Kapitel 4

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Die letzten Unterrichtsstunden zogen sich hin wie Kaugummi und gleichzeitig vergehen sie viel zu schnell. Immer wieder erwische ich Lea, wie sie mich im Unterricht ansieht und dann wieder wegschaut, als hätte ich sie bei sonst was erwischt. Versteh einer diese Mädchen. 

Meine Gedanken schweifen immer wieder dahin ab, wie ich den Tag heute mit ihr verbringen soll. Für's Eisessen ist es wohl längst zu kalt, ins Kino gehen wäre definitiv zu viel für unser erstes Treffen und draußen kann man auch nicht sonderlich viel machen. Ich weiß doch auch gar nicht, was sie überhaupt mag, was ihre Hobbies sind und was sie in ihrer Freizeit macht. Ich weis, dass sie Leichtathletik macht, etwas schüchtern ist, wenn sie nicht gerade mit ihren Freundinnen unterwegs ist, aber sonst habe ich keine Ahnung. Mein Kopf gibt einfach keine Ruhe und ich hoffe, dass mir bis Schulschluss etwas einfallen wird.

"Dann haben wir es für heute auch geschafft, ihr könnt jetzt einpacken und ihr seid entlassen.", beendet Herr Grüne, unser Geschichts- und Kunstlehrer den Unterricht. Geschichte, ich hasse es. Der Gong läutet und die ersten verlassen schon eilig den Klassenraum, während ich mich noch von Lennart, Till, Ruben und Daniel verabschiede. Ein letzter Blick ihrerseits zu mir mit einem Grinsen und dann gilt es, sich Lea zu widmen. Sie steht schon an der Tür und ich schaue sie an.

"Also, los gehts?!", fragt sie und ich nicke. 

Scheiße, was soll ich denn jetzt sagen? Über was soll ich mit ihr reden?

"Auf gehts", bestätige ich und wir gehen aus dem Gebäude. 

"Und, wie fandest du den Schultag heute? Geschichte war wieder mal total langweilig, wenn du mich fragst.", beginne ich mit einem Gespräch. Ein bisschen Smalltalk geht immer und vielleicht ergeben sich ja somit ein paar Themen, über die wir uns unterhalten können. Und siehe da, es funktioniert.

"Ohja, ich bin ja generell kein Fan von diesem Geschichtszeug. Irgendwann kann man es nicht mehr hören und gerade das Thema Französische Revolution ist einfach unnötig und langweilig. Wenn es wenigstens über den zweiten Weltkrieg wäre oder irgendwelche spannenden Ereignisse in der neueren Zeit wäre es ja okay, aber dieses alte Zeugs..."

Und da kann ich absolut nur zustimmen. Wer braucht den bitte dieses ganze Zeug später? Niemand wird einen je danach fragen, an welchem Tag die erste Phase begann oder wann Napoleon Geburtstag hatte. 

"Sehe ich genau so. Im Grunde juckt das ganze niemanden und das alles ist eh schon so lange her. Ich freue mich, wenn wir das Thema mit der NS- Zeit haben, dafür interessiere ich mich irgendwie.", erwidere ich.

"Auf jeden Fall! Ich finde das so heftig, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass die Juden verfolgt und umgebracht wurden. Und wusstest du, dass die sogar Schwule verfolgt haben? Richtig krass. Und das alles hat meine Oma noch mitbekommen. Manchmal kann ich mir das gar nicht vorstellen."

Mit dem Thema Oma traf sie einen wunden Punkt. Ich zucke kurz zusammen, als mir Bilder durch den Kopf jagen. Meine Oma Angele- eigentlich hieß Angela, aber seit ich klein bin nannte ich sie so- hatte immer viel aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt und von ihren Eltern, die zu Beginn der NS Zeit aufgewachsen waren. Oma war Anfang des Jahres erst gestorben und für mich war das nach dem Tod meines Vaters nochmal ein Schlag ins Gesicht. Zumal ich sehr viel Zeit mit ihr verbracht habe, seit ich klein war. 

"Ja, das weiß ich. Mein Stiefvater trägt es mir ständig vor und rechtfertigt damit seinen Hass auf Schwule. Er lebt scheinbar noch gewaltig in der Vergangenheit.", sage ich nur. 

"Krass, wieso macht er das? Bist du etwa auch schwul?", fragt sie. Ihr Lachen lässt mich schlussfolgern, dass es Sarkasmus war. Wir lachen beide und das Thema ist durch.

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