(Menschlicher) Boxsack

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„Dad hör bitte auf. Das tut mir weh."
Ich liege bereits mit tränenden Augen am Boden und er schlägt weiter auf mich ein.
Von oben bis unten mit Blut und offenen Wunden versehen, versuche ich mich aufzurappeln.
Ich versuche wegzurennen aber zwecklos.
Er packt mich und schlägt mir mit seinen aufgeriebenen und blutbeschmierten Fäusten solange ins Gesicht bis ich erneut zu Boden gehe.
„Tobias, ich versuche doch bloß dir zu helfen. Damit du stärker wirst."
Er verschwindet aus meinem Zimmer in dem sich ein altes Holzbett und ein kleiner Tisch befindet und schließt die Tür hinter sich ab.
„Ich lasse dich wieder raus wenn du gelernt hast, ein Mann zu sein und aufhörst wie ein kleines Kind zu jammern."
Ich höre nur noch seine Stimme und die Worte, die durch den kleinen Schlitz unter der Tür in mein Zimmer hallen.
Der Schatten vor der Tür verschwindet.
Ich versuche mich auf mein Bett zu hieven aber zwecklos. Es erscheint mir als wäre es fünf mal so hoch wie es eigentlich ist.
Alles tut weh. Bis auf das Zittern meiner Knie, bewege ich mich kaum.
Eine halbe Stunde später bin ich auch schon auf dem eiskalten, gefliesten Fußboden mit angezogenen Beinen und verschränkten Armen eingeschlafen.

Mitten in der Nacht.
Dad reißt die Tür meines Zimmers auf.
Er reißt sie so doll auf, dass das Schloss meiner Zimmertür aus der Vorkehrung springt und neben mir auf dem Boden landet.
Er hat einen langen braunen Gürtel in der Hand.
„Ich habe dich gewarnt. Ich sagte dir du sollst aufhören zu quengeln.
Du bist ein wirklich undankbares Kind Tobias."
Mit großen schnellen Schritten kommt er auf mich zu und holt aus.

Erschrocken und blitzschnell setze ich mich auf.
T-shirt und Bettwäsche schweißgebadet und mein Puls rasend schnell.
Ich sehe mich um.
Ich drehe mich und entdecke meine Fensterseite, die sich unmittelbar hinter meinem Bett befindet.
Ich schaue weiter und erkenne die leicht schäbigen, abgenutzten Wände in meinem großen, schlichten Loft.
Ich habe mich nie dafür interessiert es herzurichten. Der robuste Stil passt zu dem industriellen Look des Gebäudes.
Meine Atmung wird leichter
Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich beruhige mich nach ein paar Minuten wieder.
Aber einschlafen werde ich wahrscheinlich erstmal nicht.
Ich gehe zum Kühlschrank, um mir ein Wasser zu holen und anschließend auf dem Trainingsplatz ein paar Runden gegen den Boxsack zu schlagen.
Nach ein paar Schlägen fühle ich mich gleich viel besser aber fertig bin ich noch lange nicht.
Plötzlich höre ich Schritte aber ich reagiere nicht darauf.
Ich bin viel zu sehr auf den Boxsack und die Technik meiner Schläge fokussiert.
Als das Geräusch der Schritte verblasst, merke ich, dass jemand geradewegs neben mir steht.
Die einzige Sache, die ich wahrnehme, ist ein Schatten der im Türrahmen lehnt.

"Was hat der Boxsack dir denn getan"
Ich vernehme die Stimme von Ross.
Wer sonst ist noch so lange wach wenn nicht Ross. Er ist immer am längsten draußen und dann kommt er Nachts zurück ins Lager und keiner weiß wo er war.
Ein bisschen seltsam der Typ aber trotzdem ganz cool drauf. Ich kenne niemanden der so viel rumalbert wie er und auch keinen mit so einer großen Klappe.
,,Wollte nur mal ein bisschen Dampf ablassen.
Kann sowieso nicht schlafen.", antworte ich ihm ziemlich eintönig.
,,Wieso? So aufgeregt wegen Übermorgen?"
Sein Rumalbern ist kaum wegzudenken, genauso wie gerade auch.
Deswegen versuche ich ein wenig mit einzusteigen obwohl ich dafür noch viel zu aufgebracht bin.
„Denkst du wir werden viele neue dabei haben?
So viel Zeit hab ich auch nicht für das coatching. Mein Boxsack braucht mich schließlich."
Ich bin nicht so gut darin Scherze zu machen.
Außerdem liebe ich es zu unterrichten.
„Da lässt sich sicherlich was einrichten Four.
Ich gehe jetzt pennen und lasse euch zwei süßen mal unter euch."
Mit einem Lachen und einem Zwinkern verlässt er den Trainingsplatz.

Nach einer weiteren Stunde gebe ich es endlich auf und gehe zurück in mein Loft.
Dort wartet bereits mein schönes, breites Bett auf mich.
Nach einer kurzen und kalten Dusche will ich gerade mein T-shirt anziehen als mir die Narbe an meiner rechten Hüfte ins Auge fällt.
Rasend schnell kommen mir sowohl die Bilder aus meinem Traum als auch die Schmerzen aus meinen früheren Erinnerungen in den Kopf.
Ich ignoriere es und ziehe mein T-shirt an.
Noch mit nassen Haaren, einem halbnassen
T-shirt und meiner schwarzen Boxershorts steige ich in mein Bett und lege mich unter meine behagliche große Bettdecke.
Mit den Händen auf dem Bauch, auf dem Rücken liegend und nachdenklich über die neuen Ferox und Ross's Worte, starre ich auf die abgenutzte Decke die sich ein paar Meter über mir befindet.
Wird es viele neue Initianden geben?
Wird es einen Altruan geben? Nein bestimmt nicht. Das passiert so gut wie nie. Wieso sollte es auch.
Mit weiteren Gedanken über die neuen Ferox schlafe ich endlich ein und träume vom Tag meiner eigenen Wahlzeremonie.
Dies war nicht gerade der schönste Tag aber sehr viel besser als die Jahre davor.
Sagen wir es so, dieser Tag hat mein Leben verändert.
Der Tag an dem ich meinen eigenen Weg alleine und ohne Hilfe gehen musste.
Aber Hilfe hab ich sowieso nie gehabt.
Der Tag, an dem ich meinem alten erbärmlichen Leben „lebe wohl" gewünscht habe.
Der Tag, an dem ich die Umgebung der Selbstlosen verließ, um den Mutigen beizutreten.
Der Tag, an dem ich ein Ferox wurde.

Befo(u)re youWhere stories live. Discover now