Maggie

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„Du musst hübsch aussehen, heute", sagte Maggies Mutter eines Morgens zu ihr. Dann kämmte sie ihre wilden Haare besonders lange und flocht sie eng an ihren Kopf. Sie half ihr, das Korsett anzuziehen und schnürte dieses so eng, dass Maggies kleinen Brüste hochgequetscht wurden und ihre Taille so schmal wurde, dass sie wusste, sie würde an diesem Morgen nichts essen können. Maggie zog ihr weißes Sonntagskleid an, das ihre Mutter ihr rausgelegt hatte, mit der hübschen Spitze über dem Ausschnitt.

„Ist heute ein besonderer Tag?", fragte sie unschuldig. Ihre Mutter jedoch verzog nur den Mund und wiederholte, was ihr Vater so oft sagte. „Rede nur, wenn du etwas gefragt wirst. Ein schweigsames Weib ist ein gutes Weib."

Und Maggie seufzte, aber sie schwieg, zupfte den Rock zurecht und legte sich das hellblaue Schultertuch um, ihr schönstes. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, es war nicht einmal Sonntag, es war nur ein Samstag, ein ganz normaler Werktag. Warum wollte ihre Mutter, das sie sich so herausputzte? So etwas hatte sie noch nie erlebt. Einmal mehr wünschte sie sich, ihre ältere Schwester, das erste Kind ihres Vaters, wäre nicht im Kindbett gestorben.

Mailin, der ganze Stolz ihres Vaters, seine erste Tochter war schon mit sechs Jahren an Schwindsucht gestorben. Wäre sie noch am Leben, wäre sie inzwischen schon zwanzig Jahre alt. Vielleicht hätte Maggie dann gewusst, was auf sie zukam. Das Geräusch der aufgehenden Tür riss sie aus ihren Gedanken.

„Es ist so weit, ihr könnt kommen." Colin, ihr jüngerer Bruder, streckte den Kopf vorsichtig in den Raum, als hätte er Angst vor dem, was er sehen könnte. Ihre Mutter packte sie an den Schultern und drehte sie nochmal zu sich. Wortlos und schnell musterte sie sie, suchte nach einem Makel, der noch behoben werden musste, nach einer Locke, die abstand oder einer Falte, die dort nicht sein sollte.

Doch sie fand nichts, stattdessen nickte sie nur, drehte sich um und ging erhobenen Hauptes aus dem Zimmer, in der Erwartung, dass Maggie ihr folgen würde.

Colin ging vor, er war es, der die Tür zum Salon aufstieß und im Rahmen stehen blieb. Ihre Mutter richtete sich nochmals auf und trat in den Salon. Immer noch nichtsahnend folgte Maggie. Der Salon war durch das Glasfenster und mehrere Kerzen, sowie das Feuer im Kamin erleuchtet und so konnte Maggie sofort die beiden Gestalten in den Sesseln erkennen. Ihr Vater hatte es sich in seinem geliebten Ohrensessel, bezogen mit dunkelgrünem Samt, gemütlich gemacht und zog gerade offensichtlich zufrieden an seiner Pfeife. Der andere Mann saß aufrecht und wie auf heißen Kohlen auf seinem etwas kleineren Sessel. Maggie kannte ihn nicht. Der Feuerschein flackerte über sein Gesicht und sie sah, dass sich in den Fältchen um seine Augen schwarzer Schmutz angesammelt hatte. Auch seine Hände, die er unentwegt knetete, waren rau und noch schmutziger als sein Gesicht. Er trug ein einfache Kleidung. Neben ihm auf dem kleinen Tischchen lag eine graue, speckige Schirmmütze. Sein Blick, geradeheraus aus dunklen Augen, tastete sie langsam ab. Obwohl Maggie sich unter seinem Blick entblößt fühlte, stellte sie sich gerade hin, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte und wartete, dass ihr Vater das Wort an sie richtete.

„Was halten Sie von meiner Tochter?", fragte ihr Vater schließlich den anderen Mann. Der wiegte den Kopf hin und her.

„Sieht nicht schlecht aus. Wie als ist sie denn?" Die Stimme des fremden Mannes bereitete Maggie Gänsehaut. Er hörte sich an, als seien seine Stimmbänder mit Schmirgelpapier aufgeraut worden.

„Sie ist ganze 15 Jahre alt, im heiratsfähigem Alter." Heiratsfähig! Die Worte ihres Vaters brachten Maggie dazu, den Blick von dem Fremden zu lösen und ihren Vater anzusehen. Ihr Vater nahm in aller Seelenruhe noch einen Zug. Er wollte sie verheiraten? Mit diesem Kerl? Maggie schluckte. Sie ließ ihren Blick zu ihrer Mutter schweifen, die sich hinter dem Sessel ihres Vater positioniert hatte und beide Hände auf der Lehne ruhen hatte, als müsse sie sich daran festhalten. Sie erwiderte Maggies Blick mit einem Nicken und einem schmalen Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte.

Maggie konnte ihr Blut in ihren Ohren rauschen hören. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, ihr ganzes Leben mit so einem ungewaschenen, ungebildeten Mann zu verbringen. Ihrem Vater war es anscheinend egal, was sie wollte.

„... kannst du das?" Aus ihren Gedanken gerissen sah sie den Mann erschrocken an. Sie hatte gar nicht mitbekommen, was er gesagt hatte. Verdammt, sie sollte sich konzentrieren.

„Ent- Entschuldigung, wie war die Frage?", stotterte sie und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.

Der Mann schnaubte einmal belustigt und wiederholte sich dann: „Ich habe gefragt, ob du schon den Haushalt machen kannst."

Erleichtert nickte Maggie.

„Ja, meine Mutter hat mir alles beigebracht." Obwohl sie sich nun wünschte, sie wäre nicht so eine fleißige und schnelle Lernerin gewesen. Dann hätte sie jetzt wenigstens noch eine Gnadenfrist.

„Das ist gut, du wirst dich nämlich zusätzlich um meinen alten Vater kümmern müssen, wenn wir heiraten." Auch das noch, Maggie spürte, wie ihre Abneigung gegen ihren zukünftigen Ehemann deutlich stieg. In diesem Moment mischte sich Maggies Vater ein.

„Margaret, Mädchen, ich habe dir deinen zukünftigen Mann ja noch gar nicht vorgestellt. Das ist Patrick Murphy. Er arbeitet unten am Hafen und hat dort auch ein kleines Haus. Eure Hochzeit ist in zwei Wochen." Maggie spürte, wie sich ihr Brustkorb weiten wollte, um laut auf zu keuchen, jedoch gegen die unerbittlichen Grenzen des Korsetts stießen und nur ein leiser Lufthauch ihren Mund verließ. Nur noch zwei Wochen!

Sie hörte kaum, wie ihr Vater sie und ihre Mutter entließ. Mit zitternden Beinen dreht Maggie sich um und verließ den Raum. In ihrem Rücken spürte sie den Blick von Patrick Murphy brennen. Ihre Mutter schloss die Tür hinter sich und ließen ihren Vater und den Fremden, Patrick Murphy, allein.

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