Maggie, 2

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Mit bebender Unterlippe eilte Maggie zur Küche, ihre Mutter direkt hinter sich. Inzwischen am ganzen Körper zitternd stieß Maggie die Tür auf und ließ sich entkräftet auf die Küchenbank fallen. Die Küche war wie immer der wärmste Raum im ganzen Haus, trotzdem hatte Maggie das Gefühl, furchtbar zu frieren. Ihre Mutter rutschte neben sie auf die Bank und legte behutsam einen Arm um sie.

„Mama!", schluchzte Maggie auf und presste ihren Kopf an die Brust ihrer hageren Mutter. Viel fester als man es von einer so zarten Frau erwartet hätte, schloss diese ihre Arme um sie.

Eine Weile saßen sie einfach so da. Maggie presste sich an ihre Mutter, als wäre sie das Letzte, was sie am Leben hielt. Unermüdlich strich diese Maggie über den Rücken.

„Oh mein Liebling, mein armes kleines Mädchen", murmelte sie unentwegt.

Irgendwann hatte Maggie sich soweit beruhigt, dass sie wieder reden konnte.

„Warum denn schon so früh? Ich habe noch nie über Heirat und Männer nachgedacht!", stieß sie hervor. Ihre Mutter sah sie besorgt an.

„Dann wird es jetzt höchste Zeit dafür. Du bist schon länger im heiratsfähigem Alter. Aber du hast ja auch noch zwei Wochen bis es so weit ist."

Maggie stieß einen verzweifelten Schrei aus.

„Zwei Wochen, das ist nichts! Und hast du diesen Mann gesehen? Warum muss es ausgerechnet so einer sein? Ein Hafenarbeiter?" Der Mund ihrer Mutter zuckte und Maggie meinte, leichte Missbilligung in ihrer strengen Miene zu erkennen.

„Oh Maggie, du führst dich genauso auf, wie ich in deinem Alter. Wobei ich noch ein Jahr jünger war als du. Du wirst sehen, er ist bestimmt gar nicht so schlimm, wie er auf den ersten Blick scheint." Sie drückte Maggie einen Kuss auf die Schläfe und strich dann eine Strähne, die sich aus der Frisur gelöst hatte zurück. Unzufrieden mit ihrer Antwort verzog Maggie das Gesicht.

„Ich hätte damals nie geglaubt, dass ich, die ich mich wie eine Engländerin fühlte, mit einem Iren zurecht kommen könnte. Aber es ist alles gut geworden."

Die Tür öffnete sich einen Spalt und Colin streckte den Kopf in die Küche.

„Mama, wann gibt es Mittagessen?", fragte er. Dann erst sah er Maggies verheultes Gesicht. Erschrocken riss Colin die Augen auf und schien zu überlegen, ob er lieber wieder verschwinden sollte oder fragen, was los sei.

„Colin, könntest du bitte wieder rausgehen?", fragte ihre Mutter ruhig. Maggie schniefte noch einmal und versuchte dann ein Lächeln.

„Ist schon in Ordnung, Mama. Ich komm damit zurecht. Kann ich dir etwas helfen?"

Nach einem letzten Blick auf sie nickte ihre Mutter.

„Ihr könnt mir beide helfen", meinte sie entschlossen und packte Colin, der sich gerade aus der Küche verziehen wollte, am Nacken. Er stöhnte auf.

„Je mehr du hilfst, desto schneller gibt es Mittagessen"

Während Maggie losgeschickt wurde, um Wasser zu holen, sollte Colin die Karotten schrubben. Als sie wiederkam, wurde sie von Colin mit den Worten begrüßt, dass der fremde Mann weg sei.

„Er heißt Patrick Murphy", klärte sie ihn auf. Colin sah sie mit großen Augen an.

„Was hat er hier bei uns gemacht?"

„Er will mich heiraten."

„Aber du bist doch nur drei Jahre älter als ich."

„Ja das stimmt."

„Und Vater hat ihn für dich ausgesucht?" Maggie nickte bedrückt.

„Magst du ihn denn?" Colins kindliche Fragen ließen Maggie auflachen.

„Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn ja nicht." Colin verzog das Gesicht.

„Also ich an deiner Stelle würde abhauen! Das ist doch voll der Mist!"

„Colin, sag so etwas nicht, wenn Mama dich hören kann!", warnte Maggie ihren Bruder, doch sie achtete nicht besonders auf ihre Worte. Stattdessen spielte sie in ihrem Kopf mit den Gedanken, die Colin mit seiner unbedachten Aussage angestoßen hatte. Wäre das eine Möglichkeit? Einfach verschwinden? Zugegeben, sie kannte den Mann nicht, der sie heiraten wollte. Sie hatte ihn bis jetzt einmal gesehen und sollte ihn in zwei Wochen schon heiraten. Aber sollte sie es wirklich wagen und ihre Familie zurücklassen, das Haus verlassen, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte? Wie könnte sie ihre liebende Mutter verlassen, wie ihren kleinen Bruder?

In Gedanken versunken half Maggie ihrer Mutter eine klare Gemüsesuppe zu kochen, während Colin mit einem Messer, das so lang war wie sein ganzer Arm, dunkles Brot aufschnitt.

„Pass bloß auf, dass du dich nicht verletzt!", ermahnt Maggie ihren Bruder. Der schnitt ihr eine Grimasse. Maggie musste lachen.

„Na warte du kleines Monster!" Sie stürzte sich auf ihn und kitzelte ihn durch. Kichernd versuchte er, sich gegen sie zu wehren, war jedoch hoffnungslos unterlegen.

Sie wurden schließlich dadurch unterbrochen, dass die Tür geöffnet wurde und Maggies älterer Bruder Ronan den Raum betrat. Ronan achtete immer penibel auf sein Aussehen. Die glänzenden braunen Haare, die er von seiner Mutter geerbt hatte, hatte er im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sein Hemd war wie immer frisch gewaschen und ohne einen Fleck darauf. Auch seine Hosen sahen aus wie frisch von der Wäscheleine. Irritiert blickte er kurz auf Maggie und Colin herunter, bevor er sich an ihre Mutter wandte.

„Vater lässt fragen, ob das Essen bereit ist?"

Ihre Mutter nickte: „Wir sind fast fertig, du kannst schonmal den Tisch decken."

Ronan nickte wortlos und verschwand wieder aus der Küche. Colin verzog sein Gesicht.

„Warum muss er immer so steif sein?" Maggie zuckte mit den Schultern.

Später beim Essen redete ihr Vater hauptsächlich über die Hochzeit und die Brautaussteuer. Maggie fühlte sich furchtbar. Sie wollte nichts mehr über neue Kleidung, Kochtöpfe und Schmuck hören und sich dabei an Patrick Murphy erinnern. Ihren baldigen Ehemann. Maggie schüttelte sich innerlich. Vielleicht sollte sie doch abhauen. Aber mit welchem Geld? Vielleicht lieh ihr Ronan ein bisschen. Aber wahrscheinlicher war, dass er sie ausfragte, was sie denn damit vorhatte. Ihr Vater bewahrte stets sein Geld in einem kleinen Beutel auf. Ihn konnte sie auf keinen Fall fragen. Ihre Mutter ebenso wenig. Sie würde es nur sofort ihrem Vater erzählen.

Kurz erwog Maggie ihren ältesten Bruder Owen um Rat und Geld zu fragen. Doch er hatte Dublin mit seiner Frau Fiona verlassen und baute sich in einem nahe gelegenen Dorf selbst eine Zukunft auf. Er würde frühestens zu ihrem Hochzeitstag anreisen und dann wäre es wahrscheinlich schon zu spät. Aber wie sollte sie sonst an das nötige Geld kommen? Und wohin sollte sie überhaupt gehen? Sie kannte keinen Ort außer Dublin. Hier war sie aufgewachsen. Anders als ihre Brüder hatte ihr Vater sie noch nie mit auf seine Reisen genommen. Maggie beschloss morgen, wenn sie ein bisschen Freizeit hatte, zum Hafen zu gehen und nach einem Schiff zu schauen, dass sie von hier wegbringen konnte. Ihr würde schon irgendetwas einfallen, wie sie an Geld kommen sollte.

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