12 - Von Äpfeln und leeren Entschuldigungen

42 10 41
                                    

"Die Äpfel hängen zu hoch", stellte ich mit Bedauern fest.

"Ever, ich sehe die Äpfel nicht! Du musst mir mithilfe deiner Stimme ein Bild der Äpfel in mein Hirn einbrennen! Wie fühlst du dich dabei, dass die Äpfel zu hoch sind? Lass deine Gefühle in deine Tonlage, Mimik und Gestik zusammenfließen und eins mit deinem Geist werden."

Bitte was? Ich unterdrückte ein verständnisloses Kichern und ließ meine Gefühle lieber 'eins mit meinem Geist werden'.

"Die Äpfel hängen zu hoch!", trauerte ich dieses Mal deutlich enttäuschter.

"Wunderbar, genau so", meinte Mrs. Rosewood.
"Weiter mit der nächsten Übung für alle."

So ging das schon seit einer halben Stunde. Wir bekamen einen Satz, den wir in verschiedenen Tonlagen und unterschiedlichen Gefühlen ausdrücken sollten. Das ganze diente wohl als Trainingsstunde, um uns langsam an die Schauspielerei heranzutasten.

Ich wollte zwar lieber mit dem eigentlichen Stück anfangen, aber es war mir nur Recht, dass ich durch diese Übung Noah geflissentlich ignorieren konnte.
Zugegeben, vermutlich erkannte er keinen Unterschied, da er heute wohl sowieso nicht mehr auf mich achtete als sonst, aber mir half es. Es war schön, nicht immer durch seine Visage an den passiven Streit mit meiner besten Freundin erinnert zu werden.

Ich hatte sie die letzten zwei Tage ignoriert, aber heute im Philosophieunterricht würde das wohl nicht mehr so gut funktionieren. Dennoch würde ich mein Bestes geben. Sie sollte schon alleine zugeben, dass sie sich geküsst hatten.

Aber nicht nur Noah und May ignorierte ich, sondern auch Josh. Wir würdigten uns keines Blickes, als hätten wir noch nie miteinander gesprochen, als hätte ich nicht vor ihm geweint, als hätte er mich nicht nachhause gebracht.

Doch das war okay für mich, denn wenn ich an die Partynacht zurückdachte, würde ich am liebsten im Boden versinken. Ich schämte mich dafür, einem Halbfremden meine tiefsten Gefühle präsentiert zu haben und wie ein emotionales Wrack weinend dagesessen zu haben.

Das war auch der Grund, warum ich Jayda davon nichts erzählt hatte. Im Nachhinein bereute ich meine sentimentalen, naiven Ausbrüche immer, also behielt ich sie lieber für mich. Die einzigen Personen, die davon nun wussten, waren Josh und Jill, der ich es vorgstern bei Schneegestöber und Eis doch erzählt hatte.

Die weitere Stunde widmeten wir uns noch mit ein paar Beispielen und einer anschließenden Zusammenfassung gefolgt von haufenweise Arbeitsblättern, die allesamt über der Audrucksweise des Schauspielens gingen.

Jayda und ich machten einen kleinen Abstecher zu unseren Spinden, damit wir unsere Sachen darin verstauen konnten. Bei der letzten Abbiegung wählte sie den rechten Gang, während ich den linken wählte.

Unwillkürlich dachte ich wieder an die zwei Gedichte, die ich in meinem Spind schon gefunden hatte. Noah fiel als Schreiber nun endgültig aus dem Raster. Aber wer war das dann? Ich hatte nur mit sehr wenigen Jungs Kontakt und von denen eignete sich auch niemand als 'geheimnisvoller Verehrer'.

Seufzend öffnete ich den Spind und bemerkte einen zusammengefalteten Zettel. Das Spiel war also noch nicht vorbei. In meiner Magengegend breitete sich beinahe etwas wie Vorfreude aus, als ich das Blatt entfaltete.

Das Papier roch wie immer nach alten Büchern und schwarzen Buchstaben sahen wie frisch gedruckt aus.


𝙵𝚘𝚛 𝙴𝚟𝚎𝚛

𝚈𝚘𝚞’𝚛𝚎 𝚖𝚢 𝚜𝚞𝚗 𝚒𝚗 𝚝𝚑𝚎 𝚖𝚘𝚛𝚗𝚒𝚗𝚐,
𝚠𝚑𝚎𝚗 𝚝𝚑𝚎 𝚍𝚊𝚢 𝚜𝚝𝚊𝚛𝚝𝚜 𝚛𝚘𝚊𝚖𝚒𝚗𝚐.
𝚈𝚘𝚞’𝚛𝚎 𝚖𝚢 𝚖𝚘𝚘𝚗 𝚒𝚗 𝚝𝚑𝚎 𝚗𝚒𝚐𝚑𝚝,
𝚝𝚘 𝚐𝚞𝚒𝚍𝚎 𝚖𝚎 𝚠𝚒𝚝𝚑 𝚢𝚘𝚞𝚛 𝚕𝚒𝚐𝚑𝚝.

For EverOnde as histórias ganham vida. Descobre agora