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Als Lucinda aufwachte, war Bailian schon wieder weg. Aber dieses Mal hatte sie nicht verschlafen, die Sonne ging gerade erst auf, es konnte also noch nicht später als sieben Uhr sein. Ihr Mann war also offenbar ein Frühaufsteher.

Lucinda läutete trotzdem schon nach Mia. Wieso musste sie auch immer ein Korsett tragen? Sonst müsste sie Mia nicht einmal bitten, ihr beim Ankleiden zu helfen.

Sie hatte heute viel vor und wollte am Nachmittag möglichst viel Zeit übrighaben, um die Bibliothek noch bei Tageslicht genauer unter die Lupe zu nehmen. Motiviert und hellwach stand sie auf. Ja, es würde eine große Umstellung werden, aber sie freute sich auf die Herausforderung. Beinahe kribbelten ihre Fingerspitzen von den kleinen Adrenalinschüben, die durch ihre Adern flossen, wenn sie darüber nachdachte, was sie alles lernen müsste. Das traurige Gefühl vom Vorabend hatte sie auch weit von sich geschoben.

Lucinda hatte bereits ungeduldig die Schranktüren geöffnet, um selbst ein Kleid auszusuchen, als Mia hereinkam.

"Mylady! Sie sind früh auf." Es lag keinerlei Vorwurf in ihrer Stimme. Mia wusste, dass dies zu ihrem Job dazu gehörte und sie trug es mit einem Lächeln. Möglicherweise war sie sogar selbst eine Frühaufsteherin, da sie recht munter dreinschaute.

Die Tageskleider waren zum Glück nicht ganz so aufwendig wie die Abendkleider und so war Lucinda schnell fertig. Sie ging nach unten, um Bailian beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. Überrascht blickte er auf, als sie den Raum betrat.

"Guten Morgen!", grüßte sie ihn und ein Diener schob ihr einen Stuhl zurecht, damit sie sich setzen konnte.

"Du bist früh auf", meinte Bailian nur.

"Nun ja, ich habe ja auch viel vor." Lucinda griff nach einem Toast und bestrich es mit Butter und Marmelade. Mit gutem Appetit verspeiste sie den Toast mit wenigen Happen.

Amüsiert beobachtete Bailian sie. "So wie du schlingst, könnte man meinen, du hättest eine anstrengende Nacht hinter dir." Seine Stimme klang beiläufig, aber das schelmische Grinsen in seinem Gesicht, ließ vermuten, dass... Oh!

Lucinda errötete, als ihr bewusst wurde, worauf er anspielte.

"Ich rüste mich lediglich für all die Aufgaben, die heute anstehen." Sie wusste, dass die Antwort lahm klang und sie nahm sich vor, sich von Bailians Bemerkungen und Anspielungen nicht mehr so aus dem Konzept bringen zu lassen. Vor allem nicht, da die Diener im Raum nicht nur jedes Wort, sondern sicherlich auch jede Reaktion von ihr bemerkten.

"So, was hast du denn heute alles zu tun?", fragte Bailian nach, während Lucinda sich Rühreier und gebratenen Speck auf den Teller häufte und fleißig weiter aß.

"Erst einmal werde ich mich mit dem Haus vertraut machen. Dann möchte ich mit der Hausdame und den Dienstmädchen reden und mich über ihre Routine informieren. Danach möchte ich mit der Köchin sprechen. Ich denke doch, dass ich ab sofort dafür zuständig sein werde, die Menüplanung für die Woche mit ihr durchzusprechen. Und dann möchte ich mir die Bibliothek genauer ansehen und mir überlegen, wie die Ausstattung gegebenenfalls ergänzt werden kann." Lächelnd sah Lucinda Bailian an und klopfte sich innerlich auf die Schulter, da sie sehen konnte, dass sie ihn gerade überrascht hatte.

Ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen. War das... Zuneigung? Nein, das konnte nicht sein.

"Du hast dir viel für deinen ersten Tag vorgenommen. Darf ich dann die Aufgabe übernehmen, dich durch das Haus zu führen?", bot Bailian an und Lucinda stimmte erfreut zu.

"Die Hauslehrerin wird übrigens morgen eintreffen", sprach Bailian weiter und überrascht sah Lucinda von dem Stück kalten Braten hoch, den sie gerade auf ihrem Teller geschnitten hatte.

Lucinda RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt