„Meine Interessen sind vielfältig. Aber ich muss dich enttäuschen. Mich interessiert überwiegend der wissenschaftliche Aspekt der Medizin, weniger die praktische Umsetzung, wie sie dich zu faszinieren scheint."
Das war schade, aber Lucinda war entschlossen, die positiven Seiten ihres Zusammenlebens zu erkennen und wertzuschätzen.

"Ich freue mich, dass wir auch Gemeinsamkeiten zu haben scheinen", sagte sie deshalb mit einem aufrichtigen Lächeln.

Bailian sah sie ebenfalls lächelnd an und meinte dann kryptisch: "Ich denke, mit der Zeit werden wir weitere Gemeinsamkeiten feststellen." Noch bevor Lucinda fragen konnte, ob er dabei bereits etwas Spezielles im Sinn hatte, hatte er sanft ihren Ellbogen erfasst. "Komm, der letzte Raum fehlt noch."

Schweren Herzens und mit einem letzten Blick auf all die Bücher, ließ Lucinda sich von Bailian aus dem Raum führen. So gern sie den ganzen Tag ihre Nase zwischen den unzähligen Seiten verborgen hätte, die hier nur darauf warteten, von ihr entdeckt zu werden, wusste sie doch, dass ihre Prioritäten nun vorerst anders gesetzt werden müssten.
Sie gingen in das Zimmer nebenan und Bailian ließ Lucinda keine Sekunde aus den Augen, als sie sich staunend umsah.

Dies hier war Bailians Domäne. Wie hätte er es genannt? Sein Rückzugszimmer.

Es strotzte nur so vor Maskulinität. Die Tapete, der Teppich, die Möbel - alles war in dunklen Farben gehalten. Ein großer Schreibtisch stand in der Mitte des Raumes, ein Regal mit einigen Büchern und verschiedenen Gegenständen säumte die eine Wand und unter dem Fenster war eine Chaiselongue angebracht.

„Wenn ich in diesem Zimmer bin, will ich nicht gestört werden", sagte Bailian, als Lucinda sich alles angesehen hatte. Diese nickte verstehend. Trotzdem musste sie schmunzelnd und drehte sich zu ihm.

„Selbst nicht von mir?"

Bailian grinste. „Selbst nicht von dir, liebe Ehefrau."

„Und wenn es wirklich wichtig ist?", fragte sie gespielt empört.

„Nichts kann wichtiger sein, als meine Ruhe", antwortete er frech, Lucinda ließ sich jedoch nicht verunsichern.

„Und wenn es ein Problem gibt? Ein großes sogar?"

„Dann habe ich irgendwie das Gefühl, dass du das schon ohne meine Hilfe regeln kannst."

Verschmitzt lächelnd sah Lucinda Bailian an und trat einen Schritt näher zu ihm, sodass sie direkt vor ihm stand.

„Dann beschwer dich aber nicht, wenn ich das nächste Mal etwas auf meine Art regele und es dir nicht passt", ärgerte sie ihn und piekte ihn mit ihrem Zeigefinger in die Brust.
Ebenfalls lächelnd packte Bailian mit einer flinken Bewegung Lucindas Handgelenk und hielt sie mit seinem Griff so bestimmt fest, ohne ihr wehzutun, dass sie gezwungen war, eng bei ihm stehen zu bleiben.

Seine Nähe war durchaus... angenehm, stellte Lucinda zu ihrer Überraschung fest. Ihr stieg Bailians inzwischen vertrauter Geruch in die Nase, eine Mischung aus Seife und... ihm.

„Du riechst gut." Ohne es wirklich zu realisieren, hatte sie ihre Gedanken ausgesprochen. Erschrocken sah sie Bailian an. Oh Gott, wie peinlich!
Tatsächlich lachte Bailian. Er lachte sie aus!

„Dankeschön", meinte er schließlich. Noch immer hielt er ihre Hand gefangen, inzwischen ein wenig lockerer, sodass sie sich jederzeit hätte entfernen können.

Umso überraschter war Lucinda, als sie merkte, dass es ihr nichts ausmachte, dass Bailian ihre Hand hielt oder dass sie so nah beieinander standen und sich ihre Körper beinahe berührten.

Sie blieb ruhig stehen, als Bailian sich ein klein wenig zu ihr beugte, sein Gesicht ihrer Halsbeuge näherte. Lediglich ihr Herz begann so heftig zu pochen, dass es beinahe schmerzhaft war und drohte ihr die Brust zu sprengen.

Lucinda RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt