Teil 37: Die Plattentaufe

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Jonas hatte den Keller abgesperrt, so blieb mir der Alkohol verwehrt. Und auf diese Weise fand ich eine gute Woche vor unserer Plattentaufe aus dem dunklen Loch heraus. Natürlich ist mir heute bewusst, dass ein verschlossener Keller ein Alkoholproblem nicht lösen kann. Doch durch die Tatsache, dass es mir damals auf diese Weise möglich war, mich vom täglichen Alkoholkonsum zu lösen, zeigt, dass mein Problem glücklicherweise nicht weit fortgeschritten war und so leichter unter Kontrolle gehalten werden konnte. Ich könnte mein damaliges Ich auch als überdramatisch bezeichnen, allerdings halte ich das für unklug. Jonas hat mich schliesslich auch ernst genommen und dafür bin ich ihm bis heute unendlich dankbar.

Ich würde es wohl bis heute bereuen, wenn unsere Plattentaufe in einer Katastrophe geendet hätte, doch wenn ich an den Abend der Taufe zurückdenke, dann verspüre ich immer noch die selbe Intensität an Stolz wie damals.

Einige Tage vor dem grossen Abend ging ich zum Friseur und entwickelte mich dort zu einem recht ansehlichen jungen Mann, welcher mir das Gefühl gab, doch alles schaffen zu können. Zwei Tage später probten wir das letzte Mal unser Programm. Natürlich war der Band aufgefallen, dass es mir wieder besser ging. Sie fragten mich, wem ich dies zu verdanken hätte. Ich war ehrlich und sagte: «Jonas, wem sonst?» Dass mir die Band nicht aus meinem Loch helfen konnte, musste für sie schwierig zu akzeptieren gewesen sein. Ich glaube aber auch, dass die Jungs einen Tag vor der Plattentaufe einfach nur froh waren, mich wieder lächeln zu sehen. Natürlich freute ich mich auch darüber.

Einige Stunden später war der grosse Tag gekommen. Meine Vorfreude auf die Plattentaufe hatte sich die Tage zuvor in Zaum gehalten, doch am Morgen des besagten Tages konnte ich an nichts anderes mehr denken. Natürlich wusste auch meine Familie, dass unsere Band an diesem Abend auftreten würde. Jonas, Emily und ihr Verlobter hatten mir versprochen auf jeden Fall Teil des Publikums zu sein. Meine Eltern konnten mir dies leider nicht versprechen, den Grund dafür dürftet ihr kennen. Ansonsten wusste ich nicht, wen ich im Publikum erwarten sollte. Eigentlich hatte ich bis auf meine Jungs aus der Band keine richtigen Freunde, welche sich für unsere Plattentaufe interessieren konnten. Noah erging es da auch nicht anders. Till und Jakob aber hatten sehr wohl viele Freunde und diese hatten sie auch auf besagten Abend aufmerksam gemacht.

Am frühen Abend trafen wir uns in Mickys Club. Abgesehen von einigen Mitarbeitern war noch niemand da. Micky, welcher alle Hände voll zu tun hatte, trafen wir erst nach dem Soundcheck. Eine gute Stunde vor Beginn der Plattentaufe sassen wir schliesslich mit ihm im Backstage Bereich. Tatsächlich schien er nervöser zu sein als wir selbst. «Das ist euer Abend Jungs. Ich will nicht zu viel versprechen, doch ich glaube die Bude wird rappelvoll sein.», sagte er grinsend. «Wie kommst du darauf?», fragte Noah gelassen. «Falls es dir noch nicht aufgefallen ist Noah, bin ich ein erfahrener Eventorganisator. Ich weiss wie ich meinen zugegeben kleinen Club ausverkauft kriege, selbst bei unbekannten Bands.» «Ach halt die Klappe Micky», meinte Jakob, «du versprichst zu viel.» Micky lachte und schüttelte den Kopf, sagte allerdings nichts mehr dazu.

Eines kann ich euch sagen, der Moment bevor man mit seiner Band die Bühne betritt, ist absolut atemberaubend. Mir fällt nichts Vergleichbares ein. Hat man diesen Moment einmal erlebt, will man unbedingt mehr davon. Andere Musiker sprechen immer vom Applaus und was für ein Suchtpotential dieser in sich birgt, doch ich bin überzeugt, dass die letzten Minuten bevor man die Bühne betritt, das eigentliche Highlight darstellen. So war es auch an diesem Abend. Noah, Till, Jakob, Micky und ich standen einige Meter von der Bühne entfernt im Kreis, die Arme über die Schultern der Nachbarn gelegt, als Micky diese Worte zu uns sagte: «Geht da raus und zeigt den Leuten wer Poker ist.» Klingt belanglos, nicht? Doch mich hat dieser Satz gefesselt. Den Leuten zeigen wer Poker ist, genau das haben wir getan.

Micky hatte nicht zu viel versprochen. Als wir die Bühne betreten hatten, blickten wir in eine volle Halle. Vor so viel Publikum hatten wir noch nie gespielt, doch wir waren bereit. Noah, welcher so etwas wie unser Frontman geworden war, nahm seinen Platz am vorderen Bühnenrand ein und begrüsste das Publikum. Dies tat er auf seine ganz eigene Art. Ich kann mich gut an seine Worte erinnern. «Guten Abend Ladies und Gentlemen, wir sind Poker und spielen heute Abend die Songs unserer EP Gar nicht aussergewöhnlich. Ich nehme an, dass ihr sie euch bereits angehört habt und genau wisst, was euch heute Abend erwartet. Neue Songs wollen wir euch dennoch nicht vorenthalten, ansonsten hätte ich mich an eurer Stelle beschwert. Immerhin habt ihr sogar bezahlt, um hier sein zu dürfen.» Dies sagte er, während er seine Gitarre stimmte und das Publikum nicht eines Blickes würdigte. Doch diesem Publikum schien das nichts auszumachen. Tatsächlich schien Noahs Ansprache Anklang zu finden. Nachdem Noah seine Gitarre gestimmt hatte, blickte er auf, drehte sich um und fragte: «Bereit?». Wir nickten. Jakob zählte ein und dann zeigten wir den Leuten, wer Poker war. 

Die Musiker und die Realität - VorbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt