18. Dezember

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Everly POV

In einem Krankenhaus zu sein ist nervig. Man wird viel zu früh aufgeweckt, das Essen kommt zu ganz anderen Zeiten als daheim und man ist alleine, aber doch immer von Menschen umgeben, was ein eigenartiges Gefühl ist. Abgesehen davon ist man hier, wenn es einem nicht gut geht. Es ist dementsprechend viel leichter negative Dinge mit einem Krankenhaus zu asoziieren, als positive. Ich war jetzt schon in vielen Krankenhäuser und doch gibt es einige, die wirklich gut sind, ehrlich betrachtet. In einem davon bin ich gerade. Diese Meinung liegt nicht darin begründet, dass ich durch meine Bekanntschaft mit Jacob hier einige Vorteile habe. Eher in dem Service. Wie cool ist es denn bitte, dass Dr. Jackson mit den Pflegern eine Weihnachtsfeier für die Patienten organisiert hat, bei denen nichts dagegen spricht, dass sie sich zusammen setzen, Weihnachtsmusik hören und gemeinsam essen?

"Komm, wir müssen los. Das Essen ist schon da, es wird kalt." Jacob hilft mir aus dem Bett, was wirklich nicht nötig gewesen wäre. Heute fühle ich mich super. So eine Lust aufzustehen und mich zu bewegen, hatte ich schon ewig nicht mehr. Mein Körper schreit förmllich danach, mir war nicht bewusst, dass das geht. Auch mein Thorax tut weniger weh als sonst. Wenn das vom Medikament der Studie kommt, das ja anscheinend wirkt, kann es gerne so weitergehen.

"Ist ja gut..." Ich werfe mir meine Strickjacke über und laufe los. Für meine Verhältnisse sehr schnell. So schnell, dass ich von Jacob kritisch von der Seite betrachtet werde. Anstregend finde ich es aber gerade nicht. Weder Herz noch Lunge melden sich. Mir geht es blendend. Jacob hat also keinen Grund zur Sorge.

Genau im selben Moment stolpern Jacob und ich durch die Tür. Viele Augenpaare schauen uns überrascht an. Dr. Jackson zeigt über uns. Ich schiele nach oben und sehe etwas grünes über der Tür hängen. Ein Mistelzweig.

"Everly, ich glaube, die Tradition will, dass wir uns küssen..." Er kaut wieder auf auf seiner Lippe und wird rot. Oh mein Gott, wie süß das aussieht. Dumm nur, dass er wahrscheinlich eh nicht das gleiche fühlt, wie ich.

Wir schauen viel zu lange an, bevor ich die Initiative ergreife. Seine Lippen sind so weich, ich könnte dahinschmelzen, aber ich darf nicht. Jacob und ich sind nur Freunde. Mehr nicht. Unsere Freundschaft darf nicht gefährdet werden, nur weil ich mich nicht zusammenreißen kann. Es ist an der Zeit, wieder von Jacob wegzugehen. Sonst wird es komisch und er merkt, was ich fühle. Nur noch eine Sekunde... Und dann ist er derjenige, der zurtst weggeht. Es ist falsch, dass mich das traurig macht.

"Wie niedlich!" Eine Krankenschwester, ich glaube sie heißt Emma... nein, Emily, kriegt sich fast nicht mehr ein. "Ihr wärt ein total süßes Pärchen!"

Jacob und ich schütteln zeitgleich den Kopf. Er meint es wahrscheinlich ernst, ich hingegen habe einfach nur Angst, meine Gefühle könnten zum Vorschein kommen. Ich muss sie nur weiter verstecken, so schwer kann es doch nicht wirklich sein, besonders, wenn die Situation so hoffnungslos ist. In Die Eiskönigin heißt es ja so schön "Liebe sie öffnet Tür'n". Vor meiner Tür zu Jacob hängt ein Vorhängeschloss mit einem Code, welcher 12 Ziffern umfasst, daneben ist noch ein Schloss, dessen Schlüssel tief versunken im Mariannengraben liegt. Während der Prinz, den Anna heiraten wollte, sich als Arschloch herausstellt, ist Jacob der absolute Traumtyp. Warum muss alles immer so schwer sein?

"Ich hoffe es ist okay, dass ich welche von unseren Keksen mitgebracht habe." Jacob schaut mich kaum an. Hab ich ihn irgendwie verunsichert? Hat er doch gemerkt, was ich fühle.

"Natürlich ist das kein Problem." Ich versuche Blickkontakt aufzubauen, doch er weicht mir immer wieder aus.

Den Rest des Essens sprechen wir kaum miteinander, ich für meinen Teil will aber auch um alles in der Welt vermeiden etwas falsches zu sagen. Hoffentlich ist es morgen wieder besser zwischen uns und er ist nur so perplex wegen des Überraschungseffekts, den der Kuss mit sich gebracht hat. Es muss so sein. Ich weiß nicht, was ich ohne Jacob machen soll, wenn ich ihn nochmal verliere, jetzt wo ich ihn wiederhabe.

Kylie POV

"Leg eine CD ein oder so, ist mir egal was, solange ich dann keine Weihnachtslieder mehr hören muss!" Das ist so nervig, Alex will bei solchen Dingen gar nicht auf mich zugehen. "Ich hasse Weihnachtslieder und das weißt du genau!"

"Komm runter, Ky. Das ist vielleicht das zehnte Weihnachtslied in der letzten Stunde. Der Radiosender geht voll klar. Immerhin läuft hier noch was normales." Zehn Lieder zu viel. Die Gefahr, dass ich aus dem fahrenden Auto springe steigt, wenn gleich Frank Sinatra, Bing Crosby oder sonst wer anfängt meine Ohren zu belästigen.

Alex beginnt zu Blinken und fährt dann auf einen Autobahnparkplatz. "Es zerreißt mir als Weihnachts-Liebhaber das Herz, dass du die Freude nicht mit mir teilen kannst. Vielleicht kann mir ja die Biologie helfen: Klassische Konditionierung. Keine Ahnung, ob das bei Menschen auch zieht, aber probieren kostet nichts." Als wir stehen schnallt er sich ab und küsst mich. "Wir machen aus der Musik einen Reiz, der in deinem Gehirn ein gutes Gefühl auslöst, indem ich dich ein wenig verwöhne zu dem tollen Soundtrack..."

Von ihm geküsst zu werden ist schon einmalig. Ich könnte schmelzen, wie ein leckeres Stück teurer, schweizer Schokolade im der Sonne im Hochsommer. Oder wie ein Schneemann. So wird die Musik schon ein wenig erträglicher, aber ich habe keinen Bock, teil eines Experiments von ihm zu werden.

"Wir müssen dringend reden. Dieses Mal soll es halten. Ich sehe, dich stört, dass ich Weihnachen nicht mag. Was stört dich noch? Sag es mir und ich kann mich bessern." Mir das anzuhören wird nicht leicht.

Alex schluckt. "Wenn du das möchtest, Ky... Dann sag mir aber auch, was ich an mir ändern könnte."

"Deal", sage ich und mache das Radio aus. Das Gedudel können wir jetzt nicht gebrauchen. "Ändern ist vielleicht nicht das richtige Wort. Eher so was wie darauf zu achten."

"Du bist unglaublich pessimistisch, du hast ja keine Ahnung wie sehr das andere manchmal runter ziehen kann. Lass' doch auf etwas ein, ohne das Negative hervorzubeschwören. Ich werde so das Gefühl nicht los, dass du keine Hoffnung in uns hast. Deine Arbeit hat dich auch voll und ganz eingenommen. Manchmal habe ich mich gefragt, ob sie dir nicht wichtiger ist, als ich."  Oh Mann. Irgendwie hat er recht und das macht es nicht besser. "Aber du hast auch so viele gute Eigenschaften, das würde ewig dauern, sie aufzuzählen."

"Okay, danke." Jetzt bin ich dran. Schlechte Eigenschaften an Alex. Besonders viel fällt mir da nicht ein. "Du versuchst manchmal mich zu ändern, diese Entscheidung sollte mir überlassen werden. Und du müsstest in Zukunft offener reden, als damals. Ansonsten bist du perfekt. Zu perfekt. Wie du so viel für uns tust und in die Beziehung investierst... Da bekomme ich das Gefühl, ich wäre nicht genug und ich fühle mich wie eine schreckliche Partnerin. Ich glaube das ist auch einer der Gründe, warum unsere Ehe nicht funktioniert hat, abgesehen davon, dass wir uns versteckt haben." Endlich ist es mal raus. Das hätte schon lange gesagt werden müssen.

Alex beugt sich über den Sitz um mich in den Arm zu nehmen. "Das wusste ich nicht. Es tut mir so unheimlich Leid, dass du dich so wegen mir gefühlt hast. Ich wollte das nicht, wirklich."

Eigentlich kann er nichts dafür. "Ist schon okay. Lass' uns einfach in Zukunft über so was offen reden."

"Bitte! Ich habe dich damals geheiratet um den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen. Vielleicht kann ich das ja doch noch." Wie konnte ich mich nur von so einem süßen Schätzchen wie Alex scheiden lassen? Okay, es ist einiges nicht so gelaufen, wie es hätte laufen können, aber dafür bekommen wir gerade eine zweite Chance. Wir müssen sie nutzen.

"Ich liebe dich, Alex", sage ich, "Mach' deine Weihnachtsmusik an, vielleicht ist es ja doch nicht so schlimm wie ich denke, wenn ich versuche, mich darauf einzulassen."

(Bild: Alexander)

I'll be Home For Christmas (Adventskalender 2019❤️)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt