser in den nassen Tod gestürzt war.

„Du gibst dir doch nicht die Schuld an seinem Tod, oder?", sprach er seine Vermutung aus und ein Blick genügte, um seine Theorie zu bestätigen. Worte brauchte es dafür nicht.

„Ich wünschte, ich wäre weggerutscht und nicht er", gestand Oliver zu ihrem Entsetzen.

„Sag sowas nicht!", entgegnete James, denn allein der Gedanken daran versetzte ihm eine Gänsehaut.

„Vielleicht hätte er schneller reagiert als ich. Hätte ich ihn festgehalten, wäre er jetzt nicht tot."

„Ich bin froh, dass du ihn nicht festgehalten hast", gab James ernst zurück, woraufhin sein Bruder ihn mit einer Mischung aus Bestürzung und Verständnislosigkeit ansah. „Sonst wärt ihr jetzt beide tot. Er hätte dich mit ins Wasser gerissen."

„Vielleicht hätten wir es zusammen da raus geschafft."

„Hättet ihr nicht", warf Karen ein. „Die Strömung war viel zu stark."

„Und niemand macht dir zum Vorwurf, dass du ihn nicht festhalten konntest", fuhr James fort. „Es ging alles viel zu schnell, du hattest überhaupt keine Chance und Adams Jacke war nass vom Schnee. Weißt du noch, was du zu Alex gesagt hast?", erinnerte ihn James an das Lawinenunglück, bei dem Alex es war, der sich Vorwürfe bezüglich Hardmans Tod gemacht hatte. „Dass er keine Schuld an dem hat, was passiert ist. Und weißt du auch noch, was ich ihm daraufhin gesagt habe? Dass nicht er Mike getötet hat, sondern die Lawine und für dich gilt das gleiche: Nicht du hast Adam getötet, sondern das Wasser."

Oliver schloss für einige Sekunden seufzend die Augen, da James ihn soeben Schachmatt gesetzt hatte.

„Du bist nicht Schuld an Adams Tod", wiederholte James eindringlich und spürte das Bedürfnis, ihn an den Schultern packen und schütteln zu wollen, um es ihm zu verinnerlichen. Für einen Moment trat Stille ein, in der sie ihm Zeit gaben, das Ganze zu überdenken.

„Willst du wirklich nichts trinken?", fragte Karen nach einer Weile vorsichtig und sowohl die Art und Weise wie sie lockend mit der Thermoskanne wedelte, als auch ihr erweichender Blick entlockten Oliver nun doch zum ersten Mal ein halbherziges Lächeln. Ergeben streckte er eine Hand aus und nahm die Thermoskanne an, denn andernfalls würde sie es wohl stetig weiter versuchen, bis er zustimmte. Seine Miene wurde wieder ernst.

„Er hat geholfen, dich aus dem See zu holen", erinnerte er James an den Einbruch ins kalte Wasser am Vormittag.

„Ich weiß", gab dieser betreten zurück. „Trotzdem ändert es nichts. Wir sind nicht schuld an seinem Tod."

„Darauf wollte ich auch nicht hinaus", erklärte Oliver und befreite sich von seinem Schlafsack, um aufzustehen.

James seufzte innerlich. Er wusste, worauf er hinauswollte. Adam hatte geholfen, ihn aus dem Eis zu befreien, sie dagegen hatten es verpasst, ihn zu retten. Aber wie hätten sie ihm helfen sollen? Das Flussufer war zu hoch gelegen und vereist, der Schnee für ein schnelles Vorwärtskommen zu tief und die Strömung zu stark gewesen. Sie hatten nicht den Hauch einer Chance gehabt.

Inmitten seiner Gedankengänge schaffte James gerade noch zu reagieren. Zeitgleich mit Karen streckte er eine Hand in die Höhe und bekam Oliver am Arm zu fassen, der mit einem Mal heftig ins Schwanken geriet und eine starke Fallneigung in seine Richtung entwickelte. Besorgt sah er zu ihm auf. Augenscheinlich schien sein Bruder gerade gegen Schwindel anzukämpfen und einige Mühe dabei zu haben.

„Mach langsam", mahnte Karen und erst, als sie sicher waren, dass er einigermaßen die Kontrolle zurückgewonnen hatte und wieder geradeaus gehen konnte, ließen sie ihn los. Der Mangel an Nahrung und Trinkwasser machte sich nun immer deutlicher bemerkbar. Aus dem Nachbarzelt war plötzlich Geschrei zu hören, scheinbar waren dort bereits alle wach. Stumm hielten sie inne, um dem Trubel zu lauschen und vermuteten bereits einen Streit, bis mit einem Mal beißender Qualm zu riechen war. Irgendetwas stimmte nicht. Hastig stürmten sie aus dem Zelt und glaubten ihren Augen nicht zu trauen. Das Nachbarzelt hatte Feuer gefangen, schon nach wenigen Sekunden stand es lichterloh in Flammen. Jarvis, Greenstein und Ramsland schäumten von Wut und erster brüllte wie wild auf Gruber und Fletcher ein, die offenbar die Verursacher des Brandes waren.

„Wollt ihr mich verarschen?!", schrie Jarvis bebend vor Zorn, der aussah, als würde er Gruber die Eingeweide herausreißen wollen. „Wollt ihr mich verarschen!?! Ihr seid echt die dämlichsten Idioten, die mir je untergekommen sind! Wie kann man so bescheuert sein? Sagt mir das!"

Gruber murmelte eine kaum verständliche Antwort und zog den Kopf ein, als würde er vor dem nächsten Schauer aus Schimpfworten in Deckung gehen, die auf ihn einprasselten.

„Fickt euch!", entgegnete Jarvis wutschnaubend, während Dillman die Flammen zertrat und noch irgendetwas von dem Zelt zu retten versuchte. „Wegen euch gehen wir noch alle drauf! Wir haben eh schon zu wenig Zelte und ihr fackelt die auch noch ab! So eine Scheiße hier, echt!"

Hin und her laufend raufte er sich die Haare, brüllte immer weiter und weckte damit auch den letzten noch Schlafenden. Sein Tobsuchtsanfall endete erst, als ihm die Stimme versagte und er sich heiser geschrien hatte.

„Was ist passiert?", wagte Oliver Ramsland zu fragen, der im Gegensatz zu den drei anderen stumm vor sich hin grollte.

„Die Deppen haben das Zelt in Brand gesteckt", knurrte er. „Haben wohl das Benzin vom Gaskocher verschüttet, so wie ich mitbekommen habe. Mehr weiß ich auch noch nicht."

Dillman gelang es endlich, die letzten Flammen zu ersticken. Teils entsetzt, teils resigniert betrachteten sie alle die kläglichen verkohlten Überreste des Zeltes. Eines der letzten, das ihnen noch geblieben war. Nun hatten sie nur noch eins, das für dreizehn Personen jedoch viel zu wenig Platz bot. Sie würden die Nächte dicht aneinander gekauert im Sitzen ausharren müssen. Doch wie sich herausstellte, war die Spitze des Eisbergs noch nicht erreicht, denn mit dem Zelt waren zudem alle darin befindlichen Schlafsäcke und Rucksäcke verbrannt, die man nicht mehr rechtzeitig vor den Flammen hatte retten können. Außer Jarvis und Ramslands Rucksack, sowie Greensteins Schlafsack war alles unwiderruflich verloren. Manche verfielen in resigniertes Schweigen, manche fluchten hemmungslos und obwohl die Meisten mit gewahrter Fassung darauf reagierten, standen sie kurz davor, durchzudrehen. Die Anzahl an Niederschlägen erreichte die Grenze des Ertragbaren.

Die Enttäuschung und Frustration darüber hielt noch lange an, bis schließlich auch der Letzte einsah, dass es keinen Sinn hatte, sich weiter darüber aufzuregen. Es machte das Geschehene nicht rückgängig. Stattdessen holten sie irgendwann die Karte hervor und machten sich daran, die Route für den heutigen Tag festzulegen. Mit etwas Glück würden sie schon heute Abend oder morgen früh die Hütte erreichen.

Was genau den Brand verursacht hatte, klärte sich erst, als Fletcher nach etlichen Nachfragen endlich mit der Sprache herausrückte.

„Ich hab versehentlich etwas von dem Benzin für den Gaskocher auf den Zeltboden verschüttet und mit einem Pullover weggewischt", beichtete er. „Habe nur leider nicht alles erwischt, anscheinend war doch noch etwas auf dem Boden, das habe ich aber nicht gesehen. Ich wollte dann den Kocher anwerfen, aber meine Hände haben so gezittert. Ich weiß gar nicht mehr genau, was dann passiert ist, auf jeden Fall hat der Rest Benzin am Boden Feuer gefangen. Jim wollte es löschen, hat natürlich das genommen, was am schnellsten greifbar war und das war ausgerechnet der Pullover. Er hat nicht gesehen, dass ich damit das Benzin weggewischt hab, so schnell wie er ihn gepackt hat, konnte ich ihn gar nicht warnen. Der Pullover hat sofort Feuer gefangen, Jim hat sich verbrannt und das Teil weggeworfen."

Seufzend pausierte er mit seiner Erzählung und war sichtlich untröstlich. Was daraufhin passiert war, konnten sie sich alle ausmalen.

„Er hat ihn genau in die Zeltecke geworfen und das Feuer hat sich durch die Wände gefressen", schloss er dennoch ab.

Es zu hören, machte das Geschehene nicht weniger tragisch, doch zumindest konnten sie verstehen, wie es dazu gekommen war. Die verkohlten, schwarzen Überreste zurücklassend, zogen sie wenig später weiter. Sie versuchten, so gut es ging, die Position der Hütte zu bestimmen. Gemäß ihrer Schätzung würde ein großer Teil der Strecke aus bewaldeten Berghängen bestehen, die sie zum Fuß des Berges bringen würden, wo der Parkplatz und die Hütte lagen.

Die meiste Zeit des Tages verbrachten sie mit der monotonen, kraftraubenden und gnadenlosen Arbeit, sich einen Weg durch den Schnee zu bahnen, der zwischen vereisten Wurzeln, verschneiten Nadelbäumen und kargen Felsschluchten herführte. Ihre Gedanken wanderten zu ihren Verwandten, die sicher längst von ihrem Verschwinden erfahren haben mussten und große Sorgen und Ängste durchlitten. Ein beklemmendes Gefühl überkam James, als er an seine Eltern dachte. Nicht nur er selbst, sondern auch sie waren in diesen Alptraum mit hineingezogen worden. Das Wissen, ihnen derartigen Kummer zu bereiten, veranlasste ihn dazu, beharrlich weiterzukämpfen, denn die Vorstellung, nicht zu ihnen zurückzukehren, wollte er sich nicht weiter ausmalen. Wann immer er das Bedürfnis hatte, sich vor Erschöpfung einfach in den Schnee fallen zu lassen, rief er sich das Bild seiner Mutter vor Augen. Ihre Mutter, die sie so sehr liebte, sie in allen Lebenslagen unterstützt, behütet und sie niemals ungleich behandelt hatte, was, so vermutete er, bei Zwillingen nicht gerade einfach gewesen war. Sie hatte sie nie in irgendeine Richtung gedrängt, sondern ihnen vollkommene Freiheit gelassen. Wenn sie wirklich wollten, konnten sie alles erreichen. Das war, was ihre Mutter ihnen mit auf den Weg gegeben hatte und wenngleich es eher ihren zukünftigen Lebensweg betreffend gewesen war, verlor es angesichts ihrer jetzigen verzweifelten Lage keinerlei Bedeutung.


Es war etwa vierzehn Uhr, als Greenstein unerwartet innehielt.

„Matt!", rief Jarvis von der Spitze des Trupps aus. „Bist du festgefroren?"

„Sssscht!", machte der Angesprochene abrupt, was Jarvis gähnend anhalten ließ. Das anstrengende Wandern durch den Schnee machte sie müde. Stockend stoppte auch der Rest der Gruppe und sah unter trägem Blinzeln über die Schulter zu Greenstein, der hoch in die Wipfel der Bäume starrte, als würde er etwas suchen.

„Hast du Hallus oder was?", vermutete Dillman entnervt.

„Man, seid doch mal still!", fuhr Greenstein sie an. Wie befohlen blieben sie alle stumm und lauschten den Umgebungsgeräuschen, bis sie verstanden, was er meinte. Es war ein gleichmäßiges Brummen, ganz leise nur, doch es passte eindeutig nicht hierher.

„Was ist das?", wollte Sarah verunsichert wissen.

Während sie sich weiter auf das Geräusch konzentrierten, formte sich in ihren Köpfen ein Gedanke, der sie sofort hoffnungsvoll den Himmel absuchen ließ. Langsam kam das Geräusch näher und nun waren sie sich sicher. Es waren Rotorblätter. Irgendwo über ihnen kreiste ein Hubschrauber.

„Das is'n Hubschrauber!", verkündete Ramsland begeistert.

Die Welle der Freude, die sie alle überkam, war grenzenlos. Sie stießen Jubel aus, ihre Augen begannen zu strahlen, jegliche Müdigkeit war wie weggewischt. Der Lärm des Hubschraubers wurde lauter und lauter, jetzt musste er genau über ihnen sein. Angestrengt legten sie die Köpfe in den Nacken, doch sie blickten bloß in die Baumkronen. Vom Hubschrauber war nichts zu sehen und mit einem Mal traf Ramsland die Erkenntnis wie ein Blitz. Wenn sie den Hubschrauber nicht sahen, würde der Hubschrauber sie vermutlich auch nicht sehen können.

„Raus hier!", forderte er sie erschrocken auf. „Wir müssen aus dem Wald raus, die sehen uns nicht!"

Schlagartig rannten sie los, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Alle Kraft aufbringend, die ihnen nach dem langen Marsch noch geblieben war, preschten sie durch den Pulverschnee in Richtung der Baumgrenze, die noch mehrere hundert Meter entfernt lag. Bangend, hoffend und betend. Jarvis, Elaine und James waren die ersten, die den Schutz der Bäume verließen und sich auf freier Hangfläche wiederfanden.

„HEY!"

„HEEEEEY!!"

„Hier!"

Sie schrien, sprangen in die Luft und winkten mit den Armen. Der Hubschrauber entfernte sich bereits. Für einen Moment setzte ihnen das Herz aus, denn es sah so aus, als würde die Richtung wechseln. Verzweifelt zogen sie ihre Jacken aus und schwangen sie über ihren Köpfen hin und her, um die Aufmerksamkeit des Hubschraubers zu gewinnen.

„Er kommt zurück!", verkündete Elaine freudestrahlend.

„Nein...", murmelte James, den eine böse Vorahnung beschlich. „Der dreht ab."

Entsetzen stahl sich ins Elaines Gesicht, sie hielten den Atem an und im selben Augenblick bestätigte sich sein Verdacht. Der Hubschrauber drehte ab und verschwand auf der anderen Seite des Berges. Das Brummen der Rotorblätter wurde immer leiser. Die Gewissheit ließ ihn kraftlos auf die Knie sinken. Die Hände in den Schnee gestützt, atmete James tief ein und aus, während sich die Anderen sich um sie sammelten. Unter einem zornerfülltem Laut der Verzweiflung schleuderte Jarvis seine Jacke in den Schnee. Vor lauter Wut wusste er nicht, wohin mit sich. Als würde der Hubschrauber jeden Moment wieder auftauchen, klammerte sich Elaines Blick an den Horizont.

„Er hat uns nicht gesehen", teilte James seinem Nebenmann mit und seine Stimme klang genauso entmutigt und erschöpft, wie er sich fühlte. Ein heiseres Husten über ihm machte ihm klar, dass es Oliver war, der neben ihm stand. „Wir waren so nah dran..."

„Das ist doch gut", gab Oliver nach einem schmerzerfüllten Keuchen zurück, da jedes Husten sich wie ein brutaler Tritt in die Rippen anfühlte.

„Was soll daran bitte gut sein?!", brauste Jarvis auf, der seinen Einwand gehört hatte.

„Dass der Hubschrauber hier war, heißt, dass sie nach uns Suchen."

„Oh ja, toll!", rief Jarvis voll Ironie. „Ich kann mich kaum noch halten vor lauter Freude! Das sollten sie langsam auch mal! Wir sind immerhin schon mehr als fünf beschissene Tage hier oben!"

„Der Hubschrauber kommt vielleicht nochmal zurück", warf James in dem Versuch ein, den letzten Rest Hoffnung aufrechtzuerhalten.

„Ja, bestimmt!", spottete Jarvis. „Der Letzte hat ja auch nur eine Woche gebraucht, bis er aufgetaucht ist! Wenn du immer noch glaubst, dass dein Arsch schön bequem hier rausgeflogen wird, tust du mir echt leid!"

„Was hast du eigentlich für ein Problem?", fuhr Oliver dazwischen. „Du explodierst bei jeder Kleinigkeit, springst dann tobend herum wie ein wild gewordener Gockel und stauchst jeden zusammen, der bei drei nicht auf dem Baum ist. Ich weiß, dein Nervenkostüm ist ziemlich dünn und du hast Angst, aber das ist bei uns allen so und es ist auch kein Grund, jedes Mal an die Decke zu gehen."

„Wie hast du mich gerade genannt?", fragte Jarvis, der nun in einer gefährlichen Ruhe zu ihm hinüberkam, sich vor ihm aufbaute und ein Blickduell lieferte. Dieses allerdings fiel weniger einschüchternd aus als erhofft, da er die Größe seines Gegenübers falsch eingeschätzt hatte. Oliver überragte ihn um mehrere Zentimeter und die Wirkung verpuffte.

„Jarvis!", mahnte Ramsland barsch, der sich zum Eingreifen genötigt fühlte, um ein Deeskalieren der Situation zu vermeiden. „Komm mit der Karte her, sonst frieren wir hier noch fest."

Unter einem letzten verachtenden Blick wandte sich der Angesprochene schließlich ab und stapfte wieder an die Spitze der Gruppe zu Ramsland, der ihn dort im Auge zu behalten gedachte.

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