Teil11

269 19 2
                                    

Ich will laufen. Ich will rennen. Ich will fliehen. Ich will so viel. Doch bekomme nur das vor dem ich flieh.

********************

Die Bitte schwebt zwischen uns. Ich habe den Blick auf meine zerrissene Jeans gerichtet während Kenan mich neugierig anschaut. "Warum sollen wir darüber reden? Es sind nur dämliche Gerüchte." murre ich. "Gerüchte die du aber nie bestreitest." Jetzt schaue ich auf und direkt in seine braunen Augen. Sie sind so braun, dass sie mir fast schwarz vorkommen. "Warum sollte ich mir die Mühe machen sie zu bestreiten, wenn doch je jeder das glaubt was er glauben will?" Ich ziehe eine Augenbraue nach oben.

Kenan verdreht bloß die Augen. "Das ist Schwachsinn." "Ach ja?" spöttisch lege ich den Kopf schief und mustere ihn übertreiben. "Was für Gerüchte wurden den über dich so erzählt?" Ich sehe wie sich Kenan innerlich verschließt. Sein Lächeln nimmt ab und zurück bleibt eine neutrale Wand. Ich weiß das ich unfair bin aber Kenan macht mich nervös.

"Gerüchte eher weniger, aber Vorurteile sind mindestens genauso schlimm." Jetzt wendet er seinen Blick ab, schaut hinaus auf das leere Feld hinunter zu unserer Stadt. "Das mit den Gerüchten ist wie mit den Vorurteilen. Bei manchen Menschen stößt die Wahrheit auf taube Ohren." sage ich leise, eigentlich mehr zu mir selbst aber Kenan scheint es gehört zu haben. Seine Schultern entspannen sich ein klein wenig. "Wahrere Worte wurden noch nie gesprochen." meint Kenan ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden.

Ich setzte mich aufrechter hin und lasse die Natur um uns herum auf mich nieder. Ich entspanne mich und versuche Kenans Anwesenheit zu vergessen.

"Darf ich dich etwas fragen Ever?" unterbricht Kenan die Stille. Ohne ihn anzusehen nicke ich. Ich höre wie er sich anders hinsetzt, aus dem Augenwinkel erkenne ich das er sich mir zugewendet hat. Ich versteife mich, bleibe in meiner Position.

"Stimmt es..., dass dein Vater bei der Mafia ist und deine Lehrer besticht damit du gute Noten bekommst und nicht am Sport Unterricht teilnehmen musst?" Mir entschlüpft ein kichern. Ich beiße mir sofort auf die Lippen um es zu unterbinden und schaue zu Kenan.

Dieser Sitz im Schneidersitz zu mir gewandt und schaut ganz ernst. Das Lächeln auf meinem Gesicht will wachsen. "Als ob das wirklich in der Schule über mich gesagt wird?" frage ich ungläubig nach. Kenan nickt, voller ernst. "Sie haben recht, ich habe dich bis jetzt nur in den wenigsten Sport Stunden gesehen." Jetzt bricht ein leises Kichern aus mir.

"Ich schwänze Sport, weil ich Schulsport nicht leiden kann. Außerdem finde ich es Scheiße mit Jungs Sport zu haben. " Ich kann nicht aufhören zu kichern, weil ich das Gerücht noch nie gehört habe und total albern finde. "Also kein Mafia Vater?" harkt Kenan enttäuscht nach. Seine traurige Miene bringt mich noch mehr zum Lachen. "Nein, oh man als ob das jemand glaubt." "Dich sollte es nicht mehr wundern was alles die Menschen glauben." Ich sehe wie auch Kenan jetzt um seine Beherrschung ringt.

"Sollte mein Vater bei der Mafia sein...wieso bekäme ich dann kein Hausunterricht? Und wären wir dann nicht voll die miese Mafia, wenn das jeder wüsste?" "Vielleicht ermittelst du da Undercover an unsere Schule oder du willst dem goldenen Käfig deines Vaters entfliehen." macht sich Kenan weiter lustig. Jetzt lacht auch er und sein lachen...es haut mich um. Sein Lachen ist tief und voller Freude und Zwanglosigkeit. Es ist ein schöner Laut. "Oh ich bitte dich, ja. Das klingt nach einem ganz schlimmen Film." Ich lache noch immer, kann gar nicht mehr aufhören.

Ich streiche meine Tränen aus den Augen und lächle breit gegen das Sonnenlicht. Kenan beruhigt sich auch langsam. Er streicht sich durch die kurzen schwarzen Haare. In seinen Augen leuchtet immer noch das belustigte Funkeln.

"Über mich wurde mal erzählt meine Familie würde in eine Gang gehören und deswegen sei sie schließlich aus Mexico geflohen. Und weil die Gang uns böse ist werden wir verfolgt und deswegen sind wir so oft schon umgezogen." Lächelnd schaue ich ihm ins Gesicht.

"Und...? Wie heißt die Gang?" Spielerisch stupse ich ihn gegen das Knie. Kenan schubst mich sachte zurück. "Halt die Klappe." Ich lache auf. Kenan lacht mit. "Wie oft seid ihr umgezogen?" frage ich nun jetzt ernster. "Nur zweimal. Von New Texas sind wir für 4 Jahre nach Mexiko zurück und nach den 4 Jahren sind wir nochmal kurz in New Mexico geblieben bevor wir hergezogen sind." "Wow, ihr seid ganz schön oft umgezogen." Ich bin noch nie weggezogen. Ich bin hier in der Stadt aufgewachsen und werde wahrscheinlich auch hier sterben.

"Wo hat es dir am besten gefallen?" frage ich während ich mit meinem Schuh Kieselsteine über den Rand der Platte schiebe. Sie klieren sobald sie auf dem Boden aufkommen.

"Mir gefällt es gerade hier sehr gut." Seine Stimme ist leise aber voller Sicherheit. Ich wage es nach rechts zu linsen. Kenans blickt liegt auf mir. Seine Augen schauen mich warm an. Seine Lippen sind zu einem süßen Lächeln verzogen. Ich spüre wärme in mir aufsteigen und schaue schnell weg. "Erzähl mir von der Gang Geschichte." bitte ich ihn um auf ein anderes Thema zu kommen.

Die Zeit vergeht hier oben wesentlich schneller als unten. Die Sonne wandert mit jeder vergehenden Minute weiter hinunter und färbt den Himmel orange. Kenan und ich unterhalten uns über alles Mögliche. Wir schweifen von Fernsehsendungen bis hin zu kleinen Anekdoten von uns selbst.

Es ist schön und entspannend. Hier oben vergesse ich alles Wichtige im Leben. Erst als es merklich abkühlt, die Sonne nur noch schräg am Himmel steht und mein Handy eine Nachricht von Eric anzeigt kehre ich in die Wirklichkeit zurück und zwar mit voll Gas.

Eric: Wo bist du?

Eric: Everleigh, wir machen uns Sorgen.

Eric: Wo zur Hölle steckst du.

Eric: Geh an dein verficktes Handy!!!

Ich streiche alle Nachrichten weg und schließe das Handy. Eric kann warten.

"Was ist los?" fragt Kenan. Sieht man mir mein Elend so schnell an? Frage ich mich innerlich. Ich lasse einen imaginären Seufzer los der alle Steine hier erbeben lassen würde und erhebe mich langsam.

"Ich muss langsam Heim. Man sucht nach mir." Ich klopfe den Dreck von meiner Hose und richte meinen Pullover. Kenan erhebt sich ebenfalls, schaut mich aber zweifelnd an. "Ist das dieser Eric der dich sucht?" Erics Namen aus Kenans Mund zu hören lässt mich heftig zusammenzucken. Sie sind so verdammt unterschiedlich.

"Auch, er macht sich nur Sorgen um mich." wehre ich ab und beginne die Treppe nach unten zu steigen. Kenan folgt mir. "Ist er...ist er dein Freund?" Auf der Treppe drehe ich mich zu ihm um. "Was? Nein. Oh Gott nein. Eric...er ist wie..." Wie ein Bruder wollte ich sagen aber nie im Leben wäre Eric das für mich. "Er ist ein Freund der Familie." weiche ich aus. Kenan hat die Stirn nachdenklich zusammengezogenen. "Weiß er das du kein Interesse hast?" Er ist hartnäckig. "Ja, weiß er Kenan." Ich antworte patziger zurück als ich es wollte, aber das Thema rund um Eric löst bei mir einen gewissen Nerv aus.

"Tut...tut er dir weh?" Auf der letzten Stufe wirble ich herum. Von meiner plötzlichen Bewegung erschrickt Kenan und weicht eine Stufe zurück. "Wie kommst du darauf?" frage ich misstrauisch. "Na weil..." Kenans Worte geraten ins Stocken. Er wird rot und es sehe bestimmt niedlich aus wäre ich nicht so wütend. "Weil er ein Rassist ist?" helfe ich ihm letztendlich aus.

Kenans Gesichts wird noch röter. Ertappt. "Ein Rassist ist nicht gleich ein Schläger und eine Feministin ist nicht gleich Lesbisch." Ich gebe zu, mein Beispiel hat Lücken aber die Worte haben bereits meinen Mund verlassen und zurück nehmen geht nicht. "Ever..." "Ne lass." Ich wehre seine Hand ab und stolpere nach vorne. Durch das Durcheinander in meinem Kopf übersehe ich die letzte Stufe und verliere das Gleichgewicht. Ich schreie auf als ich hinzufallen drohe. "Ever!" Kenan flucht.

Plötzlich ist da seine Hand die sich um mich schlingt und zurückzieht. Ich keuche auf als seine Brust meinen Rücken berührt. Kurz verweilen wir in dieser Position. Aber nur kurz, dann erinnert sich mein Kopf wieder an das Geschehen. Ich winde mich aus seinen Armen und gehe ein paar Schritte weg von ihm. Die Stelle die er berührt hat bitzelt.

"EVER!" ruft Kenan. Seine Stimme hallt durch das leere kaputte Gebäude. Im Laufen drehe ich mich zu ihm um. "Vergiss es Kenan. Aber was du vorhin über Vorurteile gesagt hast...denke darüber am besten nochmal nach."

Das sind meine letzten Worte. Ich drehe mich um und verschwinde von hier. 

The DifferenceWhere stories live. Discover now