Teil 29: Krebs und Stolz

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Krebs ist scheisse. Ich hatte schon immer so gedacht, doch nun nach der Diagnose meiner Mutter, kam er mir noch ungerechter vor. Da Noah, Till und Jakob ohnehin bemerkt hätten, dass mich etwas beschäftigte, erzählte ich ihnen schon früh von der Krankheit meiner Mutter. Ihr Mitgefühl half mir ein wenig. Was mir aber wirklich durch diese Zeit geholfen hatte, war die Freundschaft zu ihnen. Es tat mir gut, nicht ununterbrochen über den Tumor meiner Mutter nachzudenken. Es tat mir gut, mir nicht andauernd Sorgen zu machen. Die Band half mir, was ich von der Schule nicht behaupten kann. Ich hasste jeden neuen Schultag noch etwas mehr als den davor. Glücklicherweise sollten die Sommerferien schon bald beginnen.

Jonas hatte mittlerweile den Haushalt übernommen. Dafür hatte er sich unbezahlten Urlaub genommen. Mein Vater arbeitete weiterhin vollzeitig. Ich freute mich über Jonas' Anwesenheit, doch deren Ursache konnte natürlich nicht verdrängt werden. Meiner Mutter ging es den Umständen entsprechend gut, allerdings wurde sie zunehmend schwächer. Schon bald sollte ihr Geburtstag gefeiert werden. In diesem Jahr stand ihr fünfzigster bevor. Für diesen besonderen Tag hatte sie ein grosses Fest geplant, doch durch ihren Zustand war dieses kaum umsetzbar geworden. Mein Vater plante nun ein kleineres Fest für sie. Es sollte sie nicht zu sehr anstrengen.

Dadurch, dass die Band mich aufmunterte, brauchte ich keinen Alkohol oder sonstige Rauschmittel, um mich besser zu fühlen. Das freute mich. Ein Alkoholiker war das letzte, was ich werden wollte. Der erste Alkoholiker den ich je kennen gelernt habe, hiess Gustav. Gustav lebte in einer Wohngruppe. Ich weiss nicht, ob er bereits tot ist. Auf jeden Fall hat mir Gustav etwas Wichtiges beigebracht. Wir sollen nicht trinken um etwas zu verdrängen, woran wir nichts ändern können. Als er mir das gesagt hat, war meine Mutter bereits gestorben. Allerdings passt sein Ratschlag trotzdem sehr gut zu der damaligen Situation. Meine Mutter hatte nun mal Krebs, daran konnte ich nichts ändern und der Alkohol erst recht nicht. Doch wie gesagt, mein Alkoholkonsum blieb vorerst konstant. Ich brauchte nicht zu trinken, um mich aufzuheitern.

Da Jonas nun wieder bei uns wohnte, lud ich ihn ein, eine unserer Bandproben zu besuchen. Jonas nahm die Einladung an und begleitete mich an einem Dienstagabend zu Jakobs Haus. Dort hörte er uns gebannt zu und staunte nicht schlecht, als er all die verschiedenen Songs hörte. Nach der Probe lobte er uns in den höchsten Tönen. Er verglich uns mit seiner früheren Band, welche uns nach seiner Meinung nicht das Wasser reichen konnte. Wir freuten uns über seine Komplimente. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ihn unsere Musik in diesem Masse begeistern würde. Natürlich war mir auch bewusst, dass dies nicht zwangsläufig etwas zu bedeuten hatte, in unserem Falle hatte es das aber.

Als Jonas und ich uns auf dem Heimweg befanden, hatte er immer noch nicht aufgehört zu schwärmen. Da mir die Schwärmerei gefiel, bat ich ihn auch nicht darum und hörte ihm wortlos zu. Eigentlich kann ich mich aber doch nur an einen seiner Sätze genau erinnern. „Ich bin stolz auf dich." Noch nie in meinem ganzen Leben hatte Jonas zu mir gesagt, dass er stolz auf mich sei, dementsprechend fasste ich diesen Moment als einen ganz besonderen auf.

Die Musiker und die Realität - VorbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt