Andreas & Robin

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»Sicher, dass ihr nicht zusammen seid? Also so wirklich?«
Laura sah die beiden eindringlich an und grunzte ungläubig, als sowohl Robin als auch Andreas den Kopf schüttelten. Die beiden saßen eingekuschelt in eine Flauschdecke auf der Eckbank vor dem Esstisch und teilten sich zum Frühstück eine Schüssel Cornflakes. Generell waren sie sich körperlich immer sehr nahe, was ihre Mitbewohner allerdings erst jetzt zur Sprache brachten, wo die Unis geschlossen waren und sie alle hobbylos Zuhause saßen. Wahrscheinlich war ihnen einfach langweilig und da gab es ja nichts besseres als sich in die Angelegenheiten der anderen einzumischen. Robin hatte das auch schon versucht, aber Valentina war schlussendlich ausgerastet als er versucht hatte, auch nur einen Pinselstrich auf einem ihrer Bilder hinzuzufügen.
»Wie kommt ihr eigentlich nur darauf?«, fragte er jetzt und stopfte sich nebenbei einen Löffel seines Frühstücks in den Mund.
»Ich meine, Lauri und Val kuscheln doch auch dauernd und machen viel zusammen. Trotzdem denken hier alle, ihr seid nur Freunde.«
»Die beiden sind aber auch hetero«, warf Kilian ein und zuckte mit den Schultern.
»Ihr seid beide eben total gay und kuschelt ständig. Klar denken wir da, dass was läuft. Auf der Party vor zwei Wochen haben uns auch ständig alle gefragt, ob ihr zusammen seid.«
»Und was habt ihr gesagt?«, fragte Andreas entgeistert und schob die Cornflakesschale mehr in seine Richtung, wobei er sich von Robin einen bösen Blick einfing.
»Dass wir es nicht wissen.«
Valentina seufzte und griff nach der Marmelade.
»Aber keine Panik, alle heißen Typen, die da waren, waren eh hetero. Ihr habt also nicht euren Traumprinzen verpasst.«
»Natürlich nicht, immerhin haben die beiden sich ja quasi schon gefunden«, warf Laura ein und Robin stöhnte genervt auf.
»Jetzt lasst uns doch mal! Andreas ist der Einzige in dieser WG, mit dem ich Gay-Serien gucken kann und wir verstehen uns einfach gut. Wollt ihr jetzt ernsthaft die ganze Corona-Krise lang darüber diskutieren?«
»Naja, viel anderes haben wir ja eh nicht zutun.«
Kilian schnappte sich noch ein Brötchen. Ihn traf es am meisten, nicht wirklich etwas unternehmen zu können; ansonsten war er ständig auf Zack, meldete sich für jede Freiwilligenveranstaltung an und belegte hundert Kurse in der Uni, von seinen nächtlichen Clubtouren ganz zu schweigen. Jemandem wie ihm konnte man eben schlecht sagen, dass er jetzt Zuhause bleiben und Netflix gucken sollte.  Robin und Andreas hingegen passte das ganz gut; sie konnten endlich mal einen Filmmarathon machen und sich auch die langen Klassiker wie Call Me By Your Name angucken und vielleicht sogar ein paar Filme mit lesbischen Charakteren. Außerdem gab es da ja noch Bücher zu lesen, Fanfictions zu schreiben … Robin hatte sogar überlegt, ein paar Nächte in Andreas' Zimmer zu schlafen, um ihre freihe Zeit vollkommen auszukosten, aber das würde er sich jetzt verkneifen.
»Also, um das jetzt nochmal klarzustellen: Robin und ich sind Single und wollen nichts voneinander«, meinte Andreas nun schlicht und schob Robin die Schüssel wieder hin, obwohl sie bereits leer war. Jener knuffte ihn deshalb spielerisch in die Seite und ließ seinen Kopf schließlich lachend auf Andreas' Schulter nieder, wobei jener sich ebenfalls spielerisch wehrte. Die anderen WG-Mitglieder beobachteten sie mit fragenden und leicht ungläubigen Blicken.
»Wenn ihr meint«, sagte Kilian dann nur noch und damit war die Sache fürs Erste gegessen; genau wie ihr Frühstück und so verzogen sich alle langsam zurück in ihre Zimmer. Nur Robin schlich sich betont heimlich in das von Andreas, um mit jenem Brokeback Mountain zu gucken.

»Ich versteh das nicht. Als Val damals die ganze Zeit mit diesem Felix geflirtet hat, hat auch keiner was gesagt und jetzt tun alle so als wären wir Romeo und Julia, nur weil wir beide schwul sind und Zeit miteinander verbringen.«
Andreas verschränkte die Arme vor der Brust, während Robin sich weiter mit der Feenbedienung durch Netflix scrollte; einige Stunden und zwei Filme später griff sein Mitbewohner das Gespräch vom Frühstück also nochmal auf. Robin hätte es gerne schon viel früher getan, aber er wollte zuerst nicht die harmonische Stimmung durchbrechen, nur um sich über die anderen WG-Bewohner aufzuregen. Er zuckte mit den Schultern.
»Das geht schon wieder vorbei, spätestens wenn sie kapieren, dass eben wirklich nichts läuft. Oder wenn einer von uns einen Freund bekommt.«
»Tjah, und wie willst du den während einer weltweiten Pandemie mit Kontaktsperre finden?«, fragte Andreas etwas gereizt und griff nach der Chipspackung, die vor ihnen auf dem kleinen Glastisch lag; sein Zimmer eignete sich einfach perfekt für Filmabende bzw. jetzt eher ganze Tage, da es nicht nur mit das größte Zimmer war, sondern da er auch eine Couch, einen recht großen Fernseher und einen kleinen Kühlschrank besaß - so musste man nichtmal aus dem Zimmer gehen, wenn man während des Films Durst bekam oder Lust auf Pudding hatte. Besonders praktisch war es, dass die dort gelagerten Lebensmittel nicht von ihren lieben Mitbewohnern verspeist werden konnten - denn fehlendes Essen war hier ein großes Streitthema, bei dem viel mit mutmaßlichen Beschuldigungen um sich geworfen wurde. Theoritisch konnte man das ganze filmen und eine neue RTL-Serie daraus machen.
»Ich glaube, ich würde es irgendwie komisch finden, wenn du plötzlich einen Freund hättest«, sagte Robin nachdenklich aus dem Kontext, auch wenn er sich selbst nicht sicher war, was er damit meinte. Andreas schaute ihn komisch von der Seite an.
»Wieso, denkst du etwa, mich will keiner?«
»Doch. Es wäre eher komisch, weil wir dann nicht mehr so viel Zeit miteinander verbringen könnten. Außerdem würde dein Freund es sicherlich nicht so toll finden, wenn wir kuscheln.«
Eine Weile war es ruhig, bis Andreas schließlich sagte:
»Ich glaube, du machst dir zu viele Gedanken. Und erstmal bleibe ich eh Single, es sei denn, ich heirate die Chips.«
»Hm, du hast wahrscheinlich recht. Und selbst wenn du mit jemandem zusammen kommst - wir wissen jetzt ja noch nichtmal, wie er drauf ist. Vielleicht findet er's ja okay.«
Robin neigte sich zur Seite und klaute Andreas die Chipstüte, bevor er einmal beherzt hinein griff.
»Eben. Außerdem besteht genauso die Chance, dass du einen Freund findest, vergiss das nicht. Aber es wird schon irgendwie klappen.«
Robin erstarrte für einen Moment und wehrte sich auch nicht als sein Mitbewohner ihm die Chipspackung wieder wegnahm; er und ein Freund. Irgendwie konnte er sich das jetzt gerade überhaupt nicht vorstellen. Er und … Wer war da bitte sein Traumprinz? Immerhin wusste er ja eigentlich nichtmal richtig, was sein Typ war und seine Erfahrungen beschränkten sich auf die zweimonatige Beziehung mit einem gewissen Leroy in der zehnten Klasse. Ein bisschen rummachen, Sex und mehr war da nicht gewesen. Eigentlich hatte er Leroy ja nichtmal richtig gemocht, es war eher eine Zweckgemeinschaft gewesen, um überhaupt Erfahrungen zu sammeln.
»Hm, du hast wahrscheinlich recht«, sagte er schließlich und startete endlich die erste Folge von Faking It, die ihm gerade ins Auge sprang. Erstmal würde sowieso alles beim Alten bleiben.

Verschlossen verschossenWhere stories live. Discover now