Kapitel II: Flucht

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Ich ging seit Stunden in dieselbe Richtung, den Talkessel entlang. Es war unwegsames Gelände und ich kam nur langsam voran, Wege gab es nur einen, und den wollte ich wegen dem Mörder meiner Klasse nicht benutzen, denn irgendwann würde er mit seiner Kutsche dort entlang fahren. Was wohl passieren würde wenn er mich findet? Und wer wohl skrupellos genug war, eine ganze Klasse von Kindern umzubringen? Mein einziger Trost war, das es langsam anfing zu dämmern und ich endlich etwas sehen können würde, sodass mir nicht alle 2 Sekunden Äste ins Gesicht schlägen. Je weiter ich von der Hütte enfernt war, desto lichter wurde der Wald und desto mehr Laubbäume gab es.  Unwillkürlich fragte ich mich, wie ich eigentlich überleben wollte, ganz alleine und ohne jegliche Pflanzenkenntnisse. Wie lange es wohl dauern würde, bis ich verdurstet wäre? Nein, daran durfte ich garnicht erst denken. Ich, Jolly, würde es schon irgendwie schaffen. Das hatte ich immer. Nur nicht aufgeben.

Mittlerweile war es schon hell, die Vögel hatten angefangen zu zwitschern, die Morgensonne schien durch das Blätterdach und es war gänzlich windstill. So wirkte der neue Tag doch gleich viel freundlicher. Ich bemerkte, das ich garnicht wusste wohin ich ging und sah am Baum neben mir hoch. Ob seine Äste mich wohl halten würden? Wahrscheinlich schon, allerdings nur die unteren. Das würde mir jedoch nicht nützen, da ich dann ja trotzdem keinen besseren Ausblick hätte. Also lieber Kräfte aufsparen und etwas anderes tun. Wir waren recht hoch, also dürfte es nicht allzu weit bis zur Baumgrenze sein. Also wand ich mich nach rechts, hangaufwärts und begann den Aufstieg.  Allmählich wurde ich durstig und meine Beine wurden müde, das stetige Bergaufgehen war noch anstrengender als das Gehen durch das Unterholz sowieso schon war. Kurz überlegte ich umzudrehen, verwarf diesen Gedanken jedoch recht schnell wieder, da dann die bereits zurückgelegten Höhenmeter umsonst wären. Ich bemerkte, wie langsam die Bäume weniger wurden. Nur noch ein kurzes Stück, bis ich über sie drüben schauen könnte. Endlich stand ich unter freiem Himmel, um mich herum von Moos bewachsene Steine und Gras, gesprenkelt von Blumen. Es war eigentlich ziemlich schön und die Luft war klar, ebenso wie der Himmel. Dann schaute ich mich um.

Weit zu meiner Linken sah ich das Ende des Tales, wo auch die Hütte stand. Das Tal war umringt von steil ansteigenden Bergen mit schneebedeckten Gipfeln.  Auf der anderen Seite war ein Berg mit einem Wasserfall, dessen Rauschen man auch hier noch ganz leise hörte. Zu meiner Rechten verengte sich das Tal, sodass es kaum mehr eine Schneise war, machte einen Knick und verschwand hinter einem Berg. Der Berg stieg langsam an, zur anderen Seite des Tales gab es steile Klippen. Doch das Beste: der Berg hatte einen Gletscher! Und wo ein Gletscher war, war ein Gletscherbach doch auch nicht weit. Ich hoffte, diesen in der Schneise zu finden. Damit stand mein Beschluss fest: zum Wasser!

Einige Stunden später war ich am Anfang der Kluft angekommen. Mittlerweile war der vorher noch so klare Himmel zugezogen und Schwere Wolken bedeckten den Himmel. Zusammen mit dem Gefälle der Schlucht und der steil aufragenden Klippe war die Atmosphäre weniger schön und selbst das Zwitschern der Vögel klang in meinen Ohren bedrohlich. Ich wünschte ich könnte einen anderen Weg einschlagen, aber der einzig mir mögliche Weg war nunmal hierentlang. Wo war eigentlich die Straße abgeblieben? Ich wusste es nicht, sie zu suchen würde aber meine Kräfte übersteigen. Ich hatte seit gestern Abend nichts mehr getrunken und brauchte dringend Wasser. Auch Hunger hatte ich, allerdings hatte ich in meinem Rucksack noch etwas Proviant von einem Ausflug. Während ich weiterging, ließ ich meine Gedanken etwas kreisen. Ich war den gesamten Tag nahezu durchmarschiert und hatte nur einmal eine Pause im Schatten eines Baumes gemacht. Zu groß war die Angst, mich nicht wieder in meinen stetigen Rhythmus einzufinden und die restliche Strecke dadurch beschwerlicher als ohnehin zu gestalten. In einer anderen Situation wäre ich vermutlich stolz auf mich, aber im Moment war ich zu durstig und es war immernoch nicht klar, wie weit mich meine Bemühungen bringen würden. Vielleicht würde mir die nächste Kurve Gewissheit verschaffen. Aber wollte ich die überhaupt? Was ist, wenn ich merke, dass alles umsonst war? Würde ich mich hinsetzen und dem Ende entgegensehen? Oder würde ich mich simpel von einer Klippe stürzen? Nein, so wie ich mich kenne würde ich vermutlich weiterkämpfen. Aber wofür das ganze? Nur um dann wieder ins normale Leben zurückzukehren? Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich das plätschern von Wasser vernahm. Es war nicht unbedingt nah, aber definitiv existent. Jetzt musste ich es nurnoch finden.

Die Suche nach dem kühlen Nass gestaltete sich leichter als erwartet, als hinter der nächsten Biegung das hellblaue Wasser des Gletscherbachs auftauchte. Es war die schönste Farbe, die ich je gesehen hatte, es wirkte so rein und mir lief bei dem Anblick, der sich mir zeigte, ein Schauer über den Rücken.  Es war eine Lichtung, übersäht mit Blumen und Gräsern, von dem kristallfarbenen Wasser durchschnitten und an den Rändern des Flusslaufes Steine, welche mit dicken Moosen und Flechten überzogen waren. Etwas weiter hinten, am Hang, lagen drei riesige Findlinge. Es wirkte so anders, als der lebendige, jedoch trockene Wald, von dem die letzten Stunden erfüllt waren, das mir die Spucke wegblieb. Wäre hinter einer der Blumen eine Elphe hervorgekommen, es hätte mich nicht gewundert. Es wirkte, als lebten Trolle und Nymphen hier, wundersame Fabelwesen wie sie im Buche standen. Es war ein Ort, der die Schönheit des Lebendigen hervorhob und einem Kraft, Mut und Ehrfurcht einflößte. Ehrfurcht vor der Gewalt und der Weisheit der Natur. Es war magisch.

Überleben? Um jeden Preis!Where stories live. Discover now