19.

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Diesmal hält mich nichts davon ab, die Augen aufzuschlagen. Weder meine eigene Trägheit, noch mein Verstand.
Ich blinzele ein paar mal und muss mich einige Sekunden lang an die Helligkeit gewöhnen.
Räuspernd drehe ich meinen Kopf zur rechten Seite und sehe eine Silhouette. Mit Blick auf das Fenster müssen sich meine Augen noch mal umgewöhnen.
„Hey..."
Schließlich erkenne ich Shawns Gesicht. Seine Hand liegt noch um meine, streichelt mich. Gibt mir das Gefühl, nicht alleine zu sein.
„Was ist passiert?", bringe ich hervor und klinge dabei wie eine Kettenraucherin.
Das ich in einem Krankenhaus liege habe ich schon geschnallt, aber ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wieso ich hier bin.
Shawn zögert und legt auch die andere Hand um meine; rutscht auf dem Stuhl etwas näher zu mir heran und sieht mich mit besorgter Miene an. „Du bist zusammengebrochen."
Drei kleine Worte und alles bricht wieder über mich hinein. Das ich gehustet habe, dass mich ein Ellenbogen getroffen hat und das ich gestolpert und zu Boden gegangen bin.
Aber vor allem ist da Wut. Wut auf Shawn, weil er mich geküsst hat und mich dann ignoriert hat.
Ich will meine Hand wegziehen, kann mich aber nicht dazu aufraffen. Ich brauche diese Nähe. Diese Nähe von ihm.
„Du hast mir mehr wehgetan als der Ellbogen."
Das meine Stimme so stark klingt ist schon fast bemerkenswert.
Zwischen Shawns Augenbrauen bildet sich eine Furche. „Ich weiß."
Nach einer Weile der Stille hebt Shawn meine Hand an seinen Mund. Seine Lippen streichen sanft meine Haut und ein Kribbeln durchfährt meinen ganzen Körper, geht einzig und allein von dieser Stelle aus. „Es tut mir leid, Katie.", murmelt er. „Aber ich verspreche dir, dass ich nichts mit einem Mädchen in irgendeinem Club hatte."
Meine nächsten Worte kommen nur schleppend. „Wie kann ich sicher sein, dass das stimmt?"
Shawn kontert sofort, weder drängend noch anklagend: „Wie kann ich sicher sein, dass du nichts für Brian empfindest?"
Seine braunen Augen fixieren mich und nur mich. Ich halte seinem Blick stand. „Ich empfinde nichts für Brian.", sage ich langsam. „Behauptet er etwas anderes?"
Ein leichtes Lächeln legt sich auf sein Gesicht. „Nein. Aber er hat mir...", er stockt, so als würde es ihm schwerfallen die nächsten Worte auszusprechen. „Er hat mir klargemacht, dass ich etwas für dich empfinde."
Ich lasse die Worte auf mich wirken. „Und jetzt?"
Shawn seufzt. „Jetzt musst du erstmal gesund werden. Und dann sehen wir weiter."

Erst als ich am nächsten Tag mit höllischen Kieferschmerzen aufwache, macht der riesige blaue Fleck auf meinem Gesicht einen Sinn. Eine Schwester, die mir das Frühstück bringt, holt sofort den Doktor. Gestern Nachmittag bin ich unter Shawns Berührungen fast sofort wieder eingeschlafen, also war der Besuch des Arztes hinfällig. Jetzt begrüßt er mich mit einem freundlichen Lächeln und setzt sich auf den Stuhl neben meinem Bett. Ernst sieht er mich an.
„Sie müssen auf jeden Fall mehr trinken, Ms Reed. Und sich ausruhen. Sie sind so ein Arbeitspensum gar nicht gewohnt."
Dr Iversen, der nicht nur mit seinem Namen alle skandinavischen Klischees erfüllt, die mir spontan einfallen, beobachtet meine Reaktion darauf, die ein bloßes Mund aufmachen und wieder zumachen ist. „Aber das mit der Arbeit kann ich Ihnen nicht verbieten...", ein schmales Lächeln legt sich auf sein Gesicht, ehe er auf meine Verletzung zusprechen kommt. „Sie haben eine Kieferprellung, Ms Reed. Das ist durch die stumpfe Gewalteinwirkung des Ellbogen geschehen. Dieser Schmerz, den sie sicher dabei empfunden haben, hat sie letztendlich auch in die Knie gezwungen."
Ich starre auf meine Hände, die zusammen gefaltet auf der Bettdecke liegen. „Ich habe auch keine Luft mehr bekommen, Dr Iversen.", merke ich an.
Er nickt wissend, was mich ein wenig irritiert. „Sie haben sich zuvor an Ihrer eigenen Spucke verschluckt, nicht wahr?"
Ich schaue in seine blauen Augen. „Woher wissen Sie das eigentlich?"
Dr Iversen lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Ms Reed, an dem Flughafen waren fast 80 Mädchen. Das ist eine ganze Menge. Meine Kollegen vom Rettungsdienst haben die Mädchen befragt, denn nachdem Sie zusammengebrochen sind, waren plötzlich alle ganz ruhig.", er runzelt die Stirn. „Vielleicht lag das auch an der Tatsache, dass Mr Mendes sie vor dem Sturz zu Boden gerettet hat."
Ich fühle mich wie in einem schlechten Film. Der Arzt redet mit mir in seinem perfekten Englisch, hat das blonde Haar perfekt nach hinten gegelt und weiß perfekt über meinen „Fall", wenn man es denn so nennen darf, Bescheid. Wenn ich Glück habe, Träume ich nur. Ich wüsste zu gern, was mein Dad in dieser Situation zu seinen Patienten sagen würde. Aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter.
Ich beschließe, die Sache auf sich beruhen zu lassen und stattdessen nach dieser Luft Sache zu fragen. „Aber ich habe wirklich keine Luft mehr bekommen."
Er sieht mich mitfühlend an. „Das glaube ich Ihnen ohne Zweifel. Dafür gibt es sogar eine Erklärung.", er überkreuzt die Beine. „Sie hatten eine leichte Panikattacke, kamen nicht vorwärts und haben sich verschluckt. In der Situation war es für Sie nicht so einfach wie in der heimischen Küche ruhig zu bleiben und einfach zu husten. Alles was Ihnen den Rest gegeben hat, war der Schlag auf den Kiefer, Ms Reed."
Obwohl er wirklich so aussieht, als wäre er Hollywood entsprungen, glaube ich ihm. Warum auch nicht? Er ist schließlich Arzt.
„Okay... Wann darf ich raus?"
Dr Iversen grinst mich mit einem Zähne entblößenden Lachen an und einen Moment lang kann ich nur auf die weißen Beißer in seinem Mund starren. Das scheint er zur bemerken, denn er kommt relativ schnell zum Punkt und ich reiße meinen Blick von seinem Mund los. „Noch heute. In zwei Stunden. Wir werden uns nochmal den Kiefer ansehen und auch noch Ihr Blut testen... ich lasse Sie dann mal alleine. Gute Besserung, Ms Reed."
„Danke.", murmele ich verlegen und Dr Iversen verlässt den Raum.
Ein paar Minuten später klopft es an meiner Türe und ein rothaariges Mädchen kommt herein. Ich möchte ihr gerade sagen, dass sie sich bestimmt im Zimmer vertan hat, aber sie kommt zielstrebig auf mein Bett zu - den Blick auf mein Riesen Hämatom gerichtet.
„Es tut mir so so leid.", ruft sie mit einem starken Südstaaten Akzent.
Irritiert betrachte ich das junge Mädchen. „Was tut dir leid?"
„Dein Kiefer! Ach du meine Güte. Das ist alles meine Schuld."
So langsam begreift mein Gehirn, was da vor sich geht. Vielleicht benebeln ja die Schmerztabletten noch alles. „Oh...", meine ich. „Das war ja keine Absicht. Mir geht es schon besser."
Mit der linken Hand klopfe ich auf den Rand des Bettes, auf den sich die rothaarige setzt.
„Ich bin Alice.", stellt sie sich vor.
„Katie.", antworte ich.
Keine Ahnung wann der Sinneswandel gekommen ist, aber vielleicht ist Katie ja doch eher der richtige Name für mich.

Shawn Mendes: We keep this love in a photographWo Geschichten leben. Entdecke jetzt