Teil 16: Grosser Bruder, grosse Sorgen

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Die restlichen Tage in Berlin passierte eigentlich nicht mehr besonders viel. Tatsächlich kann ich nur noch von zwei Ereignissen erzählen, welche es wert sind, niedergeschrieben zu werden. Lustigerweise geschahen beide in derselben Nacht.

Am letzten Abend in Berlin traf sich die gesamte Gruppe noch einmal. Wir verbrachten die Abendstunden in einer gemütlichen Bar und sprachen über das Leben. Als wir wieder bei Jonas zu Hause angekommen waren, legten sich Noah und Till scheinbar sofort schlafen. Jonas und ich hingegen setzten uns ins Wohnzimmer und sprachen noch ein wenig über Felix, Uli, ihn und mich. Das Gespräch über Uli war nicht besonders interessant und von Belanglosigkeit geprägt. Als wir aber auf Felix zu sprechen kamen, änderte sich die Lage. „Du willst Musiker werden, was?", fragte mich Jonas. Ich nickte. „So wie Felix?", hackte er nach. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube nicht.", antwortete ich schliesslich. Da lächelte Jonas wehmütig. Er legte sich kurz einige Wörter im Kopf zurecht und begann wieder zu sprechen: „Was du nicht wissen kannst, Felix war nicht immer Solokünstler. Er spielte einmal in einer Band, das Ganze ist jedoch sehr tragisch auseinander gegangen." Jonas wollte weiter sprechen, jedoch versagte ihm die Stimme und er blickte betrübt zu Boden. „Was ist denn passiert?", fragte ich ihn nach kurzen Momenten des Schweigens. „Nun ja es gab da einen Typen in der Band, der Leadsänger um genau zu sein, der war echt verrückt. Er hat Felix zu dem gemacht, was er heute ist. Er sprach oft über Ian Curtis und war total fasziniert von ihm. Nachdem er auch Felix zu einem Fan geformt hatte, zeigte er ihm, wie er sich selbst verletzte und trieb auch Felix dazu. Felix wurde so etwas wie ein Anhänger von ihm. Er tat ihm alles nach und hinterfragte nichts, das heisst bis auf eine Sache." Da schien Jonas die Stimme wieder auszugehen, jedoch brauchte er gar nichts mehr zu sagen.

Nachdem Jonas seine Stimme wieder gefunden hatte, begann er erneut zu sprechen. „Ich möchte nicht, dass du so wie Felix bist.", sagte er mit zittriger Stimme zu mir. „Wieso sollte ich so werden?", fragte ich ihn. Jonas schien sich zu überlegen, ob er mir den Grund nennen sollte. Nach fieberhaften Überlegungen und nur zögerlich entschied er sich dazu, es zu tun. „Noah scheint grossen Einfluss auf dich zu haben. Das beunruhigt mich." Ich war überrascht dies zu hören. Verglich Jonas mich tatsächlich mit Felix? „Wir sind gute Freunde.", sagte ich schliesslich. „Ich weiss. Aber es kommt mir vor wie damals. Versprich mir einfach, dass du dich nicht zu Dingen hinreissen lässt, die Noah will." In Jonas' Gesicht war grosse Sorge zu erkennen. Ich weiss das klingt ein wenig komisch, aber ich freute mich beinahe darüber. Diese Sorge zeigte mir nämlich, dass ich einen tollen grossen Bruder hatte.

Ich versprach Jonas, mich nicht von Noah verändern zu lassen. Dies macht mich heute sehr traurig, da ich das Versprechen schon lange gebrochen habe. Ein anderes Versprechen aber, habe ich sehr wohl eingehalten. Jonas' Worte werden meinen Kopf wohl nie wieder verlassen.

„Felix ist traumatisiert. Er hat seinen Freund sterben sehen und er durfte ihm nicht helfen. Bis heute geht er regelmässig zu einem Therapeuten, deswegen war ich vor einigen Tagen auch nicht mit euch unterwegs. Ich begleite ihn immer zur Therapie. Schliesslich war ich der Bassist der Band. Ich wollte auch Musiker werden. Jetzt versinke ich in einem Leben, dass ich mir damals nicht hätte vorstellen können. Aber das ist okay. Bitte versprich mir, kleiner Bruder, dass du nicht aufgibst. Du sollst nicht so um deinen Traum kommen wie ich damals."

Wie gesagt, dieses Versprechen habe ich eingehalten.

Die Musiker und die Realität - VorbandWhere stories live. Discover now