70. Kapitel

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Ungehalten schubsten die großen Männer die kleinen Gestalten in eine Reihe und drängten sie, loszugehen. Instinktiv zog Linda die Schultern ein, ließ sich mit der Gemeinschaft mittreiben. Die Zwerge, wie sollte es auch anders sein, leisteten verbalen und physischen Widerstand, leider waren sie in der Unterzahl, unbewaffnet und kleiner als die Wache.

„Los jetzt, wird's mal was!", scheuchte der Anführer der Menschen Dwalin weiter. Der Glatzköpfige knurrte bedrohlich, Thorin legte ihm beruhigend eine Hand auf. Es brachte nichts, wenn sie nun gegen die Bewaffneten aufbegehrten. Mal wieder war Geduld angebracht.

Bilbo und Linda wechselten einen vielsagenden Blick. Hätte Thorin von vornherein so gehandelt, wären sie wohl nicht hier gelandet. Aber so war es schlussendlich gewesen und sie wurden durch die Gassen Seestadt gelotst, bis sie zu einem großen Platz kamen.

Der Schnee fiel stärker als zuvor. Viele Menschen hatten sich an dieser Stelle versammelt, ihre Bewacher mussten sich förmlich einen Weg durch die Menge bahnen.

Das Mädchen blickte hinauf zu den neugierigen Gesichtern der Stadtbewohner. Alte, junge, von jeder Herkunft schienen sie. Manche vielleicht aus Rohan, andere sogar mit Vorfahren aus dem Osten oder Süden Mittelerdes.

Sie kamen vor einem prachtvollen Haus zum Stehen. Die breite Treppe wurde von mehreren Soldaten flankiert; eindeutig das Rathaus Esgaroths.

Auf einmal öffnete sich die zweiflügelige Tür und der Hausbesitzer, der Bürgermeister höchstpersönlich, beehrte die Gefangenen mit seiner Anwesenheit. „Was ist das für ein Aufruhr?", keifte er.

Sein schleimiger Berater Alfrid folgte ihm auf dem Fuß.

„Wir haben sie geschnappt, als sie Waffen stehen wollten, Herr", antwortete der Hauptmann.

„Also Hochverräter, hä?" Die Fratze des Regierungschefs verzog sich zu etwas, was er wohl ein Lächeln nennen würde. Die junge Frau erinnerte es lediglich an ein Frettchen.

„Nur ein kümmerlicher Haufen Söldner, wenn ihr mich fragt, Herr", kommentierte Alfrid.

Linda hütete sich davor, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, denn sie wollte nicht, dass er von ihrer Anwesenheit erfuhr. Er war abscheulich und unheimlich und hatte keinerlei Respekt vor Frauen. Und da leider der Begriff der sexuellen Belästigung noch nicht vor Gericht verhandelt wurde, hatte Linda keinerlei Lust, mit ihm auch nur ein einziges Wort zu wechseln.

Des Weiteren bezweifelte sie, dass er über Zwerge Bescheid wusste. Söldner? Kein ehrenhafter Zwerg würde so etwas tun. Für Geld Kriege kämpfen anstatt für Heimat und König? Ja, Soldaten wurden bezahlt, doch sie waren weit entfernt davon, Söldner zu sein! Ihnen ging die Ehre über alles. Das wusste sie bereits jetzt, ohne sich je genauer mit der Kultur ihrer Freunde befasst zu haben.

Dwalin schien derselben Meinung zu sein, er grollte den vorlauten Menschen an: „Hütet eure Zunge! Ihr wisst nicht, mit wem ihr es zu tun habt. Das ist nicht irgendein Halunke. Das ist Thorin, Sohn von Thráin, Sohn von Thrór!"

Während er sprach, trat der Zwergenkönig vor seine treuen Freunde und sah nun den Bürgermeister ins Gesicht. Dass bei Dwalins Worten die Menge rundherum aufraunte, beschäftigte ihn nicht weiter. Aus saphirblauen Augen betrachtete er den verabscheuungswürdigen Chef des Zirkus, der sich Demokratie nannte.

„Wir sind die Zwerge Erebors", begann Thráins Sohn; er zog alle in seinem Bann. „Und wir sind gekommen, unsere Heimat zurückzufordern."

Nun, das konnte Thorin wirklich: Alle Anwesenden mit seinen epischen Reden zu überzeugen. Die Menschen flüsterten ehrfürchtig miteinander, manche kannten die Geschichten genau, andere hatten sie nur für Ammenmärchen gehalten. Aber es war wahr! Die Zwerge wollten den Einsamen Berg zurückerobern.

Tochter der Menschen - Hobbit-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt