19. Kapitel

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„Wer?" Bofur füllte eine weitere Schüssel mit Suppe. Sie dampfte noch, ungeachtet der immer kälter werdenden Stimmung.

Bilbo antwortete, so grundentspannt wie der Zwerg mit der Fellmütze blieb er dabei nicht: „Gandalf." Der Hobbit warf einen Blick in den finsteren, sich endlos erstreckenden Wald.

„Er ist ein Zauberer, er tut, was er will." Bofur tat seine Ängste, die nicht ganz unbegründet waren, unbeschwert ab. „Hier. Tu mir den Gefallen und bring das den Jungs." Damit meinte er natürlich Kíli und Fíli, die gerade auf die Pferde aufpassten. Dem Halbling wurden zwei Schüsseln gereicht.

Schnell aß Linda noch einen allerletzten Löffel, es war einfach zu köstlich, und folgte Bilbo, denn der sah nicht besonders erfreut über die Außenbedingungen seines Auftrags aus. Ihr war langweilig, und ja, die folgende Situation wollte sie sich um nichts in ganz Arda entgehen lassen. Das Mädchen bekam gerade noch mit, wie am Feuer der ältere Bruder den jüngeren ausschimpfte, dann lief sie über die von Felsen gespickte Wiese, immer dem Halbling hinterher.

Als sie zu einem weißen, unschuldig dastehenden Pony kam, flüsterte sie im Vorbeilaufen: „Na los, hau schon ab, der-die-das, dessen Namen ich nicht kenne, noro lim!" Das Tier sah sie nur kurz desinteressiert an, dann fraß es weiter.

Linda eilte lieber dem Meisterdieb hinterher, der in der Zwischenzeit ein ganzes Stückchen weitergelaufen war. Ihr Weg führte sie querfeldein, über Stock und Stein - also kurz durchs Unterholz. Ihre Gedanken verweilten immer noch bei dem Schimmel von eben. Aber wenn es sich nicht helfen lassen wollte, war das sein Pech! Der Abenteurerin fiel auf, dass Athena weitaus klüger reagiert hatte als das Pony eben. War ihre Stute hochbegabt?

Mit diesen, zugegebenermaßen optimistischen und damit nicht zu dieser Situation passenden Gedanken trat sie an Kílis Seite, der nicht besonders erfreut über etwas schien - nicht über sie. Er schaute nicht einmal zu ihr, doch als das Mädchen seinem Blick folgte, erkannte sie den Grund nicht - sie wusste, was passiert war, aber den Punkt, den sowohl Kíli als auch Fíli anfixierten, konnte sie nicht ausmachen. Fragend sah sie die Zwerge von der Seite an.

Bilbo war zwischen die Brüder getreten, die kostbare Suppe immer noch haltend und blickte sie ebenfalls ahnungslos an: „Was ist los?"

Während er weiterhin einen unbekannten Jemand oder so anvisierte, antwortete der jüngere der Zwerge: „Eigentlich sollten wir uns um die Ponys kümmern."

„Nur sind wir auf ein kleines Problem gestoßen", meinte Fíli mit belegter Stimme und wandte sich kurz zu dem Halbling.

„Wir hatten sechzehn", sagte Kíli.

„Jetzt sind es vierzehn", endete der blonde Zwerg.

Nicht besonders erfreut sahen sich die Brüder an.

Linda wurde das Ganze zu bunt und stapfte los. Sightseeingtour. Moment, Mittelerdesprache! Umgebungslagebetrachtung. Das klang jetzt aber sehr Deutsch, dachte sie sich. Sprach sie überhaupt noch Deutsch? Ja, welche Sprache sprach sie, von der Logik her müsste sie doch Englisch sprechen!

Sie stand dort, inmitten eines sehr zerfallenden Gebäudes in einem abenteuerlichen Wald, vor ihr lag eine gefahrenträchtige Sequenz, die sie zu überleben hatte, und sie fragte sich, welche Sprache zum Henker sie sprach. Eigentlich hatte sie, hatten sie alle, ein durchaus großes Problem.

„Magerite und Bungo fehlen", riss Kíli sie aus ihrer Starre.

Der dunkelhaarige Zwerg stiefelte an Bilbo vorbei und dieser, nicht weniger ängstlich als vorhin beim Feuer, sagte: „Was? Also, das ist nicht gut. Ha, ha, und das ist ganz und gar nicht gut. Sollten wir das nicht Thorin sagen?"

Jetzt kam wieder Bewegung in das Mädchen. Ihr Verstand hatte sie glücklicherweise daran erinnert, lieber in der Nähe der anderen zu bleiben.

„Äh, nein, belasten wir ihn nicht damit."

Diese Logik, Fíli, ist keine Logik, bemerkte sie in Gedanken spöttisch. Sie war zu dem Hobbit gehuscht und folgte nun seinen Blicken.

Der ältere Zwerg schlug vor: „Als unser verbürgter Meisterdieb könntest du der Sache doch mal nachgehen."

Hu, behaglich war es hier nicht. Im Film hatte Peter Jackson ganze Arbeit geleistet - oder hatte er die Szenen einfach in Mittelerde aufgenommen? Wie hing das hier alles mit den Filmen und Büchern zusammen? Ihre weltbewegenden Gedanken verschob sie auf später, ganz viel später. Also: Unfreundliche Atmosphäre. Sie hörte einen Wolf, der Mond verschwand momentlang hinter einer Wolke und selbst die Zwergenbrüder strahlten nun etwas klein wenig Bedrohliches aus.

„Oh, äh - seht doch, irgendetwas Großes hat diese Bäume aus der Erde gerissen"

„-haben wir uns auch schon gedacht"

- und sie hatte es gewusst. Weiter im Text:

„-etwas sehr Großes und möglicherweise Gefährliches." Bilbo gestikulierte in Richtung des entwurzelten Baumes.

Linda beschloss, keine allzu blöden Kommentare mehr abzugeben - guter Witz! Sie musste schon fast über sich selber lachen, das Kommentieren aufgeben, wozu lebte sie sonst? Dazu sollte man vielleicht noch eins wissen: Es war schon etwas später am Tag, sie war in ihrer Lieblingswelt und in geringer bis großer Gefahr, und dieses gering bis groß hing von ihrem Geschick ab. Kurz: Sie war müde und höchst angespannt.

„Hey! Da ist ein Licht!"

Fíli sah ein Licht - am Ende des Tunnels. Gut, man konnte einen Wald nur schwer als Tunnel bezeichnen, aber in diesem Fall kam das schon hin.

„Hier lang!"

Linda duckte sich mit den dreien hinter einen großen Stamm, nachdem sie sich beim Folgen den Kopf an einem anderen angeschlagen hatte, was aber unbemerkt blieb, da sie nicht das aussprach, was ihr auf der Seele lag: Autsch!

„Was ist da?", flüsterte Bilbo, das Mädchen starrte nur auf die Lichtquelle, sich innerlich auf einen weiteren Spurt vorbereitend.

„Trolle."

Kaum hatte er dies gesagt, sprintete Kíli Fíli nach, der aufgesprungen war und auf die monströsen Ungeheuer zuhielt. Linda folgte den Brüdern, vorsichtig hüpfte sie über Zweige, Äste und noch mehr Holz, sie grummelte nur einmal kurz, als sie einen Ast aufgrund des vor ihr laufenden Kílis in ihr Gesicht traf.

Das Mädchen kniete sich auf den Boden. Die beiden hatten angehalten, um von dem Troll nicht entdeckt zu werden. Die riesige Gestalt hatte zwei Ponys unter den Armen. Er hielt sicherlich Ausschau nach möglichen Feinden beziehungsweise Essen (wie sie es waren), aber er bemerkte die Vier nicht. Er grollte einmal kurz, ja, grollen war die richtige Bezeichnung dafür, grollen wie ein Steinschlag, der den Berg hinunterrauscht, und trottete dann fort.

„Er hat Myrthe und Minzi!", zischte Bilbo. Natürlich war er mit der Suppe in der Hand gekommen - das verstand niemand besser als Linda. Er klang beinahe wütend, nicht mehr ängstlich. An dieser Stelle sei noch einmal zu erwähnen, dass Hobbits in Notsituationen über eine gehörige Portion Mut verfügen, und jene hier war solch eine.

Der Halbling, mit tukscher Entschlossenheit, meinte: „Sie werden sie fressen. Wir müssen was unternehmen!"

Kíli nahm diese Vorlage nur zu gerne an: „Ja, unternimm was! Bergtrolle sind langsam und dumm, und du bist so klein, die sehen dich nie! Dir passiert nichts."

Die Versuche Bilbos, den jungen Bogenschützen mit „Nein" zu unterbrechen, wurden seitens der Zwerge ignoriert, genauso wie Linda, die grinsend dachte, dass dies nicht Kílis beste Idee gewesen war.

„Wir sind direkt hinter dir", lautete das Versprechen.

„Wenn's Ärger gibt, mach zweimal Schuhu wie eine Schleiereule und einmal wie eine Schneeeule." Der ältere Zwerg schob den armen Halbling in Richtung der Trolle.

„Zweimal... wie eine Schneeeule und einmal wie eine...?"

1181 Wörter, 03.09.2020

Tochter der Menschen - Hobbit-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt