Teil 26: Hübsch

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Es war Mai geworden. Die Band spielte immer besser, die Freundschaft zwischen uns Vier wurde immer stärker und ich hatte endlich wieder keinen Grund traurig zu sein, auf jeden Fall einige Wochen lang. Das Schuljahr neigte sich ebenfalls langsam aber sicher dem Ende zu. Vom Prüfungsstress liessen Noah und ich uns allerdings nicht anstecken.

Seit ich beschlossen hatte die Freundschaft mit Melissa zu vergessen, quälten mich keine Schuldgefühle für ihren Suizidversuch mehr. Auch ihr schien es besser zu gehen, seitdem wir uns nur noch in der Schule sahen. Nina beachtete mich bereits seit Monaten gar nicht mehr, allerdings störte mich das kaum, da die meisten Mitschüler seit Beginn des Schuljahres genau dasselbe taten. Trotzdem hatte ich keinen Grund traurig zu sein. Ich brauchte keine Aufmerksamkeit von meinen Mitschülern. Zusammen mit Noah erwiesen sich die Schultage ohnehin als erträglich. Tatsächlich war er der erste Mensch, den ich jeden Tag sehen konnte, ohne dass er mir auf die Nerven ging.

Ich hatte ihn auch an meinem Geburtstag gesehen, ihn und die anderen beiden Bandmitglieder. Sie besuchten mich, nachdem meine Familie bereits wieder verschwunden war. Abgesehen von Jonas und Emily, welche nicht erschienen waren, bestand der Familienbesuch aus denselben Leuten wie am Weihnachtsabend. Sie alle feierten mit mir zusammen meinen Siebzehnten Geburtstag, welcher mir eigentlich gar nichts bedeutete. Das Einzige Schöne an einem Geburtstag ist doch zu sehen, wer tatsächlich einen Gedanken an dich verschwendet, um dir zu gratulieren. Den achtzehnten Geburtstag erwartete ich allerdings sehnsüchtig, nur der Volljährigkeit wegen. Till und Jakob hatten diese Volljährigkeit bereits erreicht. Noah war gut zwei Monate älter als ich. Mit seiner Geburtstagsfeier hatte er uns in diesem Jahr allerdings verschont. Seine Familie sei sehr kompliziert, so seine Begründung.

Da mein Geburtstag in diesem Jahr auf einen Samstag gefallen war, entging ich glücklicherweise den gezwungenen Gratulationen in der Schule. Tatsächlich war ich mir zwar gar nicht sicher ob es überhaupt zu solchen gekommen wäre, denn wie gesagt, meine Mitschüler schenkten mir keine Beachtung. Sogar Vincent liess mich in Ruhe.

Als der Mai bereits gute zwanzig Tage alt war, erhielt ich wieder einen Grund, traurig zu sein. Nachdem ich alle Hoffnung auf ein glückliches Ende in der Geschichte mit Jana gesetzt hatte, liess nämlich auch sie mich abblitzen. Es traf mich nicht, allerdings fragte ich mich, an was es wohl gelegen hatte. In den nächsten Tagen dachte ich viel nach, am meisten über mich selbst. Ich gefiel mir, trotzdem sehnte ich mich nach einer Beipflichtung. Mein nächster Schritt mag albern klingen, doch damals hielt ich diesen für sinnvoll. Ich meldete mich bei Till und bat ihn, mich zu treffen.

So kam es, dass wir Beide uns das erste Mal ganz alleine trafen. Till besuchte mich bei mir zu Hause an einem Sonntagnachmittag. Ich zeigte ihm neue Songideen, welche ihm durchaus gefielen, doch das spielt keine Rolle. Jedenfalls liess ich ein Gespräch aufkommen und liess es vorerst völlig unkontrolliert, steuerte es aber dann doch in eine bestimmte Richtung. Wir kamen auf Jana zu sprechen. Ich erzählte Till von ihrem Korb und meinen Gedanken. Als schliesslich eine Gesprächspause entstanden war, wartete ich kurz und fragte ihn anschliessend: „Findest du mich hübsch?"

Till schwieg. Nach einigen Augenblicken sagte er schliesslich: „Ja, klar." Seine Antwort klang ehrlich, obschon sie nicht allzu schnell gekommen war. Ich hatte mir ganz bewusst vorgenommen, Till dies zu fragen. Der Gedanke dahinter war ganz einfach: Till ist schwul, also kann er das genauso gut beurteilen wie eine Frau. Das klingt zwar ebenfalls ein wenig merkwürdig, allerdings macht es in meinen Augen auch ein wenig Sinn. Nun konnte ich mir immerhin vorstellen, dass ich nicht ganz so hässlich war, wie vorerst angenommen und das stärkte wiederum mein Selbstwertgefühl. So kam es zu einer weiteren Frage an Till. „Glaubst du, ich soll gar nicht suchen sondern einfach warten?" Till nickte. „Ich glaube schon. Du wirst es schon merken, wenn es richtig ist." Einfacher gesagt als getan. 


Die Musiker und die Realität - VorbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt