Sonntag, 15. März 2020

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Vor etwas über 14 Tagen meldeten die Behörden den ersten Corona-Fall in Deutschland.

14 Tage!

Das ist nichts.

Zur Zeit gibt es round about 4.500 Infizierte.

Sind das viele? Sind das wenige? Mit welchen Zahlen soll ich die 4.500 vergleichen? MIt denen Frankreichs, Österreichs, Spaniens, Italiens, Chinas, Japans? Oder stehen die einfach so für sich?

Leben wir bereits in einer Dystopie, von denen es im Buchhandel, im Kino, und auch bei Wattpad so viele gibt?

Soll ich mich fürchten? Soll ich gelassen bleiben? Soll ich mich gelassen fürchten, angstvoll gechillt bleiben?

Die Youtube-Videobotschaft unseres Bürgermeisters vom 11. März ist gruselig überholt.

Am Freitag habe ich erfahren, dass ab Montag die Schule in Niedersachsen ausfällt. Per Erlass des Kultusministeriums ist es mir verboten, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, egal wo. In der Schule nicht, habe ich verstanden, doch auch außerhalb der Schule darf es keinen Ersatzunterricht geben, ich würde mich sonst strafbar machen, müsste ein Disziplinarverfahren befürchten. Ganz ehrlich, auf die Idee von Ersatzunterricht außerhalb der Schule bin ich von selbst nicht gekommen!

Viele freuen sich über den Unterrichtsausfall, meine Kinder zum Beispiel, manche stöhnen, wie einige meiner Kollegen, die befürchten, dass Abiturprüfungen und Klausuren nicht geschrieben werden können, die Bewertung des ganzen Halbjahrs umöglich wird. Die meisten reagieren jedoch mit Langmut oder gar nicht, tun einfach, was sie tun sollen. Zu Hause bleiben oder auch nicht. Sie sprechen alle so selten vom Virus!

In die Schule muss ich übrigens trotzdem gehen. Es wird schon irgendetwas zu tun geben. Aufräumen, Teamsitzungen abhalten, Pläne schreiben, Unterricht vorbereiten, mit Schülern korrespondieren, per Mail oder Telefon. Wie realistisch ist das alles?

Da meine Frau vorerkrankt ist, habe ich meine Schulleitung gebeten im Homeoffice arbeiten zu dürfen. Es kann also sein, dass ich ab morgen zu Hause bleiben darf. Und wenn ich schon zu Hause bleibe, dann halte ich mich an den Rat unserer Kanzlerin und unseres Gesundheitsministers und reduzierte meine sozialen Kontakte auf ein Minimum. Für meine Frau, meine Kinder und für mich.

Neben meinen schulischen Aufgaben werde ich Zeit zum Lesen haben, zum Schreiben, zum Langsamsein, zum Entschleunigen. Ich frage mich, ob nur ich das so empfinde oder ob es anderen da draußen ähnlich ergeht?

Bei Penny waren gestern die Vorräte an Klopapier, Haushaltspapier, Taschentüchern, Trockenhefe, Mehl, Nudeln aller Art (nur nicht die teuren Barilla-Nudeln), Dosenmais, Möhrchen und Karotten in der Dose, Haferflocken, Dosentomaten komplet ausverkauft. Und nicht nur bei Penny, auch bei Lidl, Aldi, Netto. DM bietet jetzt XXL-Klopapierpackungen an. Gab es die schon immer?

 Gab es die schon immer?

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Ich habe das Problem mit den Babywindeln vergessen. Die gab es auch nirgends mehr. Meine Schwester, die in Göttingen lebt und ein Kleinkind hat, schob bereits Panik. Ich gab ihr den Tipp, die alten Stoffwindeln wieder vom Boden zu holen und sich bei Youtube ein Tutorial anzusehen wie man ein Kind damit wickelt. Es gibt auch Windeldienste, die Stoffwindeln verschicken, gebrauchte wieder annehmen, reinigen und zurückschicken.

Ich bin mir sicher, dass die Mitglieds- und Abrufzahlen bei Netflix, Amazon Prime und Konsorten gerade in die Höhe schnellen. Auch die Bestellungen und Online-Einkäufe gehen bestimmt gerade durch die Decke. Was soll man auch tun, wenn man den ganzen Tag zuhause sitzt? Serien und Filme gucken, Bücher und Zeitschriften lesen, zocken, mit den Kindern Gesellschaftsspiele spielen.

Endlich haben wir wieder Zeit für all die Dinge, welche das Leben schöner machen. Vielleicht sollten wir dem Corona-Virus ein wenig mehr Dankbarkeit entgegenbringen.

Darüber denke ich bis morgen mal nach.

ZEIT und SPIEGEL halten mich per App auf dem Laufenden. Alle fünf Minuten eine neue Meldung, die die vorausgegangene Meldung  an Unglaublichkeit übertrifft.

16:00 Uhr: Die Bahn stellt den Regionalverkehr auf Notfallpläne um, sprich, der Zugverkehr kommt in weiten Strecken (!) zum Erliegen.

17:00 Uhr: Deutschland schließt die Grenzen. Pendler- und Lieferverkehr darf weiter fließen. Es gibt verstärkt Kontrollen. Ausländer müssen draußen bleiben.

Beim Spaziergang mit dem Hund fällt mir auf, wieviele Menschen heute unterwegs sind. Liegt es am milden Wetter, wollen sie der Wohnung und den mürrisch stimmenden Nachrichten entfliehen? In Italien ist das Spazierengehen in Gruppen nicht mehr erlaubt. Die Polizei ist flächendeckend darauf Bedacht, solche Gruppen aufzulösen und nach Hause zu schicken. Überhaupt darf man im Süden nicht mehr aus dem Haus, es sei denn man will zum Arzt oder den Hund pinkeln lassen.

Ich gebe es zu, ich fürchte ähnliche Zustände bei uns in Deutschland. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.

Gerade habe ich weitere Corona-Geschichten und -Tagebücher bei Wattpad entdeckt. Und ich dachte tatsächlich, ich hätte als Erster die Idee gehabt!

Ich gebe anderen, auch Fremden gern die Hand zur Begrüßung oder klopfe ihnen aufmunternd oder freundschaftlich auf die Schulter. seit etwa einer Woche unterlasse ich das.

Die Straßen sind, trotz des Sonntags, voller Autos. Die Straßenbahnen und Busse fahren leer durch die Gegend.

Stets überfüllte Cafés sind leer. Man bekommt jeden Platz und jedes Frühstück, das man will sofort und in jeder beliebigen Menge. Und was das Tollste ist: niemand ist da, der mich anhustet.

Aktuell gibt es über 5.000 Infizierte in Deutschland.

500 mehr als heute Vormittag.

In drei Stunden drei Follower verloren. Hat das was mit meinem Tagebuch zu tun? Beschäftige ich mich hier mit einem Thema, das den Leuten zunehmend, schon jetzt, zwei Wochen nach Ausbruch, auf die Nerven geht? Und, führt das bei vielen etwa zu Gleichgültigkeit, schlimmer noch, zu Gegenwehr? Gehen sie jetzt erst recht nach draußen, kommen sie zu riesigen Ansammlungen zusammen, knutschen und lecken sich in öffentlichen Happenings ab, alles um der Welt zu zeigen: Seht her, überall nichts als Lügen, alles halb so schlimm!

Zwei Stunden später meldet das Robert-Koch-Institut 5.800 gemeldete (!) Fälle.

Ich glaube, jetzt ist Zeit für eine persönliche Corona-Pause. Morgen schreibe ich weiter.

Nur noch ANNE WILL um 21:45 Uhr.

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