12 - Datenacht

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Ich fühlte mich, als ob ich einen Lebensabschnitt beendete, obwohl es sich dabei nur um eine einfache Ferienwoche handelte. Doch die Rückkehr meiner Eltern nahte und ich genoss noch die letzten paar Momente mit Mia. Am Samstag ging ich mit ihr in den örtlichen Wasserpark und las ihr Geschichten vor und sie schien es auch zu geniessen, dass sie meine volle Aufmerksamkeit bekam. Sie war zwar alles andere als ein Mittelpunktskind, aber jedes Kind freute sich darüber, wenn es mal etwas mehr Zeit und Zuwendung als gewohnt bekam.

Ebenso war ich froh, dass die Sache mit ihrem Arm nichts Schlimmes gewesen war. Ihrer Hand ging es wieder weitgehend gut und die Schürfungen heilten wie vorgesehen.

Auch telefonierte ich noch mit meinen Eltern und mit Nate und plante, dass ich am Sonntagabend mit meinem Freund essen gehen würde. Wir hatten schon lange abgemacht, dass wir uns an dem Abend, an dem er aus den Ferien zurückkam, sehen würden und ich dann Mia wieder in die Obhut meiner Eltern übergeben würde. Jedoch besprachen Nate und ich nun die Einzelheiten: wir würden in unser gemeinsames Lieblingsrestaurant gehen. Am Samstagabend wurde auch Mia zunehmend hibbelig, die sich auf ihre Eltern freute, auch wenn sie es mit mir gut gehabt hatte. Doch das war das erste Mal gewesen, dass sie so lange von ihren Eltern getrennt gewesen war und deshalb sicher nicht nur einfach für sie.

Ich jedoch musste mich an dem Wochenende auch noch um die Organisation des Sommeruniballes kümmern. Wie jedes Jahr fand auch diesen Sommer ein Ball statt, der von dem Schulen- und Universitätenverband organisiert wurde. Jedoch brauchte es im Organisationskomitee immer sehr viel Leute und es halfen auch Eltern und sonstige Bürger mit. Ich persönlich kannte nicht einmal alle, die an der Organisation arbeiteten, ich hatte mich via einen Aufruf der Schule ebenfalls zur Verfügung gestellt, mitzuhelfen. Ursprünglich hatte ich gedacht, es sei nicht viel Arbeit, doch wie immer hatte ich die Organisation unterschätzt und war nun doch etwas gestresster als gedacht. Andererseits tat ich solche Dinge gerne, weshalb ich mir schlimmere Beschäftigungen für die Schule vorstellen konnte. Meine Aufgabe im Organisationskomitee war es, Spenden für den Ball zu suchen und zudem ein passender Verein, an die das verdiente Geld an jenem Abend gehen würde. Daher telefonierte ich umher, beantwortete E-Mails und war daneben noch mit Mia beschäftigt. Also hatte ich keine Zeit mehr, Louisa an diesem Wochenende wieder zu sehen. Jedoch waren wir häufig im Kontakt über SMS und ich ertappte mich dabei, wie ich mich fragte, ob sie an den Ball ging. Würde sie ein Kleid tragen? Diese Vorstellung fesselte mich sofort. Bestimmt würde das super aussehen an ihr. Doch wie würde sie an den Ball kommen, wo sie doch single war? Würde sie einen platonischen Freund mitnehmen... oder datete sie momentan gar ein Mädchen? Ich spürte, dass ich auf einmal etwas eifersüchtig wurde und versuchte dann verwirrt, den Gedanken beiseite zu schieben. Ich würde sie hoffentlich bald wieder sehen, aber mit wem sie an den Ball ging, war voll und ganz ihre Sache! Ich ging ja auch nicht mir ihr, sondern mit Nate hin. Statt also über Louisa nachzugrübeln, las ich eine Mail von einer Mitarbeiterin durch und klappte dann meinen Laptop zu. Das war nun genug Arbeit für einen Samstagabend, fand ich. Mia war bereits im Tiefschlaf und ich gab mir Mühe, mich ohne viele Geräusche bettfertig zu machen. Momentan freute ich mich nur noch darauf, ins Bett liegen zu können und auszuschlafen, denn auch wenn ich nicht Sport gemacht hatte oder einen langen Aufsatz geschrieben, hatte mich der Tag ausgelaugt. Als ich mich zehn Minuten später ins Bett neben Mia legte, schaute ich noch ein letztes Mal auf mein Handy. Es waren zwei Nachrichten angekommen, eine von Nate und eine von Louisa. Automatisch breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus, als ich die beiden Nachrichten las. Nate wünschte mir eine gute Nacht und sagte, dass er sich auf unser «Date» morgen Abend freute. Louisa hatte mir ebenfalls gute Nacht geschrieben und noch etwas von ihrem Tag erzählt. Ich tippte rasch eine Antwort und erst als ich absendete, realisierte ich, dass ich ihr «vermisse dich» geschrieben hatte. Kurz starrte ich erschrocken auf das Handy, doch dann sagte ich mir, dass ich mich blöd verhielt. Genau das wollten lesbische Frauen doch verhindern, oder? Ich sollte mir jetzt keine Gedanken darüber machen, ob sie den Teil falsch verstehen könnte. Denn das würde ich ja auch einer anderen guten Freundin schreiben, die halt auf Typen stand. Bestimmt hatte ich meiner Freundin Nora auch schon sowas geschrieben. Kopfschüttelnd atmete ich tief durch und legte das Handy dann beiseite. Ich brauchte wirklich Schlaf.

Ich wurde ganz hibbelig, als ich vor dem Rathaus auf Nate wartete. Mein Bauch fühlte sich an, als würden irgendwelche Vögel sich darin ausbreiten, aber im Moment fand ich das Gefühl nicht unbedingt berauschend. Nervös spielte ich mit meiner Handtasche herum und gab mir Mühe, nicht zu angespannt auszusehen. Er konnte jederzeit hier auftauchen. Wieso war ich so aufgeregt? Bloß wegen der einen Woche Distanz? Ich hatte mich für unser Date in Schale geworfen, da wir sonst nicht so viele richtige Verabredungen hatten. Wir unternahmen meistens einfach alltägliche Dinge, ohne sie im Vorhinein zu deklarieren, also war heute doppelt besonders. Einerseits ein richtiges Date und andererseits eines nach langer Zeit, ohne dass wir uns gesehen haben. Außerdem hatten wir in der Woche auch nicht allzu viel miteinander telefoniert oder gechattet, wie mir nun auffiel, da ich mit Mia beschäftigt gewesen war. Heute trug ich also ein schwarzes Kleid, das an den richtigen Stellen eng und an den richtigen weit war. Ich war zufrieden mit meiner Oberweite und hatte einen nach meinem Geschmack etwas zu auffälligen Hintern, was jedoch beides in dem Kleid gut zur Geltung kam. Und ja... das Kleid war schwarz. Und nein, dieses Mal hatte ich mich nicht um die Meinung irgendeines Mädchens aus der Schule geschert, ich hatte das Kleid angezogen, weil ich es mochte. Wenn Nate mich in Schwarz nicht mochte, war das nicht mein Problem.

Doch als ich nun Nate in der Menschenmenge ausmachen konnte, der mich gerade entdeckt hatte, vergass ich die Sorgen wegen der Farbe meines Kleides. Nate schenkte mir augenblicklich ein strahlendes Lächeln, das ich automatisch erwiderte. Offenbar gefiel ihm, was er sah. Er bahnte sich nun einen Weg auf mich zu und ließ dabei den Blick keine Sekunde von mir los. Er war grösser als die meisten Menschen um ihn herum und hatte dunkle Haare, fast so dunkel wie Louisas Haare. Zum heutigen Anlass trug er ein hellblaues Hemd, das seine breiten Schultern betonte, und eine schlichte, dunkle Hose.

«Hey Schatz, schön dich zu sehen», sagte ich, als er vor mir ankam, und legte die Arme um seine Schultern. Nate zog mich ohne ein Wort zu sich ran und küsste mich heftig auf den Mund. Kurz entspannte ich mich in seinen Armen und gab mich seinem Kuss hin. Dann lösten wir uns voneinander und auch Nate meinte leise: «Hallo Süße. Ich hab dich vermisst.» Noch immer hatte er den Arm um mich gelegt.

«Ich hab dich auch vermisst», erwiderte ich und erst, als ich die Worte ausgesprochen hatte, dachte ich näher darüber nach. War ich eine schlechte Freundin, weil ich nicht Tag und Nacht an ihn gedacht hatte? Aber andererseits brachte es ja auch nichts, wenn ich den ganzen Tag trübsaalblasend herumsass, nur weil ich meinen Freund vermisste?

«Eine Woche lang auf Mia aufzupassen kann sehr einvernehmend sein», fügte ich hinzu, während wir uns gemächlich auf den Weg zum Restaurant machten. Ich fand es gut, dass wir vor dem Essen noch zirka zehn Minuten gehen würden, da wir dann gut Zeit hatten, uns unbeschwert auszutauschen. Der Rathausplatz war ein beliebter Treffpunkt unter Jugendlichen, den Nate und ich häufig wählten und von hier aus war man schnell an den belebtesten Orten der Stadt.

«Schonmal ein Vorgeschmack auf eigene Kinder oder die Karriere als Lehrerin?», wollte Nate spasseshalber wissen. Scheinbar hatte er das mit dem Vermissen ziemlich ernst gemeint, denn noch immer hatte er den Arm um mich gelegt, was es etwas erschwerte, gerade zu gehen. Ich wunderte mich immer, wie das andere Paare lösten.

Ich musste lachen. «Karriere als Lehrerin wird nicht passieren», erwiderte ich. Zwar hatte ich mich noch nicht endgültig entschieden, was ich nächstes Jahr studieren wollte, aber der Beruf als Lehrerin hatte mich bisher nie besonders gereizt. «Aber ja, sie ist fast wie ein Kind für mich.»

«Toll, dass du diese Arbeit auf dich genommen hast», meinte Nate leicht bewundernd oder auch überrascht. «Wie hast du Mia denn beschäftigt?»

Ich runzelte die Stirn. Irgendwie störte mich seine Ausdrucksweise, als ob sie etwas Schlechtes war, das man unterhalten musste. «Wir haben viel gespielt, auf dem Spielplatz oder im Wasserpark oder mit Jenny», erzählte ich. «Und sie war ab und zu auch im Tagesheim.»

«Wer ist Jenny?»

***


Kurze Nachricht: wie ihr wohl merkt, poste ich weiter! Zwar hab ich gar noch nicht alles fertig geschrieben, aber es gibt noch viel Stoff, den ich bereits habe. :)

Falls ihr in einer Beziehung seid oder in einer wart: mögt ihr so "Dates", wo sich beide etwas schön machen und irgendwo hingehen oder macht ihr eher locker ab?

Ich mag ab und zu einen "geplanten Abend", bei dem ich mich herrichte, aber mehrheitlich nehm ich's eher locker.

Love is not a choice (Roman)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt