past comes to present

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Als ich meine Augen wieder öffnete war es 17:39 Uhr. Scheiße Holly, wieso musstest du auch wieder auf der Couch einschlafen? Ich zog schnell das Kleid an, nahm meine schwarzen Ballerinas und ging nach draußen. Es war gar nicht kalt, und ich lief Richtung Hyde Park. Dieser war ganz in meiner Nähe. Gerade als ich am Eingang angekommen war, bemerkte ich, dass ich mein Handy vergessen hatte. Na toll! Und der Preis an die vergesslichste Person der Welt geht an…Richtig! An mich! Ich wartete bis die Glocke einer Kirche anfing zu läuten, was bedeutete, dass es genau 18 Uhr war.

„Holly?“ fragte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich langsam um. Ich erkannte diese Stimme, aber ich wusste nicht mehr genau, wem sie gehörte. Die Person trat in das Licht einer Straßenlaterne und ich erkannte einzelne Gesichtszüge. Dieser Mann war groß, schlank und muskulös, er hatte kurze dunkle Haare und seine Augen leuchteten Blau. Als ich etwas näher herantrat, wobei mein Herz sich auf den doppelten Schlag beschleunigte, erkannte ich ihn. Es war er wirklich. Julian.

„Du?“ schrie ich entsetzt.

„Holly…ich wollte doch niemals dass das so aus dem Ruder läuft. Ich wollte dir nur etwas Angst machen, damit du dich auf mich einlässt“ fing er an zu erklären.

„Du hast mir diese ganze Scheiße angetan? Die Leute haben mich gemobbt, mich verprügelt, sie haben mich aus der Tanzschule heraus geworfen, sie haben dafür gesorgt, dass ich mir den Finger in den Hals stecke! Und daran bist du Schuld“ schrie ich wütend. Mittlerweile hatte ich keine Angst mehr vor ihm. Ich war wütend. Sehr wütend. Die ganze Wut die sich die letzten fünf Jahre angestaut hatte musste raus, und das kam sie, in dem ich Julian anschrie.

Er war jedoch ziemlich ruhig. Er wirkte weder aggressiv noch irgendwie wütend auf meine Reaktion.

„Ich kann dich verstehen. Ich weiß, dass du wütend bist, denn sowas was ich getan habe, war unverzeihlich. Holly, ich bereue es. Alles. Die Situation in der Tanzschule bis hin zu deinem Umzug. Ich bereue alles. Als ich an eurer Tür klingelte und deine Mutter mir erklärte, dass du nach London gezogen bist, ist eine Welt für mich zusammen gebrochen“ erklärte er mir. Ich fing an zu weinen. Er hatte mich an all den Schmerz erinnert, den ich vor fünf Jahren verspürt habe. Noch heute hab schreckliche Erinnerungen daran. Noch heute muss ich mich manchmal übergeben wenn ich etwas esse. Dann spürte ich eine Wärme um mich. Julian, der noch etwas abseits von mir stand, umarmte mich. Er strich mir beruhigend über den Rücken und ich spürte seinen Herzschlag. Er war ruhig.

„Es ist alles gut Holly“ flüsterte er. Ich beruhigte mich komischerweise wirklich. Was hatte er nur für eine Ausstrahlung? Eigentlich sollte ich total sauer auf ihn sein und ihn zur Schnecke machen, und was mach ich? Ich flenne in seinen Armen wie ein kleines Baby. Du bist schwach, schrie meine innere Stimme. Du bist unwürdig, zu nichts zu gebrauchen, schrie sie wieder. Und ich wusste, dass sie recht hatte. Sie hatte immer recht. Jetzt mal ehrlich, was kann ich denn bitte? Ich kann flennen. Das war es dann auch schon.

„Holly, wenn du es möchtest, würde ich gerne wieder in dein Leben eintreten. Nicht als Freund, sondern als Bekannter“ murmelte er.

Ruckartig riss ich mich aus der Umarmung und sah ihn an. Es bildeten sich wieder Tränen und er wollte wieder auf mich zugehen, aber ich ging einen Schritt nach hinten. Er streckte seine Hand nach mir aus, aber ich wich aus. Nein, ich wollte ihn nicht so einfach wieder in mein Leben lassen. Ich hatte Angst. Angst, wieder verletzt zu werden.

„Geb mir Zeit“ flüsterte ich und drehte mich um.

„Du kriegst alles auf der Welt, aber wenn du mich brauchst, du hast meine Nummer“  rief er mir noch hinter her. Dann war ich verschwunden. Im Dunklen von London. Ich ging in Richtung Zuhause, denn ich brauchte Zeit, um nachzudenken. Wie sollte ich das nur schaffen? Julian will wieder in mein Leben, obwohl er mich so sehr verletzt hatte. Wieso nur, ich meine, seht mich mal an?

Wie recht du doch hast, murmelte meine zweite Stimme. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden eine zweite Stimme in meinem Kopf zu haben. Ob ich psychisch krank war? Es ist möglich, aber mir wäre es sowieso egal. Man sollte lernen, mit einer Krankheit zu leben. Solange nichts Schlimmes passiert, sehe ich auch keinen Grund sowas zu melden. Als ich endlich an meiner Wohnung ankam, sperrte ich diese auf, kickte meine Ballerinas weg und setzte mich auf die Couch. Julian. Es war die ganze Zeit Julian.  Ich schrie. Ich ließ meine ganze Wut raus. Während ich einfach nur schrie, kamen mir wieder die Tränen. Es war wirklich alles. Mein ganzes Leben war ein Scherbenhaufen und nun sitze ich wieder hier, wie vor fünf Jahren und weine mir die Seele aus dem Leib. In meiner Trauerphase bemerkte ich nicht einmal, dass es geklingelt hatte. Langsam schlurfte ich zur Tür. Mir war es egal wie ich aussah, schlimmer als jetzt ging es eh nicht mehr, also warum nicht irgendwelche Nachbarn vergraulen die sich wahrscheinlich nur Sorgen machten. Ich öffnete die Tür und ich dachte, mein Herz bleibt für einen Moment kurz stehen. Es war Harry. Mit ihm hätte ich jetzt am wenigsten gerechnet. Mit Alex vielleicht, weil ich ihn angerufen hatte. Mit Ed, weil er mir vielleicht mitteilen wollte, dass ich gekündigt bin. Aber nicht mit Harry.

Sein Gesichtsausdruck änderte sich augenblicklich.

„Holly? Was ist passiert?“ fragte er voller Sorge. Ich brachte keinen Ton raus. Nicht einen einzigen. Es war, als ob sie in meinem Hals stecken blieben. Ich sah ihn einfach nur an. Meine Augen brannten, was kein Wunder war, denn schließlich hatte ich keine Ahnung wie lange geweint.

„Holly?“ fragte er wieder besorgt. Ich konnte nicht reden. Mit niemanden. Als schloss ich die Tür vor seiner Nase, ehe er sich wehren konnte. Ich rutschte an der Tür herunter und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Ich weinte bitterlich weiter. Von draußen hörte ich immer mal wieder Harrys Stimme die versuchte mich zu überzeugen, ihm doch endlich die Tür zu öffnen, aber ich dachte nicht einmal dran. Ich wollte nicht, dass er mich so schwach sah. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um mich machte. Ich wollte ihn nicht näher an mich heran lassen, als er es ohnehin schon war. Nach einer Weile wimmerte ich nur noch und schluchzte ein paar Mal, während meine Augen immer schwerer wurden. Letztendlich konnte ich diese nicht mehr aufhalten und fiel so in einen unruhigen Schlaf. Mein Traum war undeutlich. Er handelte von drei Jungen die ich nur verschwommen wahrnehmen konnte. Ich sah weder ihre Gesichter, noch ihre Haare. Es war alles verschwommen. Einzig und alleine ihre Umrisse konnte ich wahrnehmen. Sie versuchten alle an mich heran zu kommen, aber ich engte mich nur in einer Ecke ein. Gerade als sie ihre Hände nach mir ausstrecken wollte, wachte ich schweißgebadet auf. Ich sah mich um. Ich saß immer noch vor meiner Tür. Langsam stand ich auf, ging in Richtung Badezimmer und sah mich in meinem Spiegel an. Ich sah schrecklich aus. Mein Gesicht war leicht angeschwollen, meine Augen rot und unter meinen Augen sah ich dicke dunkle Augenringe die meinen Anblick nicht gerade besserten. Kurz und knapp: ich sehe scheiße aus. Erst ging ich in die Dusche, danach ging zu meinem Kleiderschrank und suchte mir etwas Passendes raus. Eine schwarze Stoffhotpants und ein dunkelblaues Top sollten es heute sein. Darunter meine schwarze Spitzenunterwäsche, schwarze Ballerinas und falls mir kalt wird eine schwarze Jacke. Ich weiß, ich bin heute ziemlich dunkel gekleidet, aber was soll´s? Danach versuchte ich mein ganzes Gesicht mit ungefähr einen Kilo Schminke zu überdecken, damit ich halbwegs vorzeigbar war. Danach aß ich noch mein Müsli zum Frühstück und sah danach auf mein Handy. Holy shit! Es war schon 13 Uhr. Ich schnappte mir meine Sportklamotten für die Breakdancetanzstunde heute und schon ging es los. Mein Bus würde in 15 Minuten fahren, was bedeutete, dass ich trotzdem früh genug in der Tanzschule ankommen würde. Ich stöpselte meine Kopfhörer ein und hörte gerade Unconditional von Katy Perry, als plötzlich ein Auto neben mir anhielt. Ich kannte dieses Auto. Bitte sei es nicht, dachte ich mir flehend, aber alleine an den braunen Lockenkopf  konnte ich mir schon sehr gut denken, wer dort drin sitzt.

Dance with me - Harry Styles ffWhere stories live. Discover now