Kapitel 9

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Kyle

Entsetzt blickte ich ihr nach. Mir war schlecht, und die Schuld, die in mir kochte, Vertrieb immer noch jegliches Blut aus meinem Gesicht.

Eigentlich hatte ich nur was einkaufen wollen, Porree oder so, meine Mom brauchte es fürs Abendessen. Doch dann hatte ich Melody da oben auf der Mauer gesehen. Ich meine, dank Musik wusste ich zwar, dass sie Parkour machte, es aber dann zu sehen, war dann aber doch nochmal ein ganz anderes Kaliber. Ihre Körperbeherrschung war ausgezeichnet. Zumal ich mir so einen Handstand niemals in der Höhe ohne Sicherung getraut hätte.

Da sie mir in der Schule jedoch bestmöglich aus dem Weg ging und ich mal mit ihr reden wollte, hatte ich mich dazu entschieden, sie anzusprechen. Dass ich Melody dabei so erschrecke, hatte ich nicht mal erahnen können. Naja, genau so wie ich nicht beabsichtigt hatte, dass es so endet. Mir war fast das Herz stehen geblieben, als ich sie hatte fallen sehen. Jetzt konnte ich auch verstehen, wie es sich anfühlte, wenn alles scheinbar in Zeitlupe ablief. Denn genauso war es gewesen, nur war ich wie erstarrt gewesen und hatte mich nicht vom Fleck rühren können.

Doch auch heute hatte Melody sich mir gegenüber komisch verhalten. Anscheinend hatte sie um jeden Preis vermeiden wollen, dass ich sie berührte. Zwar konnte es auch sein, dass das Mädchen mir irgendwie böse ist,  weil ich sie erschreckt hatte und sie deswegen gefallen ist, aber das traute ihr nicht zu.

Dennoch war etwas mit ihr. Sie war anders, wenngleich das nicht negativ sein musste. Außerdem gab es ja auch immer noch die Möglichkeit,  dass sie mich einfach nicht leiden konnte, dass sie mich hasste.

Ich schluckte. Noch immer starrte ich auf die Straßenecke, hinter der Melody abgebogen war, mein Handy in der linken Hand. Langsam wanderte mein Blick wieder zu der Mauer, auf der sie noch vor Kurzem gewesen war, dann stockend nach unten, wo die Kleine aufgeschlagen war. Die alten Pflastersteine waren zerkratzt und gerissen, teilweise mit kleinen Kieselsteinen bedeckt. Schmutz und Dreck verschmierten sie und ein kleiner Löwenzahn hatte sich mutig durch einen der Risse gezwängt.

Mein Handy vibrierte, wahrscheinlich weil ich eine Nachricht hatte. Reflexartig wollte ich drauf schauen und antworten, doch dann fesselte etwas meinen Blick auf dem Fußweg vor mir.

Ich trat näher und hockte mich hin.

Erneut wurde mir schlecht und alles Blut, dass noch in meinem Gesicht war, machte sich schlagartig auf den Weg Richtung Süden. Vor mir waren die Pflastersteine mit einer dunkelroten Flüssigkeit verschmiert. Es war nicht viel, aber sie waren noch ganz frisch. Die roten Flecken glänzten in der Sonne.

Blut. Melodys Blut.

Sie musste sich beim Aufprall doch mehr getan haben, als sie zugab. Ich streckte meine rechte Hand danach aus, um mich zu vergewissern, dass es wirklich Flüssigkeit war und nicht irgendeine StreetArt, doch mitten in der Bewegung erstarrte ich. Auch auf meiner Handfläche und meinen Fingern klebte Blut.

Welches zu hundert Prozent von Melody stammte.

Entsetzt starrte ich auf das Rot, es bildete einen scharfen Kontrast zu meiner hellen Haut. Ich musste mich beschmiert haben, als ich nach ihrem Arm gegriffen hatte, um sie vom Gehen abzuhalten. Deshalb hatte sie auch gesagt, dass ich ihr wehtue.

Verdammt.

Wahrscheinlich hasste Melody mich wirklich. Ich meine, Grund genug hatte ich ihr ja schon irgendwie gegeben. Zuerst war ich gegen sie gerannt und ihr ganzes Zeug hatte sich über den Gang verteilt. Seit dem ignorierte die Kleine mich sehr geschickt, vermutlich war sie daher auch nicht so wirklich über unsere Zusammenarbeit in Musik begeistert. Jetzt, da sie meinetwegen verletzt war, war ich bestimmt auf der Sympathieskala nicht wirklich weiter hoch  gerutscht.

Mercy (vorerst leider pausiert)Where stories live. Discover now