𝐅𝐨𝐮𝐫𝐭𝐲

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Ich befand mich nicht wirklich in einer Zelle. Eigentlich war es ein hübscher Raum, dessen Tür einfach aus festerem Material bestand. Es gab sogar ein weiches Bett. Die Umstände schrieen mich geradezu an, dass ich es hier doch viel besser hatte, als in dem Kerker meines Bruders. Und trotzdem würde ich die kalte Zelle bevorzugen. Ich würde die Bücher in dem schönen Regal ohne nachzudenken gegen Gitterstäbe tauschen. Nur um in die Welt von davor zurückzukehren.
Seine ganzen Lügen stapelten sich und brachen über mir zusammen. Ich verstand es nicht. Ich verstand nicht, warum er mich hier Stunden in diesen Raum ausharren ließ. Ich verstand nicht, warum er nicht kam, um es mir zu erklären. Mit jedem Ticken der Uhr perlte ein kleiner Teil dieser Hoffnung von mir ab, sodass sich die Fasern des Teppichs unter meinen Füßen auflösten. Blind trugen mich meine Beine von der einen Ecke zur anderen, als würden sie sich dadurch den eingeschränkten Platz erst bewusst werden. Sobald ich mich nieder ließ, erwachte etwas Dunkles in mir.

Über den Zeitraum den ich mit der Gruppe verbracht hatte, verlor ich immer mehr von diesem Selbsthass getränkten Gedanken, doch auf einmal schienen sie zurück. Vielleicht war ich dieses Monster von dem Damian sprach. Wir waren schließlich Brüder. Vielleicht gab es wirklich etwas, das dieses Leiden rechtfertigte. Irgendwas, das mir das Recht gab, weiterhin an den strahlenden Prinzen zu glauben, dessen funkelnde Edelsteine mich so verzaubert hatten.
Meine Finger verhakten sich mit meinen Haaren. Der Kopf auf meinen Schultern wurde mir zu schwer, während sich in meinem Inneren ein Kampf von Hitze und Kälte abspielte. Ich war der einzige, der in dieser Schlacht immer und immer wieder verlor.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Erschrocken wendete ich mich ihr zu. Ich hoffte sein Gesicht würde sich durch den Ritz quetschen. Ich stellte mir vor, dass es doch nur ein Missverständnis gab. Dass nicht alles gelogen war, aber selbst wenn er vor der Tür stehen sollte, gäbe es keine Hoffnung auf Befreiung. Dafür machte alles auf einmal zu viel Sinn. All diese Fragen, die ich mir immer heimlich gestellt hatte, schienen auf einmal eine passende Antwort zu haben. Alles was durch diese ganzen Lügen keinen Sinn gemacht hatte, warne nicht länger unlösbar. Aber immer noch war ich nicht bereit, diese Situation zu akzeptieren. Es konnte nicht alles ein Schauspiel gewesen sein.

Sie bewegten die schwere Tür und ließen eine Person eintreten. Ich sah sie nicht an, blickte weg aus eins dieser doppelverglasten Fenster. Enttäuschung stieg in mir auf. Jungkook war nicht dabei. Wäre er Teil der kleinen Gruppe gewesen, hätte ich es gespürt. Dann wäre mein Herz wie immer losgerannt, um seinem möglichst nah zu sein. Doch vielleicht hatte er nicht mehr diese Wirkung auf mich? Vielleicht hatte er auch einfach eine Leere in mich gerissen, die selbst er nicht mehr füllen konnte?

Müde Augen arbeiteten sich langsam zu den Gesichtern der Personen hoch. Überraschung zog an meinen Augenbrauen. Vor mir stand jemand, mit dem ich nicht gerechnet hätte.
„Jin?"
Mein Rachen kratze. Die gehachte Stimme klang furchtbar. Nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der Adelige hielt mir eine Krug hin, den ich in mit meinen zitternden Händen umfing. Eilig ließ ich die Flüssigkeit meine Kehle runterrutschen. „Wenn du durstig warst, hättest du auch ruhig darum bitten können.", meinte der Ältere. Ich legte in meinem Blick etwas der Zweifel, die ich empfand. „Das hier ist kein Gefängnis. Du kannst danach fragen, wenn dir etwas fehlt." Seine Stimme klang so rein, so ruhig, während er mir eine weitere Lüge auftischte. Ich schätze das passiert, wenn du einmal mit dem Betrügen anfängst: Du kannst nicht mehr aufhören.
Dabei wollte ich mir am liebsten die Ohren zuhalten. Egal, ob es kindisch wäre und ich damit meine Schwäche eingestehen würde. Ich wollte nur, dass man mir endlich dieses Gefühl aus der Brust schnitt.

„Ihr könnte gehen.", wandte sich Jin an das Wachpersonal, das mich mit eisernen Blick im Auge hatte. Die zwei Männer zögerten. „Er tut mir nichts." Ich knirschte mit den Zähnen. Ich war noch immer keine Gefahr in seinen Augen. Vermutlich hatte er recht. Das kontrollieren dieser Fähigkeit war unglaublich schwer und das Schwert hatte man mir natürlich abgenommen. Auch sonst gab es nichts in diesen Raum, mit dem ich ihm ernsthaften hätte Schaden zufügen könnte.
Meine Zähne drückten sich fester zusammen. Ich fand mal wieder nur Ausreden. Schließlich gab es immer Methoden. Hätte ich es wirklich vor, könnte ich einen Mann aus der Elite umbringen. Das war sich selbst Jin bewusst. Was mich davon abhielt, waren nicht die Umstände, sondern ich. Nur ich selbst stand mir im Weg.

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt