4.03. Der geölte Anwalt

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Es sind gut 30 Minuten vergangen, dann bringt der gut beleibte Wachmann die Dinge, die Michael besorgt hat: zwei Tageszeitungen vom Sonntag, Schokoladenkekse, vier kleine Stücke Schokoladenkuchen, einen Kaffee mit Zucker und Kaffeeweißer in Tütchen, zwei große Flaschen Wasser und eine Schachtel Marlboro. Der Wachmann freut sich über zwei Zigaretten und ich schmunzel in mich hinein: ‚Die Devise lautet, kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.‘

Es geht gegen 11:30 Uhr. Michael wird es sicherlich schaffen, bis 12 Uhr im BSWD zu sein.

Der Kaffee und der saftige Rührkuchen beleben meine Sinne. Hastig blättere ich in den Zeitungen. Sie heißen Manila Bulletin und Cebu Inquirer, sind überwiegend in Englisch geschrieben, nicht aus der Region und es ist, wie erwartet, keine Silbe über mich zu finden.

Ich überlege: ‚Freitagnacht verhaftet, Samstag, Sonntag und Montag im Kerker. Am Samstag wäre die Zeit da gewesen, für die Sonntagsausgaben einen Artikel über mich zu schreiben.'

Die Kriminalfälle, über die berichtet werden, stammen überwiegend aus Manila, Cebu und Umgebung. Der Fokus liegt ganz klar bei Drogendelikten. Es fällt immer wieder der Begriff „buy-bust operation“, eine spezielle Polizeiaktion, um Drogendealer dingfest zu machen.

‚Vielleicht ist meine Story zu unwichtig‘, komme ich während der Lektüre zum Schluss. Die Sonntagsausgaben sind aber auch wirklich dick.

Vor den Zellen herrscht ein reges Treiben. Es werden ständig Arrestierte abgeholt, zurückgebracht und neue Gestalten in die Zellen eingeschlossen. Einige in Handschellen, andere stuft die Polizei wohl als unproblematisch ein. Die dürfen dann ohne Handschellen ins Polizeigebäude und zurück. Es geht im Großen und Ganzen gesittet, freundlich und ruhig zu. Es wird sogar gelacht. Jedes Mal, wenn ein Polizist kommt, bin ich hoffnungsvoll, es könne sich um mich drehen. Gegen 12:30 Uhr erfüllt sich meine Hoffnung. Unvermittelt steht der gut beleibte Wachmann vor der Gitterstabtür und nimmt das Licht aus der Zelle. Er lässt das Schloss knacken und die Tür quietschen: „Mr. Heger, Sie haben Besuch!“

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Ich betrete Officer Sarangs Büro. Franco und ein leicht übergewichtiger Herr stehen an der Sitzgruppe und unterhalten sich angeregt aber leise. Der Herr trägt eine Hose aus feinem Zwirn mit Bügelfalte und dazu ein gelbes Polohemd. Seine Haare sind glatt zurückgekämmt und glänzen vom Öl oder Haarwachs pomadig. Das volle Gesicht ziert ein zartes Errol Flynn-Bärtchen. Er trägt eine blau getönte Sonnenbrille mit dünnem goldenen Rahmen, Goldkettchen und einen wuchtigen Siegelring an der rechten Hand. Alles in allem wirkt er wie ein biederer amerikanischer Mafiaboss aus alten US-Filmen.

Franco begrüßt mich herzlich und stellt den Herren als Attorney De Baron vor. Wie auch an Attorney Pizzaros Gürtel, klimpert an De Barons Gürtelschnalle ein Schlüsselbund mit Autoschlüsseln.

'Statussymbol', kommt mir in den Sinn.

Kurzes Händeschütteln und wir nehmen in der Sitzgruppe Platz.

„Sie sind also Mr. Heger, Deutscher. Ich habe den TV-Bericht gesehen. Dumme Sache, Mr. Heger, dumme Sache.“

Ein junger Polizist bringt einige Blätter, die der Attorney sofort studiert.

„Tommy, wie geht es Dir, konntest Du gut schlafen?“, fragt Franco mit besorgtem Blick.

„Ist schon okay, Franco. Habe kaum geschlafen.“ Beim Gedanken an Schlafen werden mir die Glieder schwer.

„Durftest Du Dein Cellphone benutzen? Hast Du mit Deiner Familie in Deutschland telefoniert?“

„Ja, Franco, ich habe mit meiner Mutter telefoniert. Meine Familie versucht alles, um mich hier herauszubekommen. Franco, ich muss später mit Dir reden, Marielou will kommen. Ich brauche Geld und Du musst auch Marielou etwas senden, sodass sie kommen kann.“

REISE INS VERDERBEN by NOKBEW™Where stories live. Discover now