Leben und leben lassen

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Wie jeden Morgen, fuhr sie mit Stiles zur Schule. Statt Radio zu hören, hatte ihr Bruder eine ähnliche Funkstation in seinem Jeep eingebaut, wie es sie auch in Polizeiwagen gab. Ob dies erlaubt war, stellte Grace schon lange nicht mehr in Frage. Geradezu angespannt lauschte Stiles den Meldungen, die unter anderem auch von ihrem Vater stammten. Es waren die üblichen Dinge, doch nichts, was den Dunkelhaarigen dazu veranlasste sofort die Richtung zu wechseln.

Tatsächlich wirkte Stiles geradezu enttäuscht, als er schließlich mit dem Jeep auf den Parkplatz der Schule einbog. Grace runzelte die Stirn. „Erhoffst du etwas Bestimmtes zu hören oder..."

„Irgendetwas Schlimmes wird passieren", murmelte ihr Bruder verbissen und schaltete schließlich das Funkgerät seufzend ab. „Ich kann es fühlen!"

„Ich dachte Lydia ist die Hellsichtige von euch", warf sie feixend ein und schwang sich schließlich schwungvoll aus dem Wagen. Ihre Füße, die in weißen Sneakers steckten, landeten auf dem staubigen Asphalt. Der Regen vom Vorabend musste den Dreck auf die Straße gespült haben und sofort ärgerte sich Grace, dass sie sich helle Schuhe angezogen hatte. Da Stiles noch immer nicht ausgestiegen war, steckte sie ein letztes Mal den Kopf durch die Beifahrertür. „Erinnerst du dich, was Mom immer gesagt hat? Es passiert, wenn du es am wenigsten erwartest."

Der frisch gebackene Zwölftklässler seufzte und verdrehte die Augen, ehe er ebenfalls ausstieg. Die Beifahrertür vom silbernen Nachbarauto sprang nahezu gleichzeitig auf. „Morgen, Stiles!"

„Morgen," motzte der Angesprochene zurück, während Graces Kopf sich beim Klang der vorigen Stimme beinahe sofort hob. Tatsächlich hatte sie sich nicht getäuscht, denn diese Stimme gehörte eindeutig zu dem Friedhof-Jungen. Sie hatte kaum Zeit Stiles einen verwunderten Blick zuzuwerfen, als dieser sie bereits mit sich ins Schulgebäude zog, als könne es ihm plötzlich gar nicht mehr schnell genug gehen.

Grace wehrte sich peinlich berührt gegen seinen Griff, als er sie schließlich durch die Eingangstür der Schule schob. So hatte sie sich ihren ersten Auftritt nach den Ferien ganz bestimmt nicht vorgestellt. „Stiles!", beschwerte sie sich, während ihr Bruder sie im rechten Gang des Eingangsbereiches endlich losließ. Pikiert richtete sie ihre Jeansjacke und sah ihn empört an. „Was zur Hölle!"

„Was?", fragte er scheinbar unschuldig und ignorierte die Blicke der Schüler, die sich zu ihnen herumdrehten. Dabei sollte man meinen, dass sie so etwas längst von ihrem Mitschüler gewöhnt waren. Der bekannte und ziemlich eigene Geruch der Schule schlich sich in Graces Nase und selbst die babyblauen Spinde lösten ein seltsames Gefühl der Nostalgie in ihr aus, als wären die Sommerferien nie gewesen und als würde sie schon ewig diese Schule besuchen.

Die Brünette verschränkte die Arme vor der Brust und hob eine Augenbraue. „Was sollte das gerade mit diesem Kerl?", fragte sie betont gleichgültig und tatsächlich schien Stiles ihre Neugierde nicht herauszuhören. „Theo?"

Theo. Sie konnte dem Friedhof-Jungen also endlich einen Namen zuordnen. Auch wenn sie seltsamerweise mit einem anderen Namen gerechnet hatte, erschien es ihr plötzlich absurd, dass er einen anderen tragen könne. Tatsächlich passte er zu ihm wie die Faust aufs Auge. Peinlich berührt stellte Grace fest, dass sie darüber länger nachdachte, als ihr Recht war. Stattdessen räusperte sie sich. „Woher kennst du ihn?"

„Wir waren gemeinsam in der Grundschule", erklärte ihr Bruder mit einem bitteren Unterton in der Stimme. „Er ist damals mit seiner Familie weggezogen, doch gestern ist er aus heiterem Himmel wieder aufgetaucht, als Scott angegriffen wurde und hat behauptet seinem Rudel beitreten zu wollen."

„Warte... Rudel?", ging sie überfordert dazwischen und hoffte sich verhört zu haben. „Ist er etwa..."

„Ein Werwolf."

Metanoia | 𝑻𝒆𝒆𝒏 𝒘𝒐𝒍𝒇Where stories live. Discover now