17. Lügen haben kurze Beine

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Es war zwei Tage nach Heilig Abend, und Alice hatte eine schöne Zeit. Sie schrieb Briefe an alle ihre Freunde, in denen sie sich für die Geschenke bedankte.
Doch gerade jetzt saß sie im Sofa und zeichnete Hogwarts, so detailliert es ihr möglich war, und hörte ihrer Mutter beim Nähen zu. Das war ihr Hobby, und es entstanden die schönsten Kleider dabei. Das eintönige Geräusch der Muggel- Nähmaschine begleitete sie schon seit ihrer Kindheit, und war ein beruhigendes Geräusch für Alice.
"Schatz der Faden ist gleich alle, könntest du schnell hochlaufen und mir neuen holen?" bat ihre Mutter. "Es müsste in der obersten Schublade noch welcher sein. Du weißt schon, der weiße Schrank!"
Alice legte ihre Zeichensachen beiseite und stand auf. "Schwarzer Faden?" fragte sie.
"Ja." Ihre Mum lächelte sie an, und Alice ging hoch in das Arbeitszimmer. Sie kniete sich vor den Schrank und öffnete die oberste Schublade. Allerdings fand sie keinen Faden, und so probierte sie die Schubladen weiter unten.
Schließlich versuchte sie die unterste aufzumachen, doch sie war verschlossen. Alice begann den Schlüssel zu suchen, denn sie dachte sich nichts dabei. Sie fand ihn in der Schublade darüber, und schloss auf.
Bloß Akten oder so! Sie hob die obersten hoch, um zu sehen ob darunter Faden war. Doch was sie sah ließ sie den Faden vergessen.
"Adoptions Urkunde" las sie flüsternd und begann zu zittern, sie holte den Hefter heraus und Blätterte ihn durch. "Adoption von Alice... Nachname?... Steht nicht da..." murmelte sie.
Sie blätterte mit zitternden Händen weiter. "Briefe, Bilder von einem Kinderheim..." murmelte sie, während sie die Sachen durchsah. "Bitte sag, dass das nicht wahr ist." hauchte sie zu sich selbst. Sie nahm die Akte kurzerhand mit nach unten.
"Hast du Faden gefunden Schatz?" fragte ihre Mum- oder auch nicht, in die Näharbeit vertieft. Alice klatschte den Hefter auf den Tisch. "Bin ich wirklich adoptiert?" fragte sie mit festerer Stimme als sie erwartet hatte. Die junge Frau wurde blass. "V-vielleicht holst du lieber Chris dazu." sagte sie mit zitternder Unterlippe. Alice stampfte die Treppe hoch. "Chris!" schrie sie, und der Mann fuhr auf. "Alice?" fragte er bestürzt. "Was bei Merlin...?"
"Unten. Jetzt!" unterbrach Alice ihn und drehte auf dem Absatz um.

Alice blickte das Pärchen an, dass sie aufgezogen hatte. Marylin weinte, und auch Chris sah nicht gerade gesund aus.
"Ich- bin also adoptiert?" sagte Alice, zitternd. Chris seufzte tief und nickte schließlich.
Es kam dem Mädchen vor als würden die Wände näher Rücken und sie schnappte nach Luft. Wieso war es auf einmal so stickig hier drin? Kurzerhand floh Alice aus dem Wohnzimmer, stieß die Haustür aus und rannte die Straße entlang. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie sah die Welt nurnoch verschwommen, doch sie rannte weiter. Sie kannte den Weg zu Kate in und außwendig, immerhin war sie hier oft genug mit Fahrrad langgefahren. Sie bekam keine Luft mehr, und hatte gewaltiges Seitenstechen, doch sie blieb nicht stehen. Sie rannte über Straßen und durch Parks, bis sie endlich das Haus ihrer Freundin erreichte. Dort brach sie vor der Haustür zusammen. Nichtnur vor Erschöpfung, sondern auch vor Schmerz, und heiße Tränen liefen ihr über die Wangen.
Die Haustür wurde geöffnet. "Bei Merlin, Alice, liebes Kind, was machst du denn hier?" fragte die besorgte Stimme von Kates Mutter, die sich neben sie gehockt hatte.
"Kate, kommst du bitte runter?" rief sie nach oben, und Alice hörte Schritte auf der Treppe.
"Alice, was macht du hier?" rief Kate fröhlich, doch als sie sah was mit ihrer Freundin los war erlosch ihr Lächeln. "Um Himmels Willen, was ist passiert?" fragte sie sanft. Alice ließ sich von ihr hoch, und zum Sofa ziehen. Sie schluchzte gegen Kates Schulter. "Ich- ich bin eine einzige Lüge!" schluchzte sie. "Was? So ein Quatsch?" rief Kate.
"D-doch! I-ich w-wurde adop- adpotiert." Alice wurde von Schluchzern geschüttelt. "Du wurdest was?" fragte Kate bestürzt. "Adoptiert" weinte die Rothaarige. Kate drückte sie fest an sich, und strich ihr über den Rücken. Sie wusste sie konnte jetzt nichts für sie tun, außer da zu sein, und sie zu stützen.
"Bring sie doch am besten noch in dein Zimmer, ich bringe euch dann ein paar Plätzchen hoch." sagte Kates Mutter mitleidig.
Also führte Kate sie hoch, und so bekamen sie nicht mit, dass Mr und Mrs Crouse per Flohnetztwerk im Wohnzimmer der Bells eintrafen. "Sie braucht jetzt etwas Ruhe." sagte Mrs Bell. "Lassen sie ihr ihre Sachen da, und drängen Sie sie nicht. Wunden brauchen Zeit zum verheilen."
Chris seufzte, und Marylin schluchzte. "Wir verstehen das. Ist es okay für Sie wenn sie hierbleibt, ich denke nicht, dass sie uns im Moment sehen möchte." sagte Chris so gefasst wie möglich.
"Natürlich" sagte Mrs Bell entrüstet "Was denken Sie denn, dass wir sie sie auf die Straße setzten?"
"Nein" Chris seufzte. "Ich wollte bloß wissen ob es ihnen keine Umstände macht..." Auf dem Gesicht von Kates Mum breitete sich ein sanftes Lächeln aus. "Aber nein, Alice ist hier gut aufgehoben."
"Noch was" fügte Chris hinzu. "Wir wären ihnen wirklich sehr verbunden wenn Sie Alice diesen Brief geben würden, wenn sie sich beruhigt hat. Es sollte einige Fragen klären..." Er gab der Frau einen Brief, und sie nickte. Dann verschwand das geknickte Pärchen wieder im Kamin. Die Frau legte den Brief beiseite, und erhitzte die Milch für den Kakao. Dann machte sie noch eine Schale mit allerlei Plätzchen zurecht. Mit all dem auf einem Tablett, ging sie hoch in das Zimmer ihrer Tochter, die zusammen mit ihrer bitterlich weinenden Freundin auf einem Bett saß. "Hier." sagte sie und stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch. "Wenn ihr noch was braucht fragt einfach." Damit verschwand sie wieder, und schloss die Tür leise hinter sich.
"Wollen wir einen Film gucken?" schlug Kate vor. "Das lenkt dich vielleicht ein wenig ab?" Alice nickte nur unter Tränen, ihr war gerade eigentlich alles egal. Da Kate Halbblut war, ihr Vater war Muggel, hatten die Bells viele Muggelgegenstände. So hatte Kate zum Beispiel einen eigenen Fehrsehr in ihrem Zimmer.
Sie schaltete ihn an, und ging auf Netflix. "Irgendwelche Wünsche?" fragte sie so fröhlich wie möglich. Alice schüttelte den Kopf. Kate begann durch die Filme zu scrollen, und sie sahen sich ein paar Trailer an. "Der hier sieht doch ganz gut aus." sagte Kate schließlich bei 'Love Rosie, für immer vielleicht'. Sie klickte ihn an.
"Du wirst sehen... es ist nicht alles so schlimm wie es auf den ersten Blick scheint." sie gab ihrer Freundin einen Kuss auf die Stirn. "Denn guck Mal, vielleicht hast du eine zweite Familie!"
"Die mich offenbar nicht haben wollte!" sagte Alice mit hohler Stimme.
"Oder nicht konnte!" fügte Kate hinzu. "Manchmal haben Menschen keine Wahl." sie lächelte, und die beiden begannen den Film zu gucken.
Er war lustig und traurig zugleich, aber Alice starrte den Schirm als würde sie den Film nicht sehen.
In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken im Kreis, und sie hörte nur mit einem Ohr zu. Die Tränen versiegten irgendwann, und ließen eine merkwürdige Leere zurück. Kate warf ihr oft besorgte Blicke zu, die Alice garnicht zu sehen schien. Schon in zwei Tagen würde es zurück nach Hogwarts gehen, und Silvester würden sie dort feiern.

Hogwarts' EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt