Louis & Kilian

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»Warte, ich helf dir«, sagte Kilian und lehnte seine volle Einkaufstasche gegen die Hauswand, bevor er dem Jungen im Rollstuhl die Tür öffnete; sie war schwer und sperrig und es war ein Wunder, falls der Fremde sie überhaupt mal alleine aufbekommen hatte.
»Danke.«
Der Junge legte seinen Kopf in den Nacken, um ihm ein kleines Lächeln zu schenken und Kilian betrachtete ihn eingehend; er hatte kastanienbraunes, kurzes Haar, strahlendblaue Augen, war ziemlich blass und schätzungsweise achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Kilian hatte ihn noch nie hier gesehen.
»Kein Problem.«
Er schnappte sich die Tüte mit den Einkäufen und betrat hinter dem Jungen den alten, muffeligen Hausflur.
»Wohnst du hier?«, fragte er dann als sie sich gemeinsam in Richtung Fahrstuhl bewegten. Der Junge nickte leicht.
»Jep, zusammen mit meinem Bruder, aber der ist gerade in Greifswald und kümmert sich um unsere Großeltern. Wegen der Apokalypse und so.«
»Ach, hör mir bloß auf damit. In meiner WG krieg ich 'nen Lagerkoller, besonders seit zwei meiner Mitbewohner plötzlich ein Paar sind und sie einfach überall rum kitschen.«
Kilian verdrehte übertrieben die Augen und der Junge lachte, wobei ein kleines Grübchen auf seiner rechten Wange zum Vorschein kam.
»Tjah, ich kann verstehen, dass einem das zuviel wird. Wenn du willst, kannst du ja mal einen Abstecher in meine Wohnung machen, da herrscht wunderbare Stille.«
Es rumpelte einmal laut, bevor endlich der alte Fahrstuhl quietschend seine Türen öffnete.
Kilian ließ dem Jungen den Vortritt und beobachtete, wie jener den Knopf zum zweiten Stockwerk drückte, bevor er ebenfalls in den Fahrstuhl stieg; so war es schon richtig eng hier drin und Kilian musste seine Einkaufstasche an die Brust drücken, da woanders kein Platz mehr war. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie unfreundlich der alte Neubau eigentlich für Behinderte war. Generell war das alte Haus irgendwie nicht mehr gut instand. Dennoch drosselte dies seine Laune nicht; er grinste den Jungen schelmisch an.
»War das eine Einladung?«
»Du kannst gern vorbei kommen, bevor du deine Mitbewohner noch umbringst. Ich bin übrigens Louis«, meinte der Junge - ab jetzt Louis - und sah ihn immer noch sehr freundlich an.
»Und ich bin Kilian«, antwortete er, kurz bevor der Fahrstuhl erneut rumpelte und schließlich im zweiten Stockwerk zum Stehen kam.
»Gut, Kilian«, grinste Louis und drehte langsam die Räder seines Rollstuhls, in Richtung des Etagenflurs.
»Dann klingel hier demnächst einfach bei Meier, ich werde ganz sicher da sein und aufmachen.«

»Wäre der hier was für dich?«, begrüßte Laura ihn als Kilian gerade die Wohnungstür geöffnet hatte und hielt ihm ihr Handydisplay vor die Nase, auf dem ein blonder, recht muskulöser Typ abgebildet war.
»Wa- Keine Ahnung, ich kenn ihn doch gar nicht und jetzt lass mich vorbei, sonst taut gleich alles auf.«
Er bahnte sich den Weg an der Blondine vorbei in die Küche, wo Valentina gerade einen Marmeladentoast verspeiste.
»Hey Kilian, wie läuft die Suche nach einem heißen Boyfriend so?«, meinte sie und ging zur Seite, so dass Kilian seinen Einkaufsbeutel auf die Küchentheke stellen konnte.
»Ach halt doch die Klappe, Laura geht mir damit jede Sekunde des Tages auf den Zeiger.«
Er seufzte und begann, Eis und Tiefkühlerbsen in den Kühlschrank zu packen.
»Sie versucht nur, die Sache mit Robin wieder gut zu machen und dir zu helfen. Außerdem ist das Schlimmste, was dabei passieren kann, dass du einen heißen Typen kennenlernst. Also entspann dich.«
»Ja, aber es interessiert sie ja nichtmal, dass ich dafür vielleicht noch nicht bereit bin oder gar keine Beziehung haben will ...«
»Tjah, du kannst den Typen ja auch einfach ficken und ihn dann wieder wegschicken. Hauptsache, es heitert dich auf.«
Valentina zuckte mit den Schultern und half dabei, Zucker, Gewürze und andere frisch gekaufte Kleinigkeiten auf die Küchenschränke zu verteilen. Kilian starrte sie kurz ungläubig an und schnaubte dann, wobei er den Kopf schüttelte.
»Ich hätte nie gedacht, dass die süße, kleine Val solche schmutzigen Wörter benutzen kann. Und sie auch noch so meint.«
»Tjah, ich bin eben auch nur ein Mensch. Und will dir helfen, genau wie Laura.«
Wie aufs Stichwort kam jene ins Zimmer gelaufen und blieb mit euphorischem Glanz in den Augen vor Kilian stehen.
»So, jetzt aber - ich hab herausgefunden, dass bei uns im zweiten Stock sie ein ziemlich süßer, brünetter Typ wohnt. Und er ist Single. Warte, ich hab auch irgendwo ein Foto.«
»Ich glaube, dass kannst du dir sparen«, sagte Kilian und musste plötzlich grinsen, während er den inzwischen leeren Einkaufsbeutel zusammen faltete und zurück in eine der Schubladen legte.
»Den habe ich gerade vorhin im Fahrstuhl kennengelernt.«
»Nein, ist nicht wahr!«, stieß Laura aufgeregt aus, während sie ihn mit großen Augen anschaute.
»Und?«
»Er hat mich eingeladen, mal bei ihm vorbei zu schauen, wenn mir hier die Decke auf den Kopf fällt, sein Bruder ist nämlich nicht da und er hat die Wohnung für sich. Er ist sehr nett und witzig. Aber ... ich bin mir unsicher, ob er was für mich ist.«
Kilian zuckte mit den Schultern; klar, Louis war schon echt süß gewesen, aber wahrscheinlich stand er gar nicht auf Typen und war nur etwas einsam, ohne seinen Bruder. Außerdem wusste Kilian nicht, ob er bereit war, für eine Beziehung mit jemandem, der im Rollstuhl saß oder krank war. Er, der immer alles perfekt machen wollte, hätte wahrscheinlich ständig Angst, sich nicht gut genug um Louis zu kümmern, etwas falsches zu sagen oder einfach nicht zu wissen, was zutun war.
»Ach, das ist doch Schwachsinn«, meinte derweil Valentina mit fester, enthusiastischer Stimme.
»Der ist genau, was du jetzt brauchst und du kannst es dir ja immer noch überlegen, wenn du ein bisschen mit ihm geflirtet hast.«
»Eben, also komm und fahr deine Krallen aus, Tiger! Wir beide helfen dir auch.«
Laura klatschte eifrig in die Hände; ein zweiter Erfolg auf ihrer Verkupplungsliste schien ihr zu gefallen. Und Gott weiß, was sie dafür noch alles tun würde.

Verschlossen verschossenWhere stories live. Discover now