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Als Lucinda über zwei Stunden später wieder zuhause eintraf, schwirrte ihr der Kopf mit lauter Schnittmustern und Stoffen. Ihr war schwindlig geworden bei all den Kleidern, die Bailian für sie in Auftrag gegeben hatte. Und natürlich hatte sie kaum ein Mitspracherecht gehabt. Wobei Bailian wie beim Hochzeitskleid auch bei den anderen Kleidern einen treffsicheren Geschmack zeigte, dem Lucinda nichts entgegenzusetzen hatte.

Lucinda war nie ein Mädchen gewesen, das sich übermäßig für ihre Garderobe und ihr Aussehen interessiert hatte, aber ein klein wenig freute sie sich schon auf die Pracht, die bald ihren Kleiderschrank einnehmen würde.

Erschöpft von dem turbulenten Vormittag legte Lucinda ihren Umhang ordentlich in ihrem Zimmer ab und hörte dann ein ziemlich undamenhaftes Knurren ihres Magens. Kein Wunder, nach Bailians Nachricht war sie so aufgebracht aus dem Haus gestürmt, dass sie darüber sogar das Frühstück vergessen hatte und nun meldete sich ihr Magen.

Sie lief nach unten in die Küche, um zu sehen, ob sie noch etwas vom Mittagessen stibitzen konnte.

"Da macht sie erst so ein Aufhebens um das unmögliche Verhalten von Lord White und dann heiratet sie ihn plötzlich!", hörte sie Carolines Stimme.

"Sie wird all die Annehmlichkeiten überhaupt nicht zu schätzen wissen", klagte auch Kate. "Eine von uns hätte ihn sich schnappen sollen."

Lucinda blieb stehen und lauschte, ob sie noch mehr hören würde. Ihre Schwestern konnten manchmal einfach unmöglich sein.

"Lucinda weiß doch gar nicht, was sie mit all dem Geld machen soll. Mir würden da einige wundervolle Dinge einfallen. Ich würde mir die schönsten Kleider kaufen, die aufwendigsten Mahlzeiten zubereiten lassen und die prachtvollsten Soiréen geben."

Jetzt reichte es Lucinda mit diesem hohlen Gerede und sie trat durch die Küchentür.

"Es freut mich zu hören, dass du für derart sinnvolle Dinge das Vermögen deines Mannes ausgeben würdest", spottete Lucinda und freute sich darüber, dass sie ihre Schwestern ganz offensichtlich mit ihrem unerwarteten Auftauchen erschreckt hatte.

Sie ging zum Herd, auf dem ein Topf Suppe stand, schöpfte sich einen Teller voll und brach sich ein Stück Brot dazu ab. Sie setzte sich, nahm einen Bissen, um ihren immer heftiger protestierenden Magen zu beruhigen und sah dann ihre beiden Schwestern an, die noch immer betreten schwiegen. Naiv wie sie waren, hatten sie wirklich nicht eingesehen, dass Lucinda diese Ehe selber nicht gewählt hatte.

"Ich danke euch, dass ihr mir diese vorteilhafte Heirat von Herzen gönnt", sprach sie dann mit Ironie in der Stimme weiter. Lucinda verschwieg geflissentlich, dass sie Bailian White sofort mit Freuden einer ihrer Schwestern abgetreten hätte, wäre es in ihrer Macht gestanden. "Ist euch eigentlich bewusst, dass ihr beide durch diese Heirat ebenfalls Vorteile habt? Ich kann euch in Kreise einführen und Gentlemen vorstellen, von denen ihr bisher nur geträumt habt. Ihr werdet eine viel bessere Partie machen können, als ihr im Moment in Aussicht hättet. Wollt ihr mir dafür nicht eher danken?"

Ihre beiden Schwestern blieben noch immer betreten stumm.

Ohne ein weiteres Wort aß Lucinda ihre Mahlzeit auf, stellte den Teller zum Abwasch und verließ die Küche. Sie hatte noch nie ein sonderlich gutes Verhältnis zu ihren Schwestern gehabt. Kate und Caroline hatten schon immer eine eigene Einheit gebildet, ein eigenes kleines Universum, in dem sonst kaum jemand Platz fand. Aber dass die beiden sich hinter Lucindas Rücken so sehr über sie ausließen, kränkte sie dennoch.

Als hätte sie nicht schon genug Sorgen.

Mit jedem Tag, den ihre Vermählung näher rückte, wuchs die Angst in Lucinda und drohte sie zu überwältigen.

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now