Letzte Momente

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Minuten, Stunden, ja ganze Tage schienen schwammig wie die Fetzen des Nebels an ihnen vorbeizurauschen. Zeit versank in Schmerz und dem eisernen Griff des Fiebers, dabei zitterte der Leutnant in seinen Armen unablässig, zerrissen in Glut und Eis, als ihn immer wieder die Klaue des Schüttelfrosts packte.

Allein seine Hand drückte noch immer schwach den Handschuh gegen Williams Wunde, deren Blutung immer mehr versiegte. Stattdessen pulsierte nur dröhnender Schmerz durch seine Brust, schoss durch seine Knochen und füllte seinen ganzen Körper aus.

Und doch zwang der Brite seine Sinne zur Schärfe. Jedes Rascheln einer Uniform, jede schnelle Bewegung am Rande seines Sichtfelds, jedes dumpfe Hallen von Stimmen könnte ihr Überleben sichern – oder ihren Tod.

Er hätte gerne gespottet, irgendwie die Gefahr dieser Situation ausgemerzt, aber seine spröden Lippen brachten kein Wort mehr hervor. Selbst den Griff zu seinem Flachmann war eine zu große Hürde.

Stattdessen begnügte er sich einfach damit, dass er Konstantins schmalen Körper an sich drücken konnte, ohne das dieser ihn mit einer Tirade aus keifenden Worten und kritischen Blicken überschüttete.

Vielleicht lag es an Schwäche, vielleicht aber auch Vertrauen, das diese Schranke, diese Kluft der Distanz zwischen ihnen zerrissen hatte. Aber egal was es war, William würde alles dafür geben, dass ihm dieses Glück nicht zwischen den Fingern zerrann und auf ewig in dem Schlamm und dem Totenmeer des Niemandsland versickerte. Namenlos und für die Ewigkeit vergessen.

Bei dem Schatten des Gedankens schloss er seine Arme automatisch enger um die malträtierte Gestalt, die irgendwo im Zwielicht zwischen Wach und Ohnmacht an seine Brust gelehnt schlummerte.

„Konstantin?", presste er krächzend hervor. Seine Stimme brachte kaum mehr als ein raues Flüstern in dem ohrenbetäubendem Beben und Tosen des wenige dutzend Meter entferntem Schlachtfeld.

„Ja?" Der Blick aus glasigen Augen traf William wie ein elektrischer Impuls und er wurde von dem Drang gepackt, über die Wangen aus blassestem Marmor zu streichen. Vorsichtig, aus Angst, der Andere könnte unter seiner Berührung zerbrechen.

Trotzdem zwang er seine aufgesprungenen Lippen nur zu einem spöttischen Lächeln, bevor er röchelnd fortfuhr. „Hast du eigentlich schon jemals jemanden geküsst? Ich meine vor mir? Das gerade eben war nämlich wirklich gute Arbeit. Respekt."

Für einen Moment blickte ihn der Offizier nur entgeistert an. Solche Belanglosigkeiten im Angesicht des Todes? Solcher Scherz in Momenten, die keine Freude zulassen sollten? Spott bei der Konfrontation mit dem Schicksal?
Ja. Genau das war der Grund gewesen, weshalb er sich jetzt, in diesem Moment dazu entschied, selbst die vage Hoffnung auf eine Zukunft mit dem Brechen des Paragraph 175 zu zertrümmern. Weil er dieses spitzbübische Schmunzeln und das verschlagene Funkeln in dem tiefen Grün seiner Augen mehr mochte als es ihm guttat. Es war ein schöner Kontrast zu ihm selbst.

Und exakt das war der Anlass, wieso kein Lächeln, sondern scharlachroter Scham in sein bleiches Gesicht schoss.

Bevor auch nur eine Silbe über seine schmalen Lippen hätte kommen können, zwang er ein kratzendes Räuspern aus seiner trockenen Kehle, nur um dem fragenden Blick des Briten auszuweichen.

„Erinnerst du dich an meinen Vorgesetzten im Zarenreich? Von Schönberg? Und das ich vollkommen überstürzt meinen sicheren Posten als Ordonnanzoffizier hierfür aufgegeben habe?"

Kaum hatte der letzte krächzende Laut seinen Mund verlassen, brach der Brite in schallendes Gelächter aus. Zumindest wäre er das gewesen, wäre der Laut nicht in einem heiseren Japsen versunken.

„Irgendjemand von uns musste ja gewissen Fertigkeiten mitbringen! Und da das ja auch eindeutig ich war, brauchte ich ja irgendwoher Übung", verteidigte sich der Leutnant verdrossen und verzog sein Gesicht zu einer bitteren Miene.

Vom Himmel hochWhere stories live. Discover now