Teil 3: Melissa

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Noah und ich trafen uns nahezu jeden Tag nach der Schule, um zu musizieren. Nachdem wir bereits unsere ersten eigenen Songs geschrieben hatten, beschlossen wir eine EP aufzunehmen. Allerdings sollte diese nur eine Art Demo Tape werden, da wir es uns nicht leisten konnten, in einem richtigen Tonstudio zu arbeiten. Zu dieser Zeit freundeten wir uns mit einem Mädchen aus unserer Klasse an. Zwar hatten wir uns zuvor bereits gekannt und uns auch stets gut verstanden, jedoch hatten wir uns abseits des Unterrichts nie gesehen. Dies änderte sich zufälligerweise eines Samstags nachts, als Noah und ich in einer Bar sassen und über unser unbedeutendes Dasein philosophierten.

„Wer hätte das gedacht, ihr beide in einer Bar?", sagte sie zu uns. Weder Noah noch ich hatten sie bemerkt. Dementsprechend erschraken wir auch über ihr plötzliches Erscheinen. „Mach das nie wieder.", bat ich sie. Darauf mussten wir beide lachen. „Was sollte denn deine Aussage?", fragte Noah, „wir sind öfters hier." „Tatsächlich? Ich habe euch hier noch nie gesehen.", antwortete sie, während sie sich einen Stuhl griff und sich zu uns setzte. „Es geht doch in Ordnung, wenn ich mich zu euch setze?", fragte sie danach. Wir nickten beide.

Sie setzte sich und verliess die Bar erst wieder um fast Vier Uhr morgens in unserer Begleitung. Dieses Mädchen hiess Melissa. Tatsächlich wurde sie in den folgenden Wochen zu unserer besten Freundin. Wir erzählten uns gegenseitig alles und vertrauten uns so stark und so schnell, dass es schon beinahe unheimlich war. Woran dies lag, weis ich bis heute nicht. Vielleicht daran, dass sie beinahe so verkorkst war wie wir. Ja ich bezeichne uns ganz bewusst als verkorkst, allerdings gefiel es uns verkorkst zu sein und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass dies nicht das Beste ist, was ein Mensch sein kann.
Melissa verbrachte sehr viel Zeit mit uns und war auch immer wieder bei unseren Aufnahmesessions dabei, manchmal half sie uns sogar.

„Hey Jungs, seht mal was ich hier habe." Melissa betrat unser „Aufnahmestudio" mit erhobenen Händen. Dieses befand sich übrigens in meinem Haus. „Melissa geh ein bisschen vorsichtig mit dem Scheiss um. Meine Eltern wissen nicht, dass ich Gras rauche.", sagte ich zu ihr. Melissa schloss die Tür hinter sich und verstaute das Marihuana wieder in ihrer Hosentasche. „Tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass sie zu Hause sind." Danach meldete sich Noah zu Wort. „Rauchen wir jetzt einen oder was?" Ich schüttelte den Kopf. „Meine Eltern bringen mich um, wenn sie was mitkriegen." „Mach dich locker. Sie haben euch doch bisher immer in Ruhe gelassen, wenn ihr musiziert habt." Damit hatte Melissa allerdings recht. Und noch bevor ich etwas sagen konnte, zog sie das Marihuana und alles was sie brauchte hervor und begann einen Joint zu drehen.

Einige Minuten später war das Gras geraucht, wir drei waren high und die Musik war wunderschön. Noah spielte unglaubliche Soli auf seiner Gitarre, während ich ihn an meinem Piano begleitete. Manchmal übernahm auch ich die Hauptstimme. Später begannen wir zweistimmig zu singen und die Instrumente im Hintergrund zu halten. Die Texte hatten wir gemeinsam geschrieben. Meist liessen wir unsere gesamte melancholische Weltansicht in sie hineinfliessen. Melissa hörte uns mit geschlossenen Augen zu. Als schliesslich die letzten Töne verstummt waren und nur noch das Summen des Gitarrenverstärkers zu hören war, setzten wir uns zu Melissa auf das Sofa und schwiegen. Jeder von uns liess das Gras und die Musik auf seine eigene Weise auf sich einwirken. Ich weiss nicht wie lange wir schwiegen, vielleicht zehn Minuten, vielleicht eine halbe Stunde. Noah war jedenfalls der Erste, der wieder einen Satz über seine Lippen brachte. „Ich glaube ich habe gerade zum ersten Mal keinen Hass auf die Welt verspürt."

Die Musiker und die Realität - VorbandWhere stories live. Discover now