Kapitel 1

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Bum bum bum bum bum bum bum bum
Bum bum bum bum bum bum
Bum bum bum bum bum bum

Winter Song von Sara Bareilles & Ingrid Michaelson

August 2019

Ich streiche mir zwei dunkelbraune Haarsträhnen aus dem Gesicht und atme tief ein. Müde grüne Augen schauen mich im Spiegel an und ich klopfe mir kurz mit den Ringfingern auf meine dunklen Augenringe und hoffe, dass sie wie von Geisterhand verschwinden. Ich seufze leise. So wird das ja eh nichts. Schlaf würde helfen. Wenn ich schlafen könnte. Seit Monaten fahren meine Gedanken nachts Achterbahn. Es ist besser geworden, seitdem ich umgezogen bin, aber eben nur besser und nicht gut. Muss es ja auch nicht, aber für eine Nacht durchschlafen würde ich gerade alles geben.

Da ich das jetzt gerade aber eben nicht bekomme streiche ich mir noch eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und stecke Sie mit einer Klammer wieder fest. Blöde Naturlocken. Oder Naturkrause. Ich zupfe noch einmal kurz an meinem Zopf herum, werfe noch einen kurzen Blick in den Spiegel und gehe raus aus der Damentoilette.

Auf meinem Weg in mein Büro kommt mir einer meiner Kollegen mit einem Stapel Papier auf dem Arm entgegen. „Wie liefen die Vorstellungsgespräche?" „In Ordnung, Oliver will aber noch ein zweites Gespräch mit einem der Kandidaten führen und jemandem aus dem Team mitnehmen und schauen ob er passt", kurz zucke ich mit den Schultern. „Klingt schon mal nicht schlecht", ruft er mir noch über die Schulter zu, bevor er seinen Papier stapel durch seine Bürotür balanciert und aus meinem Sichtfeld verschwindet.

Leicht lächelnd schüttele ich meinen Kopf und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Anstrengender Tag heute. Ich wollte ja immer mit Menschen arbeiten. Schon seit meiner Ausbildung, aber nach knapp 7 Jahren im Personalbereich, wünsche ich mir manchmal ich hätte mich für einen Job entschieden bei dem ich mit etwas anderem arbeiten muss. Bilder, Steine oder so etwas. Jedenfalls ein Job, bei dem ich morgens weiß, was am Tag auf mich zukommt. Menschen sind unberechenbar. Das macht den Job interessant, kein Tag ist wie der andere und man lernt unfassbar viel in sehr kurzer Zeit, ob man jetzt scharf darauf ist oder eben nicht.Anstrengend ist es aber auf der anderen Seite auch. Persönliche Befindlichkeiten inklusive. Ich wollte es ja aber so.

„Wie liefs?", fragt meine Chefin vom Flur aus und reist mich aus meinen Gedanken. „Alles gut, ein zweites Gespräch soll aber her. Allerdings muss ich da nicht unbedingt mehr mit dazu. Das bekommt Oliver auch alleine hin", antworte ich ihr und reiße meinen Blick von den Fußgängern unten auf der Straße los. „Dann mach Feierabend. Du bist schon wieder zu lange hier", schaut sie mich streng an und winkt kurz, bevor sie auch geht.

Ich weiß ja, dass ich zu lange hier bin, aber ich fühle mich in meiner neuen Wohnung irgendwie immer noch nicht richtig wohl. Wahrscheinlich weil ich nicht so oft zu Hause bin. Wirklich wohnlich ist es leider noch nicht geworden. Macht die Sache mit dem Wohlfühlen zwar nicht wirklich einfacher, aber was solls.

Ein kurzer Blick auf die Uhr, ein „Mist verdammt" und ich springe auf. Ich bin zu spät. Mal wieder. Über meine eigene Unpünktlichkeit verdrehe ich kurz die Augen, werfe schnell meine Sachen mit einer Hand in die Tasche und fahre mit der anderen meinen Laptop runter. Ich bin verabredet. In 5 Minuten um genau zu sein. Der Beachclub ist zwar quasi um die Ecke, aber zu spät komme ich trotzdem. Nici bringt mich um. Ich seufze schon wieder, als ich die Treppen runter springe. Das mit der Seufzerei wird echt noch zur Gewohnheit. Das sollte ich abstellen. Dringend. Genauso mein fast schon zwanghaftes zu spät kommen. Ich schaffe das einfach nie. Keine Ahnung wie es manche Menschen sogar schaffen zu früh zu kommen. Könnte mir nicht passieren.

Nici weiß ja aber schon was sie zu erwarten hat und wird mich mit Sicherheit eine halbe Stunde zu früh in den Club bestellt haben, damit ich dann doch „pünktlich" bin,wenn sie ankommt. Sie kennt mich eben.

Winter Song ❄️ Julian BrandtWhere stories live. Discover now