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Als ich um kurz vor halb zwölf aus meinem Zimmer kam war niemand mehr zu Hause, dachte ich jedenfalls. Ich ging in die Küche, aber als ich eine Tasse unter die Kaffeemaschine stellen wollte, stand dort schon eine. Ich drehte mich zum Küchentisch um und sah Grayson am Tisch sitzen. „Guten Morgen ", erwiderte Grayson auf meinen Blick, ich lächelte nur. „Hast du gestern zu lange mit Anabel telefoniert oder einfach verschlafen?", fragte ich mit einem leicht spöttischen Unterton. Grayson stotterte „Woher weiß ... du ... das?" „Mum war heute morgen sehr gesprächig, gleich nachdem sie mich aus dem Traum gezogen hat", sagte ich und der letzte Teil meines Satzes klang leicht sauer bzw. grimmig. „Deshalb war Henry grade so komisch drauf",sagte Grayson so beiläufig, dass ich es erst gar nicht mitbekam. „Was?", fragte ich, aber es klang lange nicht so beiläufig wie ich vor hatte. „Henry hat vor einer guten halben Stunde angerufen und hat nach dir gefragt", erwiderte Grayson sehr müde. Nun war ich aber doch ein bisschen aufgebracht und fragte „Soll ich ihn zurück rufen?" „Ja nein, ich habe keine Ahnung. Mach doch einfach",sagte er. Ich ging ins Wohnzimmer und griff zum Telefon, nicht ohne Grayson einen leicht sauren Blick zu zuwerfen.

„Henry?",fragte ich als der Hörer abgenommen wurde. „Guten morgen",sagte Henry „Bist du okay? Du warst einfach verschwunden und ich habe mich erschreckt." „Entschuldigung, meiner Mum ist eine Kiste mit Akten die Treppe runter gefallen und deshalb bin ich wach geworden", entschuldigte ich mich. „Nicht so schlimm, aber ich wollte dich fragen, ob du schon früher kommen kannst", sagte er, aber er wurde immer leiser. Da ich jetzt nicht nachfragen wollte, weil Grayson mich hören konnte. Deshalb sagte ich nur „Klar, ich mach mich fertig und komme sofort." „Ich liebe dich",sagte Henry bevor er auflegte.

Als ich zurück in die Küche kam, hatte Grayson seine Tasse schon weg genommen. Ich stellte meine Tasse unter die Kaffeemaschine, drückte zwei mal auf meine gewohnte Taste und rannte hoch in mein Zimmer, um mich um zu ziehen. Nach guten fünf Minuten war ich schon wieder unten und Grayson guckte mich fragend an. „Ist alles gut?", fragte er und ich hörte seinen spöttischen Unterton. „Ja, ich bin unterwegs zu Henry", sagte ich ein bisschen hochgestochen. Grayson fing an zu lachen, aber ich stieg nicht mit ein. Ich mochte Grayson, aber manchmal wusste ich nicht, ob es ihn vielleicht doch störte, dass ich mit seinem besten Freund... „Liv?",fragte Grayson. „Kann ich dich etwas fragen",sagte ich, während ich nach meinem Kaffee griff. „Klar", sagte er und zuckte mit den Schultern. Ich setzte an und dafür benötigte ich viel Mut „Macht es dir eigentlich etwas aus, dass ich mit ... mit ... mit Henry zusammen bin? Er ist immerhin dein bester Freund und manchmal hab ich das Gefühl, dass du..." „Liv",sagte Grayson „Henry ist zwar mein bester Freund, aber seit er dich kennt, ist er ... er ... immer ... glücklich." Ich merkt wie ich rot wurde und guckte in meine Kaffee-Tasse. Wie konnte ich überhaupt glauben, dass Grayson deshalb irgendwie sauer auf mich seinen sollte oder so etwas. „Du wolltest los, oder?", sagte er, als er merkte, wie ich rot wurde.

Ich trank meinen Kaffee aus und lächelte Grayson an, danach huschte ich aus der Küche. Als ich aus der Haustür ging, freute ich mich sehr darauf Henry wieder zu sehen. Nach unendlichen dreizehn Minuten kam ich endlich bei Henry an, wir hatten inzwischen zehn nach eins und ich war fast eine Stunde früher hier als ursprünglich geplant. Ich klingelte und Henry guckte erst ziemlich genervt, als er die Tür öffnete. Ich wuste nicht was er in diesem Augenblick dachte, aber als er mich erkannte, lächelte er mich an und ich hatte das bestimmte Gefühl, dass er noch nicht mit mir gerechnet hatte.

Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich noch nicht mit mir gerechnet hatte, sondern mit seinem Dad. Dieser wollte nämlich heute (viel zu früh) Amy und Milo nach Hause bringen. „Warum bringt er sie denn nach Hause?", hatte ich gefragt. Henry hatte gestöhnt und mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen, während er sagte „Eigentlich sollten er die beiden erst ende nächste Woche nach Hause bringen, aber Amy schlafwandelt ihm zu viel und er will mit B. noch eine Kreuzfahrt machen." „Das hat er dir aber nicht gesagte, oder?", fragte ich. Ich sah die Verlegenheit in seinem Gesicht und ich musste an die Schnupftabakdose denken und als würde Henry meine Gedanken lesen, sagte er „Du hast recht. Ich habe es aus seinem Traum, nachdem du heute morgen aufgewacht bist, war ich da." Ich lächelte Henry an und er zog mich ganz nah an sich um mich zu küssen. Ich wusste nicht wie lange wir da standen, halb im Flur halb im Wohnzimmer.

Auf einmal zuckte Henry zusammen und ließ mich los, ich hörte ein ziemlich lautes Motorgeräusch und musste ein Stöhnen unterdrücken. Um mich zu versichern, ob ich recht hatte, drehte ich mich zum Fenster um und sah, dass das Auto von Henrys Dad vor dem Haus parkte. Als ich mich wieder zu Henry umdrehte, sah ich, dass er die Augen verdrehte und ich gab ihm noch einen schnellen Kuss ... bevor es klingelte. Er zog sein T-shirt glatt und knöpfte mir schnell zwei Blusen-knöpfe wieder zu. (Wann auch immer er die aufgemacht hat) Ich lächelte und ging zur Tür, Amy stand direkt vor der Tür und als sie mich sah grinste sie, wie Henry es so oft tat.

Sie stand unschlüssig vor der Tür, sie hatte einen kleinen Rucksack in der Hand und ein Pink-Rosa Kleid an, dazu wunderschön weiße Ballerina. Milo stand noch am Auto und half seinem Dad dabei die große Reisetasche aus dem Kofferraum zu schleppen. Ich nahm Amy auf den Arm und drückte sie ganz fest an mich, wobei Amy den Rucksack auf den Boden fallen ließ. Henry war mit mir zu Tür gekommen und umfasste mich nun von hinten. Ich hatte Amy irgendwie komisch auf den Arm genommen, weshalb ich sie wieder absetzten musste und so musste Henry mich auch loslassen. Zu meinem Unglück sah ich, dass B. nun auch noch aus dem Auto stieg. Milo lächelte, wenigstens ein bisschen, als er Henry und mich in der Tür stehen sah. Ron begrüßte weder mich noch Henry sondern sagte „Wo ist deine Mutter, ich muss mit ihr reden." Henry verdrehte die Augen und ich nahm Amy an der Hand und zog sie langsam ins Haus, Milo folgte uns ohne ein Wort zu verlieren. Als Amy und Milo in ihren Zimmern waren, ging ich wieder zur Haustür, aber nicht ohne zu zögern. Ich wollte schon fast wieder umdrehen, als ich hörte, dass Henry grade von seinem Vater angeschrien wurde. „Dad, du hast Mum dazu überredet in diese Klinik zu gehen und jetzt setzt du Amy und Milo hier ab, ohne darüber nachzudenken, ob Mum das nicht irgendwie aus der Bahn bringen könnte", sagte Henry und ich merkte, dass er angespannt und gereizt klang. „Ihr habt diese Kinder doch einfach bei mir abgesetzt und dann auch noch für ganze zwei Wochen!", schrie Henrys Vater und ich zuckte ein bisschen zusammen, weil er 'diese Kinder'gesagt hatte und er immerhin von SEINEN Kindern redete. „Dad",sagte Henry und nun sprach auch Henry deutlich lauter, „hast du mal überlegt, dass wir versuchen eine halbwegs normale Familie zu sein." Ich griff nach Henrys Hand und war erleichtert, dass er kurz auf lächelte. „Was meinst du bitte mit normal?", sagte Henrys Dad nun und guckte gleichzeitig verwirrt auf mich, ließ sich aber nicht davon abbringen seinen Sohn anzuschreien. „Du verstehst mich einfach nicht", sagte Henry, „Amys Freunde werden vom Kindergarten abgeholt und zu Hause ist dann das andere Elternteil. Amy wird als letzte abgeholt und nicht von Mum, sondern von ihrem großen Bruder." Mitleid überkam mich, aber ich versuchte das Gefühl des Mitleides schnell wieder zu verscheuchen. Henrys Dad guckte ziemlich sauer und sagte dann „Noch einen schönen Tag und viel Spaß mit deiner kleinen Ex-Freundin." Ich sah, dass Henry jetzt ziemlich sauer wurde. „Sie ist meine Freundin, du ... deine wartet doch auf dich", sagte Henry, ging zwei Schritte zurück und knallte seinem Vater die Tür vor der Nase zu.

Er lächelte mich an und zog mich an sich um mich zu küssen, als das Auto seines Dad wieder los fuhr, löste er sich widerstrebend von mir. „Danke", raunte Henry in meine Haare und ich merkte wie mir mein Blut ins Gesicht schoss. „Ohne dich hätten Milo und ... und Amy den Streit von mir und meinem Dad wieder komplett mitbekommen und ich finde das grauenhaft. Vor allem bei Amy, sie ist doch noch so jung und so ... unschuldig", sagte Henry und das fügte nicht im geringsten dazu bei meine Gesichtsfarbe unter Kontrolle zu bringen. „Ich liebe dich", sagte ich zu Henry und dann gingen wir zu Amy. Sie spielte schon, wie das liebenswerte Kleinkind auf dem Zimmerboden. Ich blieb in der Tür stehen und Henry ging kurz zu Milo, nicht ohne mir einen Kuss auf die Wange zu geben. Amy bemerkte mich nicht, aber als Henry wieder kam und mich aus dem Türrahmen zog um kurz mit mir zu reden, lächelte sie uns kurz an, mit so einem süßen Kinder lächeln. „Milo zieht sich schon wieder zurück, er will jetzt angeblich zu einem Freund. Ich weiß einfach nicht, wie ich mit ihm reden soll", sagte Henry und er klang fast ein bisschen verzweifelt. „Ich gehe mit Amy spazieren und danach zu mir, dann kannst du mit Milo reden und dann entweder anrufen oder nachkommen", sagte ich und sah die Erleichterung in seinem Gesicht. „Du bist die beste, ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich so sehr", darauf beugte er sich zu mir runter und gab mir einen Kuss. „Es tut mir leid, dass aus diesem Tag nichts wird. Ich hatte mir den Tag irgendwie schöner vorgestellt",flüsterte Henry mir ins Ohr, als er sich von mir löste und ich wusste, dass ich schon wieder rot geworden war. „Ich liebe dich", sagte ich zu Henry und ging dann zu Amy, bevor ich noch etwas peinliches oder dämliches sagen konnte.

Silber - Das Vierte Buch der Träume Where stories live. Discover now