1 - Von Zuckerwattenparfüm und Kants Milchzahnverlust

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inst sagte mir jemand, dass trotz aller Dunkelheit immer irgendwo ein Licht scheinen würde. Manche leuchteten so strahlend hell, dass sie einem sofort ins Augen stachen, andere waren verborgen hinter den Wolken der Nacht. Also wenn sich mein Licht gerade wirklich versteckte, würde ich ihm in die Fresse schlagen, wenn ich es wieder fände. 

"Nein, nein, nein und nochmals nein!"
Ich funkelte wütend auf die Pinnwand, in der Hoffnung, dass sich dadurch doch noch etwas an den Aushängen ändern könnte.

"Kannst du das glauben?", fragte ich ungläubig meine beste Freundin Mary-Ann, die genüsslich in ihr Croissant biss.

"Hmm?", grummelte sie mit vollem Mund.

"Die haben Kunst abgesetzt! Bitte was soll ich jetzt wählen?"

Mit meinem Talent einer blinden Kohlmeise - mit gebrochenen Flügeln - hatte sich gerade meine Chance, wenigstens ein Fach zu wählen, das ich halbwegs beherrschte, in Luft aufgelöst. Deprimiert lehnte ich meinen schwarzhaarigen Schopf an die Pinwand und seufzte. Ich war verloren.

May wiederum schlang den letzten Bissen herunter und verdrehte die Augen.

"Darüber habe ich dich schon vor einer Woche informiert, aber du hattest scheinbar Besseres zu tun, als mir zuzuhören."

"Ich...", krampfhaft suchte ich nach einer Ausrede, kam aber nicht besonders weit.

Mit leicht geröteten Wangen seufzte ich.

"May...Hilfe", bettelte ich mit einem Hundeblick.

Nach einer langen Pause, in der meine Augen immer größere Form annahmen, gab sie nach.
"Also gut. Dann wollen wir mal sehen", meinte sie und fuhr mit dem Finger in Sekundenschnelle über die umfangreichen, bunt verzierten Titel.
Und mit 'umfangreich' meinte ich, dass von beknacktes-Fach bis überdimensional-beknacktes Fach alles dabei war.

Meine Augen schweiften über Angebote für Tanzen, Football, Kochen, Sportmedizin und vieles mehr, bis May schließlich bei einem Flyer verharrte.

"Musik?", fragte ich sie ungläubig. Sie nickte.

"Du bist keine schlechte Sängerin und du spielst Klavier."

Von Klavier spielen konnte kaum die Rede sein, lieber misshandelte ich die mit - nach jahrelanger Übung immer noch benötigt - Post-its beklebten Tasten.
Nicht zu vergessen meine Gesangstalente, die dahingehend  ausreichten, meinen Mitmenschen einen Ohrschaden zu verschaffen.

Fragend zog ich eine Augenbraue hoch (das wohl einzige Talent, das ich hatte und worauf ich schon ziemlich stolz war).

"Perfekt, deine Erstwahl hätten wir schon einmal", freute sich May grinsend.

Ich war mir nicht sicher, ob sie meinen Blick unabsichtlich falsch gedeutet hatte.

"Ich kann nicht sin-" "AHA", unterbrach sie mich, ,,Drama. Ich wusste schon immer, dass sich in dir ein schauspielerisches Talent versteckt. Damit hätten wir auch deine Zweitwahl. Traumhaft. Können wir jetzt endlich auf's Klo?", quengelte sie und riss mich, ohne eine Antwort abzuwarten, mit in Richtung Toilette.

Wir bogen rechts ab und betraten den Waschraum, in dem sich ausnahmsweise keine Schlange gefüllt von Mädchen mit schwachen Blasen bis hin zu den Toiletten aufgereiht hatte.
May hüpfte förmlich in eine freie Kabine und schloss die Tür ab.

"Ich kann das nicht wählen. Ich klinge wie eine sterbende Krähe, egal ob beim Singen oder beim Schauspielen. Außerdem weißt du selbst, dass ich nicht mal überzeugend genug bin, um dich anzulügen", erzählte ich der verschlossenen Tür von meinen Problemen, während ich mich an die gegenüber liegende Wand lehnte. Ich war mir sicher, sie hatte schon einiges Leid erfahren müssen und würde mich ganz sicher verstehen.

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