Schwer schluckte ich. „Ah." Ich hätte das Fragen sein lassen sollen. Wie behandelt man jemanden, der nur noch wenige Stunden zu leben hatte? Ein Fest kann ich ja kaum für ihn schmeißen, nicht das er das überhaupt wollte. „Sieh mich nicht so an." Erst durch seine drohende Stimme bemerkte ich überhaupt, dass meine Augen die sichere Wand verlassen hatten. Schüchtern sah ich auf meine Hände. „Entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht in eine unangenehme Situation bringen." Ich spürte seine Augen überall auf mir, was es um einiges schwieriger machte, nicht zu zucken anzufangen.

„Gott, wer bist du? Wo ist dein verdammter Stolz." Ich hörte ihn näher kommen. Unbewusst spannte ich mich noch mehr an. Erst als ich seine Stiefelspitzen sehen konnte, hielt er an.

Warum musste er mir so nah kommen? Alles in mir schrie danach, meinen Blick zu seinen Augen zu schwenken und im Beilauf seinen ganzen Körper zu überfliegen. Leise versuchte ich die Luft aus meinen Lungen zu quetschen, um Platz für neuen Sauerstoff zu schaffen. Etwas zog an mir, diesen Menschen kennenzulernen. Selbst wenn ich wusste, dass ich mir damit nur das Leben schwer machen würde.

„Ich hab noch nie so einen schüchtern und wohlerzogenen Verbrecher wie dich gesehen. Deine Haltung, deine Gesten, deine Sprache, alles an dir weist auf einen guten Haushalt hin, aber du bist hier... Wieso?" Seine Stimmlage hatte Ähnlichkeiten mit einer Raubkatze, die zum Sprung ansetzte.

Meine Gedanken kreisten wie ein Adler in meinem Kopf herum und frassen meinen logischen Verstand auf. Das Verlangen ihn anzusehen wurde von Sekunde zu Sekunde drängender, aber meine Angst vor der Reflexion in seinen Augen hinderte mich. Weder ich noch er sollten meinen Anblick ertragen müssen. Die Unsicherheit in meinen eigenem Blick würde mich zu sehr verängstigen. 

„Sieh mich an." Seine Stimme, so rau und tief, sie sprach keine Bitten aus, sie kündigte Befehle an. Unabhängig meiner Einwände schaltete mein Körper auf Autopilot und hob den Kopf. Mein, ohnehin schon mehr Blut als nötig, pumpendes Herz legte einen weiteren Zahn zu. Sein Blick hielt mich gefangen. Es ratterte in mir. Lügen oder die Wahrheit? Lügen oder die Wahrheit?

„Ich wiederhole mich." Gefährliches Flüstern. So sprach er mit keinem Freund. „Wieso bist du hier?" Er betonte jedes Wort einzeln. Diesen Augen könnte ich nichts vormachen. Unabhängig, wie sehr ich es wollte. Doch hoffentlich würde die halbe Wahrheit ausreichen. „Ich, ich-", fing ich an zu stottern, „Ich habe jemanden umgebracht." Zum ersten Mal bekam ich einen anderen Ausdruck auf seinem Gesicht zu sehen. Entrüstet zog er seine Augenbrauen nach oben und fing kurz drauf an zu lachen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich zu mir runtergebeugt hatte, bis er sich aufrichtete. Es war kein warmes Lachen, doch erreichte der Klang mein Herz.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir das abkaufe, oder?"

So plötzlich wie es angefangen hatte, so endete es auch. Der Ausdruck, der sich anstelle des Lachens darauf hin in seinem Gesicht abspiegelte, ließ mich innerlich gefrieren. Mit weit geöffneten Augen drückte ich meinen Körper fester gegen die Wand hinter mir. Ich hatte doch tatsächlich gedacht ein Zellengenosse würde angenehm werden. Selbst nur für einen kurzen Zeitraum. Dabei hatte ich offenbar nicht bedacht, dass ein Zellengenosse vor allem eins bedeutete: Ein Verbrecher in meiner unmittelbaren Nähe. Und er war so unglaublich, unfassbar nah.

„So und jetzt erzählst du mir die Wahrheit." „Ich, ich meine es ernst. Meine Mutter starb bei meiner Geburt." Irritiert sah er mich an. „Deshalb bist du hier drin? Du bist eine Ausgeburt der Sünde des Teufels?" Erleichternd für mich, entfernte er sich wieder ein Stück von mir. „Ja, meine Familie hat mich hierher geschickt, sobald ich strafmündig wurden. Man könnte sagen der König und meine Familie sind befreundet. Also dauerte der Prozess nicht besonders lange." Entsetzt sah er mich an. Unruhig rutschte ich etwas hin und her. Mein Hals schnürte sich zu. Ich hatte Angst, er würde mich ansehen, wie jeder vor ihm. Sobald bekannt wurde, was ich war: Ein Sohn, der seine Mutter durch die Geburt in die Hölle schickte, auch Sünde des Teufels genannt. Sobald sie das erfuhren, entgegneten sie mir alle mit dem selben leeren Blick. Niemand wollte auch nur in die Nähe von solch einem Sohn kommen, da dieser vom Teufel berührt wurde und daher unmittelbares Unglück brachte. Man sagt, man seie nur vor diesen Menschen sicher, wenn man ihnen mit dem Schmerz gegenübertritt, den dieser verursacht hatte.

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Where stories live. Discover now