„Tiere können auch nicht gegen ihre Natur handeln, genauso wie eine Ausgeburt der Sünden des Teufels nicht. Sei froh, dass du hier bist, sonst würde bald vermutlich der nächste Mensch deinetwegen unter Erden wandern." Das Verlangen meinen Gedanken Luft zu machen wurde überwältig. Ich wollte ihm mitteilen, dass ich verdammt noch mal nicht mit einem Messer auf sie zugelaufen bin und sie abgestochen habe. Aber das weiß er bereits. Er spielt mit mir.

„Damian, das ist der größte Stein, den ich finden konnte. Geht der in Ordnung?" Gott, er klang so jung. So jung wie ich, als ich das erste Mal in seine Falle getreten war. Noch nie zuvor hatte ich den Klang dieser Stimme wahrgenommen. Vielleicht jemand neues? Regelmäßig vergrößerte sich die Gruppe. Je früher er die Jungs einlullte, desto treuer verhielten sie sich ihm gegenüber. „Natürlich.", meinte mein Bruder.

Es dauerte nicht lange, da sammelte sich auch der Rest der Mannschaft zusammen. „Was machen wir jetzt damit, Damian?" „Wir spielen jetzt ein kleines Spiel. Und das geht ganz einfach: Wer ihn mit dem Stein trifft, bekommt einen Goldtaler. Wer ihn sogar zum Bluten bringt, kriegt zwei. Ich bin sicher eure Eltern könnten das gut gebrauchen."

Der Ekel überrollte mich fast. Ich konnte nichts anderes wahrnehmen als ihre Stimmen, doch es reichte um mein Zittern nur schwer unter Kontrolle zu halten. Wie sollte dieser Mensch ein Königreich führen? Wie schnell wird er diese unschuldigen und unwissenden Seelen verderben?

Schüchtern stellt der Neue im Team ein Frage: „Tut es ihm dann nicht weh?" Die anderen Anwesenden stöhnten genervt auf. Schon öfter hörte ich mir solche Gespräche mit an. Sie liefen immer gleich ab. Der ganze Prozess wiederholte sich: Er zeigte ihnen die Möglichkeiten, das Ansehen, den Gewinn. Negative Aspekte versteckt er hinter unausgesprochenen Worten. Doch sobald jemand die Methoden hinterfragte, gab er ihnen eine Erklärung, die ein Kind nicht hinterfragen würde. Danach verfolgten sie ihm auf Schritt und Tritt. Ich konnte es ihnen nicht mal verübeln. Schließlich gehörte auch ich einmal dazu. Nur weil ich selbst einmal erfahren durfte, wie großartig Damian die Welt reden konnte, wusste ich wie viel davon erfunden war.
„Keine Sorge! Jemand wie er muss lernen, wo sein Platz ist, sonst greift er nach allem, was er kriegen kann! Nur zu. Schließlich ist er die Sünde des Teufels."

Unbemerkt stahl sich eine Träne aus meinen linken Augen. Wie jedes Mal, wenn ich mich nur noch dran festhalten konnte, dass es niemand sah. Ich wünschte mein sicherster Ort, wäre auch nur ein bisschen sicher.

Nicht besonders fest, streifte etwas kühles an mir vorbei. Der nächste Wurf war offensichtlich geübter und zielsicherer, doch prallte der Stein nur an mir ab. Bevor ein dritter Folgen konnte, rief jemand nach Damian.

Eine für mich unbestimmbare Unruhe legte sich im Hof nieder. Mein Bruder unterhielt sich mit jemanden. Zugern würde ich nachsehen, was über mir passierte, aber mein Verstand hinderte mich. Umso mehr versuchte ich mich auf das leise Gespräch zu konzentrieren, welches sich unmittelbar über mir abführte, doch ich schnappte nur einzelne Wörter auf.

Damian erhob seine Stimme, offenbar sprach er zu den Bürgern. „Ich bitte Sie die Ruhe zu bewahren! Wir kümmern uns darum. Gehen Sie ihn Ihr Haus und verriegeln Sie die Türen." Verbissen hielt ich mich mit meinen eigenen Armen fest, um ja nicht meine Deckung aufzugeben. Was passierte hier?

„Keine Sorge, kleiner Bruder. Ich komme wieder." Er verspottete mich. Wieso musste er mich immer so nennen? Vermutlich da er ahnen konnte, wie sehr mich diese Betitelung beeinflusste.
Große Stiefel, verfolgt von Kleineren, entfernten sich. Sie ließen mich tatsächlich allein.

Normalerweise würde ich noch eine Weile warten, bevor ich meine Deckung aufgab, doch heute nicht. Ruckartig verließ ich mein notdürftiges Versteck und probierte aufzustehen. Die Welt drehte sich vor meinen Augen, sodass ich plumpsend wieder auf meinen Hintern landete. Schnell startete ich einen weiteren Versuch und schleppte mich mühsam zurück zu meinem Bett. Ich stieg drauf und ließ meinen Blick vorsichtig zwischen den Gitterstäben hindurch-gleiten. Gespannt starrte ich auf das Geschehen vor mir.

In dem sonst so vollgestopften Hof, befanden sich lediglich sieben Personen. Zwei Diener, vier Wachen und der abscheuliche Prinz. Mir fiel erst jetzt auf, wie lange ich meinen Bruder nicht mehr angesehen hatte. Seine Stimme verfolgte mich selbst in meine tiefsten Träumen, doch sein Spiegelbild ist über die Zeit in den Hintergrund gerückt. Er war sichtlich älter geworden. Bevor er mich in diesen Raum stecken ließ, stand er kurz vor seinem 26ten Geburtstag. Wer weiß, wie lange das her war.

Über mir kehrte Bewegung ein. Pferde wieherten und weitere Menschen ritten auf den Hof. Es waren sechs Soldaten in ihrer Uniform. Ich beobachtete, wie der Anführer der kleinen Mannschaft abstieg und sich vor meinen Bruder verbeugte. Wieder wurde zu leise gesprochen, um sie von der Entfernung aus zu verstehen.

Wie magisch angezogen, richtete ich meine Augen auf etwas hinter den Soldaten. Eine Schockwelle durchfuhr mich, als ich direkt in die Augen eines Mannes starrte. Mein Magen drehte sich um und vermischte das Gefühl von Nervosität mit Erstaunen. Ich nahm nichts weiter wahr, als die dunklen Edelsteine in dem Gesicht eines bildschönen Mannes. Sie bohrten sich in meine. Es fühlte sich beinah so an, als würde er nur einen Meter weit entfernt von mir stehen und mich mit diesen Ausdruck durchschauen.

Erschrocken durch diesen Zustand rutschte ich aus seinem Sichtfeld. Wer war das? Was machte er hier? Viel zu neugierig befand ich mich keine Minute später wieder am Fenster. Etwas erleichtert und enttäuscht zugleich, stellte ich fest, dass er seinen Blick von mir abgewendet hatte.

Erst jetzt vielen mir die dicken Seile, die seine Arme an seinen Oberkörper fesselten, auf. Blut rieselte auf den Boden und ich suchte seinen dreckverschmierten Körper nach der Quelle ab. Sie hatten ihn den ganzen Weg an einer Leine hinterherlaufen lassen. Was wollte mein Bruder von ihm? Was hatte er getan? Mir wurde schwindelig durch die Menge an unbeantworteten Fragen, die mein Gehirn durchschnitten.

Der Junge wird vor die Füße des Prinzen getragen und auf seine Knie gestoßen. Mit einer Entschlossenheit und Willensstärke, die sich noch nie in meinen Knochen befunden hatte, sah er meinen Blutsverwandten an. Der nächste Schauer durchfuhr meine Gliedmaßen. Bewundernde Gänsehaut zierte meine Arme. Er war ohne Zweifel am kürzeren Hebel und doch- und doch sah ich keinen gewöhnlichen Verbrecher zu. Man hatte das Gefühl einen erdlichen Gott gegenüberzustehen. Selbst meinen sonst so gelassenen Bruder verließ für eine Sekunde die Gleichgültigkeit. „Sei bloß nicht so hochmütig, du Gauner. Mein Vater und die Folterknechte wird dir schon Gehorsam beibringen. Ich hoffe für dich, er lässt dich nur verbrennen."
Oh bitte nicht. Sie werden ihn doch nicht umbringen? Gedanklich verdrehte ich meine Augen über mich selbst. Doch natürlich werden sie das. Schließlich ging es um meine Familie, die Königsfamilie. Sie ließen niemanden lebend, der nicht lebend gelassen werden musste. Einzig mein königliches Blut rettete mich vor dem Tod.

Der Prinz lachte, während die Soldaten den jungen Mann ins Gebäude trugen. Es schmerzte in meinem Kopf.  Die Bediensteten folgten und für kurz stand mein Bruder allein auf den großen Hof. Das sonst so höfliche und freundliche Lächeln versteckte seine Fraze, aber jetzt gerade konnte ich sie sehen. Es lehrte mich das Fürchten.
Schaudernd wurde mir eins bewusst: Von all diesen Menschen, die jeden Tag um ihn herumschwirrten, war ich der Einzige, der jemals sein anderes Gesicht erkannte.

Als er den Ansatz machte sich in meine Richtung zu drehen, bückte ich mich schnell vom Fenster weg. Ohne ein weiteres Mal raus zusehen, legte ich mich auf mein unbequemes Bett. Eine weitere Träne hinterließ eine Spur auf meiner ausgetrockneten Haut. Es waren weder Tränen der Trauer noch der Angst. Dieses Mal verkörperten sie meine Verzweiflung. Ich würde ihm nicht helfen können. Ich würde den Jungen mit den Augen aus Edelsteinen nicht helfen können. Er wird enden wie jeder zuvor, der nicht den Boden vor den Füßen des Prinzen sauber wischte. Ich werde ihm nicht helfen können und alles was mir von ihm bleiben würde, war ein einziger Blick in seine Augen.

Freigeschaltet „Taehyung's Steckbrief"

𝐅𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐲𝐥𝐥𝐚𝐛𝐥𝐞𝐬 (𝖳𝖺𝖾𝗄𝗈𝗈𝗄)Where stories live. Discover now