Prolog

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Mit einem leisen Kratzen schob sich die matt schimmernde Schachfigur über das Feld

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Mit einem leisen Kratzen schob sich die matt schimmernde Schachfigur über das Feld. Direkt auf den hellen Stein der feindlichen Königin zu, die hoch und stolz im Felde aufragte. Es dauerte keine Sekunde, bis diese von den fein geschliffenen Zügen des Springers umgestoßen wurden.

Endgültig. Einfach so im Sekundenbruchteil.
Aber es gab schrecklicheres als den Tod einer Schachfigur. So viel grausameres, das diese Welt schon erblickt hatte. Genau wie die beiden Männer stumme Zeugen einer grausamen Zeit waren.
Trotzdem  war die schmale Figur  so sinnbildlich für die Kürze des Lebens, das kaum mehr war als ein endloses  Spiel, bestehend aus wagemutigen Zügen, glorreichem Siegen und  tristen Niederlagen. Aber jeder verlor einmal,sei es auch sein Leben. Allein der Tod, der siegte immer.

Doch noch während die weiße Königin klackend auf das verzierte Schachbrett stürzte, kräuselten sich die Mundwinkel des Verlierers in die Höhe und die blassen Augen des alten Mannes funkelten hinter dem silbernen Brillengestell, als zahlreiche Lachfalten das zerknitterte Gesicht zum Erstrahlen brachten.

Wie oft hatte er damals gedacht, dass er nie wieder lachen könnte? Nie wieder atmen? Nie wieder das Licht dieser wundervollen Welt erblicken? Er wusste es nicht, doch es zählte nur das hier und jetzt. Das Leben. Nein, das Überleben.

„Du hast schon immer gewonnen, Will", knarzte die Stimme des Mannes mit dem nun mehr schütterem reinweißen Haar in das leise Säuseln der Musik.

Mühselig richtete er sich auf. Die Arthrose fesselte glühend seine Kniegelenke und hatte schon lange den schlaksigen Körper des alten Herrn in Steifheit gezwungen, deren kreischender Schmerz stetig durch seine Beine kroch. Anders als seinen Gegenüber, der schien noch immer wie das Abbild eines jungen Mannes, nur fahler, beinahe schon etwas faltig.

„Und das wird sich niemals ändern", erwiderte der zweite Greis, dessen stahlgraue Haare noch immer wild wucherten, zumindest mehr als bei seinem alten Freund, dessen Strähnen sich allmählich lichteten. Noch immer schimmerte Schalk in seinen Augen wie ein Meer aus Sternen. Ein Funke des Lebenswillen, den man ihm nicht stehlen konnte. Es war noch ein wenig Kindheit, die tief verankert in dem alten Körper steckte, der in einem anderem Jahrhundert die Welt erblickt hatte.

Bei dem Lachen des Sitzenden schüttelte der Weißhaarige nur belustigt seinen Kopf. Nein, manche Dinge würden sich nie ändern. Wie zum Beispiel das Knacken des Radios, dass die Wohnung mit den einfachen Möbeln mit den zarten Klängen von Musik erfüllte. Es war einer dieser modernen Gruppen, deren wilde Klänge bei zu großer Lautstärke die Gläser zum Klirren brachten und ganz andere Geschichten erzählten als die Lieder, die er in seiner Kindheit gehört hatte. Hier ging es nicht um den Krieg oder das Vaterland, auch nicht um einen Erbfeind oder den Kaiser. Diese Lieder versprachen keinen Krieg, der einen Kontinent in Trümmern und weinende Familien zurückließ.

Keine Wacht am Rhein.
Nicht Heil dir im Siegerkranz.
Sondern Sehnsucht, Glück und der nie verglühende Schimmer der Hoffnung.

Oftmals ging es  in der wahren Kunst der Musik um eines; die Liebe. Etwas, das seinem Leben so viel mehr Sinn gegeben hatte als diese sinnlosen Schlachten. Wie nannte sich diese Gruppe noch einmal? Beatles?

Doch als sein Kopfschütteln endete, wandte sich der Mann ab, während seine Schritte dumpf auf das helle Parkett trafen. Aber noch bevor seine Hand den rauen Stoff des grünen Filzmantel von der Garderobe ziehen konnten, blieb sein Blick an dem Funkeln von Messing hängen.

Auf dem groben Holz eines Regals hatte sich ein feines Modell eines Sopwith Camel platziert. Das Jagdflugzeug war erstarrt in der Position des Starts, die Tragflächen von beeindruckender Perfektion, genau wie der weiß bepinselte Hecksporn. Und doch verschwand es beinahe unter dem wallenden Stoff einer Gardine.

Ein trockenes Schlucken kämpfte sich seine Kehle hinunter.

Er kannte diesen Anblick nur zu gut, jedoch war er größer, präziser und so schrecklich viel tödlicher als diese penible Feinarbeit aus Messing.

Ein schlotterndes Zittern hatte seine Hände erfasst, als sich sein Kopf steif zu seinem Gefährten drehte.

„Ich habe niemals Danke gesagt, nicht wahr?", entkam es ihm daraufhin. Der spröde Klang seiner Stimme war jegliche Sicherheit entglitten. Es war ein hohles Flüstern in dem zugestellten Raum.

Mit einem Mal verschwand der glitzernde Schalk in den Augen seines Gegenübers. Eine bedrückende Ernsthaftigkeit verdunkelte seinen Blick, während Weichheit seine Stimme eroberte. Leise und doch als hätte man Seide in Schall verwandelt.

„Das hättest du auch niemals tun müssen."

Vom Himmel hochWhere stories live. Discover now