Ich fühlte meinen Mund trocken werden, als sich Valencia Grimlores dunkelblaue Augen in meine bohrten und das Lächeln auf ihrem Gesicht verblasste.

Wenn Blicke töten könnten.

Nach einem Moment der Überlegung streckte sie mir jedoch ihre perfekt manikürte Hand entgegen.

Mir war nicht minder bewusst, dass die Blicke aller Anwesenden auf uns lagen, also ergriff ich sie steif. Erinnerungen an den Kiesplatz und Valencias Fingernägel, die sich in meinen Oberarm bohrten, schossen durch meinen Kopf. Auch an den Schmerz, der gefolgt hatte – und an meine Besuche im Krankenflügel.

Doch sie blieben Erinnerungen. Valencia schenkte mir ein schmales Lächeln aus Höflichkeit, dann zog sie ihre Hand eilig wieder zurück.

„Was für eine Überraschung ... dich wiederzusehen..." Die Worte waren heraus, bevor ich sie überdacht hatte. Meine eigentliche Frage ging darin unter: Was zum Teufel tust du hier in aller Öffentlichkeit?

„Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen."

In einem Anflug von Trotz – und Unbedachtheit – schob ich die Unterlippe vor und wagte es nachzufragen. „Wie geht es dir in der Gemeinschaft? Hast du hier alles, was du brauchst, um glücklich zu sein?"

Valencia Grimlore sollte nicht inmitten ihrer Freunde und Familie den besten Sekt der Gemeinschaft trinken, sondern in einem modrigen Loch sitzen, bis sie runzlig wie eine Rosine war. Dass es jedoch anders kommen würde, hatte ich bereits zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung gewusst. Die Übergabe an die Gemeinschaft hatte sie immerhin geradewegs in die Arme des Kreises geführt – und der bestand aus den letzten Menschen, die Valencias Verhalten bestrafen wollten.

Falls die Temperatur zwischen uns bisher noch nicht den Tiefpunkt erreicht hatte, dann tat sie es in diesem Moment. Valencias Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie durch gepresste Zähne hindurch ein Alles ist bestens herausbrachte, und Zephael beschloss, dass er einschreiten musste. Mit kräftigem Griff schob er mich halb hinter sich und entschuldigte seine unbeholfene Enkelin, die einen langen Tag hinter sich hatte.

Dann steuerten wir auch schon an den Grimlores vorbei in eine stillere Ecke, in der ich – so nahm Zephael vermutlich an – niemanden blamieren könnte.

Ich konnte geradezu hören, wie er mit den Zähnen knirschte, und spürte die altbekannte Wut in mir aufsteigen. Wut darüber, dass er mir nicht meinetwegen den Rücken stärkte, sondern der Blutlinie wegen. Darüber, dass er die psychopathische Tochter der Grimlores mir vorzog. Darüber, dass er den Befehl gegeben hatte, unschuldige Studenten zu töten, um ...

Mein Blick glitt über sein verbissenes Profil. Um was genau zu tun? Selbst nach zwei elendslangen Wochen als Zephaels Handlanger konnte ich nicht im Ansatz erahnen, was er mit diesen Angriffen bewirken hatte wollen. Die Lichtalben auf diese Art und Weise zu provozieren war gefährlich, da die Nachtalben bedeutend in der Unterzahl waren.

Wie viel stände es? Fünfhundert zu Fünfzigtausend? Keine vielversprechende Rechnung, was selbst Zephael in seinem Wahn erkennen müsste.

Nach einem neuen Glas Wein und einer Flut an gezischten Ermahnungen hellte sich das Gesicht meines Großvaters plötzlich auf. Drei Männer hatten den Raum Seite an Seite betreten und steuerten zielstrebig auf eine stille Ecke zu.

Unsere stille Ecke.

Zephael empfing sie mit offenen Armen, während ich mich unsichtbar zu zaubern versuchte. Das Gespräch mit den Grimlores mochte vorbei sein, aber mein Blut wallte bei jedem Gedanken an Valencias luxuriöses Leben von Neuem auf. In dieser Verfassung konnte ich mich nicht zu einer weiteren Runde diplomatischen Smalltalks durchringen.

Die Gemeinschaft der Nachtalben - Band IIWhere stories live. Discover now