Snowball Earth 2

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Ich lege den Kopf in den Nacken und versuche die Fakten in meinem Kopf zu wiederholen. Diese scheiß Leistungsabfragen können mir dermaßen gestohlen bleiben. Statt dass man einfach mal nach vorne blicken würde. Aber zu viele Leute wollen nicht wahrhaben, dass die Erde einfach unbewohnbar ist und wahrscheinlich für immer bleiben wird.

Mein Touchpad gibt einen pfeifenden Ton von sich und eine Nachricht ploppt auf. Mein Personal Assistant Bot, mein PAB, erinnert mich daran, dass ich in einer halben Stunde im Recycling Center zum Arbeiten eingeteilt bin. Ich stöhne genervt auf. Soziale Arbeit, noch etwas, das mir gestohlen bleiben kann. Aber jeder Bewohner über 14 Jahren muss seinen Anteil soziale Arbeitsstunden ableisten. Jeden Monat aufs neue. Elissa macht es immer ganz am Anfang vom Monat, die alte Streberin. Ich schieb es jedoch immer vor mir her, vergesse immer mich einzutragen und dann werden mir die Stunden irgendwann reingedrückt, dem System ist es egal, ob ich übermorgen die Leistungsabfrage habe.

Auf dem Weg zum Recycling Center treffe ich auf Levi. Wie immer, wenn er sich bewegt, federt er bei jedem Schritt nochmal nach, als würde seinen Beinen normales Gehen nicht ausreichen.

„Hey Luce", er grinst mich an, zeigt seine schiefen Zähne und ich schubse ihn spielerisch weg, als er versucht, mich zu umarmen. Da Levi einen Kopf kleiner ist als ich, gelingt mir das auch leicht.

„Halt dich besser von mir fern", warne ich ihn, „ich habe schlechte Laune."

Sein Grinsen wird nur noch weiter. „Luce, meine Liebe, ich muss dir eine schlechte Nachricht mitteilen." Er legt seine federleichte Hand auf meine Schulter. „Du hast immer schlechte Laune", schließt er dann.

Ich fege seine Hand von meiner Schulter. „Ach, halt doch die Klappe." Ein paar Schritte lang schweigen wir, dann hält Levi es nicht mehr aus.

„Warum hast du denn diesmal schlechte Laune?"

Ich stöhne auf, ich will eigentlich nicht darüber reden. „Ich habe übermorgen eine Leistungsabfrage." Gefrustet schiebe ich meine Hände in die Taschen meines übergroßen Hoodies.

„Hast du schon wieder zu viel Zeit mit Zocken statt Lernen verbracht?" Levis Frage ist in einem scherzhaften Ton gestellt, aber er hat tatsächlich recht und das weiß er auch selbst ganz genau.

„Du klingst schon wie meine Mutter...", grummle ich.

„Luce... ich bin deine Mutter!", versucht er mit verstellter Stimme, eine ikonische Stelle aus irgendeinem alten Kultfilm nachzumachen. Er kann einfach nie erst bleiben. Erst will ich nur genervt aufstöhnen, doch dann spiele ich mit. „Nein!", schreie ich einigermaßen laut auf, springe an die Brüstung und tue so, als wolle ich mich in den Abgrund stürzen. Einen Moment hänge ich, über die Brüstung gebeugt da, und blicke in die Tiefe der Gebäudefalte, an der wir entlanggehen. Ich meine, ganz weit unten den Boden sehen zu können, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

„Luce", höre ich Levis erschrockene Stimme, dann packt er mich am Hoodie und zieht mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich pieke in sanft in die Seite.

„Du hast doch angefangen", necke ich ihn und wechsle dann das Thema. „Wo willst du denn eigentlich hin?"

Levi zuckt etwas ratlos mit den Schultern. „Ich musste einfach aus der Wohnung raus. Dann habe ich dich gesehen und wusste, du brauchst etwas Aufmunterung." Er zwinkert mir wieder zu, was bei ihm so aussieht, als sei ihm ein Splitter ins Auge geflogen, weil er einfach beide Augen sehr häufig, sehr schnell auf und zu macht. Ich schnaube, wider willen belustigt.

„Wohin bist du denn unterwegs? Solltest du nicht eigentlich lernen, wenn du übermorgen eine Leistungsabfrage hast?"

Ich seufze auf, wieder daran erinnert, was ich eigentlich tun muss. „Ich weiß, aber das System hat mir Arbeitsstunden im Recycling Center reingedrückt."

„Oh Mann, Luce, du bist eine einzige organisatorische Katastrophe!"

„Levi, wenn ich eine Standpauke hören wollen würde, hätte ich mich an meine Mutter gewandt", meckere ich, nur halb im Spaß. Levi schweigt einige Schritte lang. Genau so lange wie ich brauche, um Schuldgefühle zu entwickeln.

„Levi, tut mir leid. Ich bin gerade echt ein bisschen unter Druck, wegen der Leistungsabfrage", entschuldige ich mich für meinen Ton. Er zuckt mit den Schultern, dann grinst er schon wieder schief.

„Alles gut, versteh ich doch. Soll ich deine Arbeitsstunden im RC übernehmen? Dann kannst du solange noch lernen..." Ich schaue ihn ungläubig von der Seite an.

„Ist das dein Ernst?"

„Klar, aber du musst mir versprechen, dass du auch wirklich lernst in der Zeit." Levi schafft es tatsächlich für eine Sekunde streng zu blicken.

„Ja, schon klar! Levi, du bist ein Schatz!" Ich drücke ihn kurz an mich, dann drehe ich mich schon halb um, ich muss zurück zu meinem Touchpad.

„Bringt mir ja nichts, wenn du wiederholen musst. Wem soll ich denn dann auf den Sack gehen?", ruft Levi mir noch hinterher und ich schenke ihm ein lautes Lachen, bevor ich um die Ecke biege und ihn aus den Augen verliere.

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