Kapitel VIII

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In blasser Wut verloren, huschte ein junger Wind um das Phantomhive Anwesen; klagte heulend, dass er den Bewohnern nichts anhaben konnte. Dumpf grollte Donner und Blitze färbten die Wolken am Horizont bisweilen zu weißer Asche, doch ihre Drohung wirkte fade, waren sie doch noch so fern, dass überhaupt nur dämonische Ohren diese wahrgenommen hatten.
Die Sonne stand tief, ließ sich aber noch nicht von ihren wilden Vettern vertreiben; leuchtete ihnen trotzig entgegen. Voller Neugier streckte sie ihre Strahlen über die Ländereien und wusste zuerst um das Gefährt, was sich bald nähern würde. Zur Stille verdammt, war es ihr jedoch nicht möglich, Earl Ciel Phantomhive von ihrer Beobachtung zu berichten. Ihm schickte sie nur einen zarten Goldschimmer auf Haut und Haar; ließ sich vom Spiel mit dem hübschen Blau seines Rings verzücken.
Der junge Earl nahm sie nicht war.
Stunden verbrachte er damit, Sinn und Struktur in die spärlichen Ermittlungsergebnisse der letzten Tage zu bringen, noch immer bisweilen vergeblich.
Von Zeit zu Zeit erhob er sich; das eine oder andere Papier in der Hand. In Grübeleien vertieft, zog er seine Kreise durch das Arbeitszimmer; erinnerte an einen Tiger im Käfig. Wenn er das Fenster erreichte, hob er den Blick; genehmigte sich eine Pause und sah zu, wie Finnian und Bard die Gewächshäuser gegen den erwarteten Sturm sicherten. Sah er die beiden gerade nicht, verlor er sich im Strecken der Schatten; erwischte sich in der Hoffnung, endlich Lady Elizabeths Kutsche auf der Allee zu erblicken.
„Nichts zu sehen", murmelte er enttäuscht.
Das Klopfen war ihm nicht entgangen; weder Sebastians Schritte, noch das Wispern des Geschirrs oder das Flüstern des frischen Tees wären Grund gewesen, den erhofften Anblick vielleicht doch soeben zu verpassen.
„Womöglich wurde wegen des Unwetters von der Reise abgesehen." Der Butler setzte die Untertasse behutsam auf der kleinen Tischplatte ab und wandte sich in einer einladenden Geste zu seinem Herrn.
„Du könntest Recht haben." Seufzend kehrte der Earl dem Fenster den Rücken, trat zu dem kleinen Tisch und griff sacht nach seines Teufels Hand, als er ihn passierte. Gemeinsam ließen sie sich auf dem Sofa nieder. „Davon hätte ich allerdings gern erfahren." Niedergeschlagen lehnte Ciel sich an Sebastian, verschränkte auf seinem Schoß ihre Finger miteinander.
Behutsam legte sein Teufel den anderen Arm um ihn. „Vielleicht gibt es einen Boten, der aber bereits mit dem Wetter zu kämpfen hat."
„Ja, vielleicht." Gedankenverloren nippte der Earl am Tee und wurde auf angenehme Weise in die Gegenwart zurück gerissen. Der Butler lächelte: „Ein Earl Grey der Firma Moore'n'Green. Ich habe mir erlaubt, ihn mit ein wenig Bourbon Vanille zu würzen."
„Es freut mich, dass du ein solches Interesse für unseren menschlichen Geschmack entwickelt hast."
„Die feinsten Genüsse zu kreieren, sollte ich als Butler der Familie Phantomhive schon beherrschen."
Die Teetasse fand auf den Tisch zurück; Ciel kam seinem Teufel ganz nah und sah ihm in die Augen. „Gib zu, du hast Spaß daran gefunden." Bevor er die Antwort erhielt, wollte er einen Kuss. Sanft und behutsam, kein Feuer, keine Eile. Nur das wundervolle Gefühl dieser zarten Lippen auf seinen. „Womöglich", flüsterte sein Teufel bevor sich ihre Lippen noch einmal trafen. Das warme Gefühl in seinem Herzen ließ sich leider viel zu schnell von seinen Sorgen überschatten.
Wieder seufzte der Earl schwer, als er den Kopf an Sebastians Schulter sinken ließ.
„Übt Euch in Geduld, junger Herr. Bis zum Abendessen werdet Ihr sicher von Lady Elizabeth hören." Das so eigenwillig gefärbte Haar kitzelte Sebastians Hals, als sein Herr lediglich nickte.

Der Dämon sollte Recht behalten, jedoch anders als auch von ihm selbst erwartet.
Nicht sehr lange nach der Teezeit hatte die Sonne sich doch ergeben müssen und dem wilden Treiben der himmlischen Eigenheiten Platz gemacht.
Einem wahnsinnigen Schäfer gleich, trieb der erstarkte Sturmwind Berge an schwarzen Wolken über den Himmel; ein Stakkato an Regentropfen nahm sich Dach und Fensterscheiben zur Bühne und tiefer Donner schickte sich an, die starken Mauern erschüttern zu wollen. Willkürlich rissen Blitze gleißend helle Wunden in die entfesselte Dunkelheit da draußen.
„Ein solches Unwetter hat dieses Haus schon lange nicht mehr erlebt." Andächtig blickte der echte Tanaka aus dem ebenerdigen Fenster der Küche direkt in den Himmel hinauf. „Das letzte vor etwa sechs Jahren, ein paar Tage vor dem großen Brand."
„Uh das klingt aber schauerlich." Mey-Rin zog den dampfenden Teebecher näher an sich heran.
Bard kaute auf seiner Zigarette herum. „Aber es hat ja damals nicht wegen dem Unwetter gebrannt."
„Da magst du Recht haben", der echte Tanaka wandte sich zum Tisch um und setzte sich wieder zu den drei anderen, „allerdings verursacht diese Erfahrung nun ein seltsames Gefühl."
Unbehaglich zog Finnian ein Knie zu sich heran. „Du meinst, es könnte heißen, dass dem jungen Herrn wieder was Schlimmes passiert?" Der kleine Schemel unter ihm knirschte verängstigt.
„Ach Quatsch. Was soll ihm schon passieren? Jetzt gibt es doch Sebastian." Der barsche Tonfall des Kochs beeindruckte Finnian nicht im Geringsten, stattdessen erblühte Begeisterung im sanften Blick des Gärtners. „Stimmt. Sebastian passt auf den jungen Herrn auf. Und wir tun das auch!" Energisch hielt er seine Hand in die Mitte des schweren Holztisches. May-Rin und Bard legten ihre Hände sofort darüber: „Na klar!"
„Auch wir werden Earl Pahntomhive beschützen – sagt meine Freundin Emily." Snake hockte auf einer Kiste an der Wand nahe des Ofens. Zwei zierliche, bunte Schlangenleiber wanden sich um den schmächtigen Körper des Dieners. „Aber bitte nicht in diesem Mistwetter – klagt mein Freund Goethe." Finnian drehte seinen Schemel schwungvoll herum und streckte neugierig eine Hand nach den Schlangen aus: „Hah, ich verstehe euch gut. Heute bleibe sogar ich lieber hier drinnen."
Der echte Tanaka lächelte milde: „Selbstverständlich werden wir alle unsere Pflichten erfüllen, ganz gleich, welches Wetter sich ergeben sollte." Das Dienstmädchen hob ihren Becher zum Toast. „Da kann es regnen, stürmen oder schnei'n – wir werden immer für den jungen Herrn da sein!" Snake nickte abwesend, die drei anderen stießen mit May-Rin an, dann kehrte Tanaka mit einem Plopp in seine andere Form zurück und die Worte seines Unbehagens wandelten sich zu einem leisen „Hoh, hoh, hoh."

„Und doch bringt so ein Sturm oft Ereignisse mit sich, die das Leben eines Menschen gänzlich verändern können." Sebastian wechselte das Geschirr der Vorspeise auf dem Servierwagen im Salon soeben gegen das Tablett mit dem Hauptgericht.
„Was murmelst du da?" Wäre diese Frage noch vor ein paar Jahren ein scharfer Schnitt gewesen, so klang sie nun ehrlich interessiert.
„Nichts von Belang, junger Herr." Ein beruhigendes Lächeln auf den Lippen servierte er den Hauptgang. „Heute gibt es gebratene Entenbrust an einer Orangensoße. Dazu -" Das melodische Klingen der Türglocke unterbrach seine Ausführungen.
Hätte ihn eine solche Situation für gewöhnlich in Ärger versetzt, spürte Ciel diesmal nur zaghaft freudige Aufregung. Sicher war das Lizzy. Oder zumindest ein Bote mit einer Nachricht von ihr. „Sieh nach, wer das ist!"
Sebastian hatte den Salon noch nicht verlassen, da ertönte die Türglocke ein zweites Mal. Der Earl glaubte auch, einen drängenden Ruf zu hören, doch wahrscheinlich spielte ihm der Wind hier einen Streich. Dennoch war ihm jegliche Gelassenheit abhanden gekommen und so eilte er nun selbst in die Eingangshalle. Er musste wissen, was hier geschah.
Gerade betrat er den oberen Treppenabsatz, als Sebastian die Haustür öffnete.
Ein Blitz erleuchtete den dunklen Vorplatz, ließ dort ein völlig abgekämpftes Pferd erkennen und legte Schatten auf das Gesicht des Besuchers.
„Earl Phantomhive! Ich benötige Eure Hilfe!" Ihre klare, kraftvolle Stimme bezwang sogar das Brüllen des Sturmes als die Dame ohne zu Zögern an Sebastian vorbei trat.
„Marchioness Midford!" Im Licht der Halle sah Elizabeths Mutter nicht weniger mitgenommen aus, als ihr Pferd. Sie schien auch leicht verletzt zu sein. Eilig verneigte Ciel sich – sie würde es auch in dieser Situation nicht gutheißen, wenn er die Etikette vernachlässigte. „Was ist passiert?"
„Unsere Kutsche ist verunfallt, nicht mehr weit von hier. Mein Kutscher ist tot, die Zofe meiner Tochter wurde unter dem Gefährt begraben."
Ein eiskalter Schauer durchzuckte den Earl bei diesen Worten. „Sebastian, bring sie alle sicher hier her!"
„Jawohl, mein junger Herr!" Er verneigte sich, machte auf dem Absatz kehrt und trat in die Nacht hinaus.
„Ihr haltet Euren Butler für so fähig, dass er all das Chaos allein beseitigen wird?"
„Sebastian genießt mein vollstes Vertrauen."
Dass sie darauf nichts erwiderte, zeugte von ihrem eigenen etwas verwirrten Zustand.
Auch wenn sein Herzschlag in Panik verfiel, so war auf seinen Verstand doch Verlass. Earl Phantomhive wusste genau, wie mit einer solchen Krise umzugehen war und so verriet seine Stimme auch kein Zittern, als seine Anweisungen nun die Ordnung auffingen.
„Mey-Rin, bereite der Marchioness ein heißes Bad vor! Finnian, kümmere dich um das Pferd! Bard, du informierst mich, sobald Sebastian zurückkehrt!"
„Jawohl, junger Herr!" In erleichterter Geschäftigkeit eilten die drei Bediensteten in je eine andere Richtung davon.
„Werter Earl, Eure Umsicht ist angemessen. Jedoch werde ich hier auf die Ankunft meiner Tochter warten, bevor ich irgendetwas für mich selbst tue."
Ciel neigte den Kopf. „Selbstverständlich, wenn das Euer Wunsch ist. Gestattet mir nur, Euch zumindest eine wärmende Decke anzubieten?"
Nach einem knappen Nicken ließ die Dame sich vom echten Tanaka eine weiche Decke um die Schultern legen, ihr Blick – von dunkler Ahnung gezeichnet – blieb unverwandt nach draußen gerichtet, bis Tanaka die Tür geschlossen hatte. In behutsamer Stimme löste der Earl Lizzys Mutter aus ihren Gedanken. „Marchioness, möchtet Ihr mir berichten, wie es dazu kam?" Ihr Schweigen kostete Ciel beinahe all seine Selbstbeherrschung, denn der Drang, die Worte aus ihr herauszuschütteln, sprang ihn an wie ein tollwütiger Höllenhund. Ein Räuspern, mit dem die Dame ihre Fassung zurückeroberte, erlöste ihn schließlich.

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