Zwei

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Mit Bauchschmerzen und klitschnassen Händen öffne ich die Autotür

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Mit Bauchschmerzen und klitschnassen Händen öffne ich die Autotür. Ich bin nicht darauf vorbereitet, was jetzt kommt, aber das bin ich nie. Man kann sich einfach nicht auf die Reaktion meiner Mutter vorbereiten, oder auf einen Streit.

In Gedanken gehe ich immer und immer wieder die Sätze durch, die ich mir auf der Autofahrt ausgedacht habe. Vielleicht wird sie ja gar nicht so sauer sein. Doch ich weiß es besser. Ich kenne sie besser.

Mit kleinen Schritten und zitternden Beinen folge ich meinem Vater zur Haustür. Bevor ich durch die Tür gehe, atme ich noch ein letztes Mal tief durch und straffe die Schultern. Ich möchte wenigstens den Anschein machen, dass ich auf das, was jetzt kommt, vorbereitet bin.

„Thalia Noreen Martin", durchbohrt die strenge Stimme meiner Mutter die Stille. Sofort zucke ich zusammen und schaue mich nach ihr um. Meine Mutter lehnt mit verschränkten Armen vor der Brust am Türrahmen. Ihre Miene ist versteinert und lässt noch nicht einmal den Hauch einer Emotion erahnen. Ich schlucke und senke wieder den Blick. Ich möchte sie nicht anstarren. „Wo zur Hölle...sieh mich an, wenn ich mit dir rede!" Erschrocken reiße ich den Kopf hoch. Ich werde das hier ganz sicher nicht überleben. Lieber Gott, steh mir bei.

Ich mustere meine Mutter, wie sie dasteht und einfach nur perfekt aussieht in ihrem roten Kleid, den hohen Schuhen, dem perfekt geschminkten Gesicht mit den perfekten roten Lippen, die perfekt zum Kleid passen. Perfekt.

Ich sehe nicht ein bisschen von ihr in mir. Sie hat lockige, schulterlange blonde Haare. Meine Haare sind pechschwarz glatt und reichen mir fast bis zum Hintern. Sie ist groß, schlank und könnte theoretisch, trotz ihres Alters, noch als Model durchgehen. Ich bin nicht dick, aber auch nicht so dünn wie meine Mutter und mit meinen 170 Zentimetern ganze zehn Zentimeter kleiner als sie. Wenn man fragen würde, wie ich mich beschreiben würde, gibt es meiner Meinung nach nur ein Wort das perfekt passt. Durchschnittlich.

„Wo zur Hölle bist du gewesen?" Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinen Gedanken. Ich schlucke den Kloß runter, der sich in meinem Hals gebildet hat, und versuche, meine immer stärker werdenden Bauchschmerzen zu ignorieren. Plötzlich ist alles weg, was ich sagen wollte, alles, was ich mir im Auto zurechtgelegt habe. Es herrscht einfach nur völlige leere in meinem Kopf. Was soll ich tun? Der Blick meiner Mutter durchbohrt mich. Ich bin mir sicher, dass sie auf eine gute Erklärung von mir wartet. Aber die habe ich nicht!

Ich zwinge mich zu lächeln, doch ich bin mir sicher, dass es eher einem gequälten Ausdruck ähnelt. „Ich...ähm..." Ich räuspere mich einmal. Ist das wirklich meine Stimme? „Du weißt doch, dass ich an der Uni war."

Versuchen wir es mal auf diese Art. Vielleicht ist meine Mutter nett zu mir, wenn ich nett zu ihr bin. Doch ihre Miene verfinstert sich nur weiter. Ich wusste gar nicht, dass das noch möglich ist. In Gedanken mache ich mich schon auf ihren Wutausbruch gefasst. „Spiel mit mir keine Spielchen." Ihre Lippen hat sie zu einem dünnen Strich zusammengepresst. „Du weißt genau, wovon ich rede." Okay, das war eindeutig die falsche Taktik von mir. Wie komm ich nur wieder heile aus dieser Situation heraus? Es hat doch alles keinen Sinn mehr. Wem versuche ich hier eigentlich, was vorzuspielen?

Run | LESEPROBE Where stories live. Discover now