Number 5: Die Melancholie der Jägerin

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Der Abend war über Heartland City hereingebrochen. Doch wirklich dunkel war es nicht. Der Himmel war bereits von einem Rotton zu einem dunkleren violett übergegangen und kunterbunte Lichter ließen die Stadt nicht schlafen. Am hellsten von allen, strahlte jedoch Heartland selbst. Der Freizeitpark, der über und über mit Lichtern bestückt war, hob sich von allem anderen ab. Doch so schön und bunt, wie die Stadt und der Park zu so später Stunde auch zu sein vermochten, so gab es eine Person, die den Anblick nicht genießen konnte.
Ruri glitt über all den Lichtern der Stadt hinweg. Ihre Gleiter waren bei Weitem nicht mit denen von Orbital 7 zu vergleichen, aber sie taten ihre Arbeit und hielten sie in der Luft. Außerdem hatte Kaito ihr diese vor längerer Zeit gebaut, als Mr. Heartland auch sie zum Jagen beauftragt hatte.
Von hier oben aus, hatte sie eine viel bessere Sicht. Obwohl es bereits relativ spät war, trieben sich immer noch Teilnehmer des WDCs auf den Straßen herum.
Irgendwo musste auch Kaito noch sein Unwesen treiben, hatte er ihr doch gesagt, sie würden sich noch einmal treffen.
Ruri seufzte leicht. Sie freute sich über jede Gelegenheit, in seiner Nähe sein zu können, aber sie wusste auch, dass sie kaum mehr, als ein paar kühle Worte von ihm zu hören bekommen würde.
Manchmal hasste sie die Gefühle, die sie für ihn hegte. Denn all ihre Wunschvorstellungen würden eh nichts weiter bleiben, als eben das, was sie waren: Pure Illusionen. Ihre einst kindlichen Hoffnungen, hatte sie schnell begraben.
Kaito mochte auch sie einst gerettet haben, aber das hatte er nicht getan, weil er etwas für sie empfand. Es war einfach nur, weil sie eben seine Trainingspartnerin gewesen war. So wie Droite auch und diese hatte er ja auch gerettet.
Innerlich verkrampfte sich ihr Magen und sie schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass Droite auch Gefühle für Kaito hegte, die sie aber genauso wenig offen zeigte. Auch sie sah ihm nur oft sehnsüchtig hinterher, so wie Ruri es tat. Aber Ruri wusste auch, dass Droite irgendwo neidisch auf sie sein musste, weil sie Kaito dennoch in gewisser Hinsicht näher stand, dadurch, dass auch sie sich dem Job als Numbers Hunter angenommen hatte.
Aber sie fühlte sich nicht beneidenswert oder dergleichen. Im Grunde machte es das Ganze für sie nur noch schlimmer.
Kaito noch näher zu sein, war nicht besser.
Es war schmerzhafter. Wenn Kaito die Sonne in ihrem Leben war, dann war sie Ikarus, dessen Flügel schmelzen würden, wenn sie versuchen würde, ihm noch näher zu sein. Dann würde sie vom Himmel stürzen. Deswegen war es besser, ihm auch nur sehnsüchtig nachzusehen. Es reichte ihr, sich um Haruto zu kümmern und Kaito unter die Arme zu greifen. Das war mehr als genug. Mehr konnte, sollte und durfte sie nicht tun und verlangen. Sie hatte sich damit abgefunden, nicht mehr, als nur eine Freundin zu sein. Falls Kaito sie überhaupt als Freundin ansah. Vielleicht war sie auch nur eine Kollegin für ihn. So oder so...
Sie schüttelte leicht den Kopf, drehte in eine andere Richtung ab.
Plötzlich drang das Geräusch von Polizeisirenen an ihre Ohren und sie folgte diesem. In einigen Metern Entfernung sah sie Polizeihubschrauber über dem Dach des Heartland-Museums fliegen und einen Mann in einem weißen Anzug mit Cowboyhut und Poncho, der auf dem Dach des Museums stand. Unten standen einige Polizisten und Polizeiwagen und sie konnte einen der Polizisten von unten rufen hören, dass der Mann doch mit erhobenen Händen runterkommen sollte und es für ihn absolut sinnlos wäre, sich weiter zu wehren.
Neugierig geworden, glitt Ruri näher auf das Geschehen zu.
„Ich hätte nicht gedacht, dass die Polizisten in Heartland sich wegen einer einzelnen Karte so anstellen.", hörte sie den Mann sagen, als sie näher kam. Das machte sie erst recht hellhörig. Ja, es roch geradezu nach einer Numbers und sie hatte die Hoffnung, endlich mal etwas mehr Erfolg zu erlangen.
Aber so wie jetzt, stand es eher schlecht, auch nur in die Nähe des Mannes zu gelangen.
Die Polizisten aus den Hubschraubern hatten sich zu ihm heruntergeseilt und Ruri blieb nichts anderes übrig, als erst einmal sich zurückzuhalten. Sie wünschte sich so sehr gerade, Orbital bei sich zu haben. Dieser hätte einfach die Zeit verlangsamen können und sie hätte sich den Mann ganz einfach selbst vorknöpfen können, aber so leicht wurde es ihr nicht gemacht. Wenn dieser Kerl eine Numbers gestohlen hatte, würde er es den Polizisten sicher nicht einfach machen.
Sie landete einige Meter weiter entfernt auf dem Dach. Die Polizisten kamen dem Mann mit Schlagstöcken nahe und Ruri sah kurz auf ihren Arm, wo ein Uhrenartiges Gerät leise piepste. Noch eine Erfindung von Kaito, die ihr helfen sollte, Numbers besser aufzuspüren. Sie hatte also den richtigen Riecher gehabt. Sie wollte abwarten, was nun passierte.
Der Mann hob die Karte in seiner Hand hoch und von dieser ging ein grelles Leuchten aus, das auch Ruri blendete.
„Verdammt...", murmelte sie vor sich hin, als sie den Arm vor ihrem Gesicht wieder wegnehmen konnte und der Mann verschwunden war.
Sie erhob sich wieder in die Lüfte, um von dort alles abzusuchen. Weit konnte er nicht sein und nun, wo ihr Radar angeschlagen hatte, würde sie ihn sicher einfach finden.

Hikari lief durch die Straßen. Es war das erste Mal, dass sie um diese Uhrzeit noch alleine draußen war. Aber sie hatte sich vorgenommen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Dass Duell mit Maria und Ryougas Worte hatten ihr neue Kraft gegeben. Den Mut, nicht aufzugeben. Und daran wollte sie sich festhalten. Auch wenn sie bisher noch an keine neuen, passenden Heart Pieces gelangt war, aber sie tat ihr Bestes. Immerhin hatte sie seit diesem Duell dennoch schon ein weiteres bestritten und war guter Dinge.
Sie sah auf, als sie von etwas weiter weg Tumult vernahm und eine riesige Menschenansammlung auf der anderen Straßenseite bemerkte. Neugierig ging sie über die Straße, nachdem sie sich versichert hatte, dass gerade kein Auto in Sicht war, und setzte sich ihren D-Gazer auf.
Ihre geringe Größe von gerade einmal 1,45 Metern, brachte ihr auch den Vorteil, relativ unbemerkt sich zwischen den Menschen hindurch zu schleichen, so dass sie ganz nach vorne gelangen konnte.
„Ich aktiviere den Effekt von Carrier Aero Shark! Los! Air Torpedo!", hörte sie schon eine ihr nur allzu bekannte Stimme rufen, als sie sich gerade noch an einer recht großen Frau vorbeiquetschte. Und dann sah sie ihn auch:
Ryouga in voller Action. Das orangefarbene Mischwesen aus zwei miteinander verbundenen Haien und Wasserflugzeug feuerte einige Torpedos auf Ryougas Gegner ab, dessen Life Points von nur noch 1200 auf 0 fielen. Er landete unsanft auf dem Rücken und von einigen Zuschauern hörte sie erstaunte Rufe, wie: „Von 4000 auf Nichts!" oder „Nicht zu fassen!"
Auch wenn sie fast das komplette Duell verpasst hatte, so musste Hikari doch leicht lächeln. Ryouga war wirklich gut. Sie fürchtete jetzt schon den Tag, an dem er ihr Gegner sein würde. Sollte es je dazu kommen. Aber spätestens dann wäre der World Duel Carnival für sie gelaufen. Das war ihr bewusst. Aber sie würde ihr Bestes geben, wenn es soweit sein sollte. Sie hatte ihr Ziel nie so hochgesteckt, so gut wie er zu werden. In diesem Turnier ging es für sie nur darum, endlich etwas selbstbewusster zu werden.
Ryouga nahm seinen D-Gazer ab und Hikari hörte ihn leise seufzen. Wirklich glücklich über seinen Sieg, wirkte er nicht.
„Shark ist wirklich unglaublich!", hörte sie plötzlich eine Stimme, die sie mittlerweile auch recht gut kannte.
Es war Yuuma, der sich mit seiner Freundin Kotori ebenso an einigen Zuschauern vorbeigequetscht hatte und nun auf Ryouga zu rannte. „Shark!"
Neugierig beobachtete Hikari das Gespräch. Gespannt darauf, wie das Verhältnis der Beiden nach Ryougas damaliger Niederlage nun wohl war. Die gaffende Menge hatte sich mittlerweile wieder zum Großteil aufgelöst, so dass Hikari etwas näher treten konnte.
„Yuuma?"
„Also nimmst du nun doch am WDC teil.", sagte Yuuma gut gelaunt, aber Ryouga wandte sich von ihm ab.
„Ich mach hier nur mit, um eine Sache zu klären.", antwortete dieser. Er schien nicht wirklich darüber reden zu wollen, aber auch Hikari fragte sich immer noch insgeheim, was Ryouga wohl dazu veranlasst hatte, hier teilzunehmen.
„Eine Sache klären?", fragte Yuuma nach.
„Wenn ich mein Ziel erreicht habe, werde ich mich aus diesem Turnier zurückziehen!" Ryouga öffnete seine Augen, die er zuvor noch kurz geschlossen hatte. In seinem Blick lag nicht nur Ernst, sondern auch eine Entschlossenheit, die Hikari fast Angst bereitete.
„Und was wäre das?", hakte Yuuma weiter nach. Ob es so gut war, Ryouga zu löchern?
Aber für Ryouga schien es okay zu sein. Zu Hikaris Verwunderung. Früher hätte er Jedem, der ihn zu sehr genervt hätte, wohl eher eine verpasst, aber er war wirklich ruhiger geworden. Von dem ehemaligen Schulrowdy war nicht mehr viel zu sehen und Hikari musste sich eingestehen, dass sie den neuen ‚Shark' mehr mochte, als den alten, auch wenn sie keine romantischen Gefühle für ihren Klassenkameraden hegte. „Der Typ, gegen den ich damals beim National Championship verloren hab, ist wieder aufgetaucht.", antwortete Ryouga recht ruhig, aber die bloße Erinnerung an das, was damals wohl passiert war, ließ sein Gesicht noch ernster werden.
„Er... IV, er hat mich in seine Falle gelockt!"
Hikari zuckte innerlich zusammen. IV? Den Namen hatte sie schon mal gehört. Und gesehen hatte sie ihn auch. Im Fernsehen zwar nur, aber... Er war ein ziemlich berühmter Profi-Duellant und vor allem für sein charmantes Lächeln bekannt, was vornehmlich weibliche Fans anzog. Sie kannte nicht sämtliche Details, aber nun fügte sich ein Puzzle zusammen. Er war der Duellant gewesen, wegen dem Ryouga von den Championships disqualifiziert worden war. Aber Hikari konnte bis heute sich nicht so recht vorstellen, dass Ryouga wirklich in das Deck seines Gegners gespickt hatte. Nicht freiwillig zumindest... oder etwa doch? Ryouga war vielleicht nicht ganz einfach, früher oft ein gemeines Arschloch gewesen, aber Jemand, der schummelte?
Dieser IV war ihr dagegen nie ganz Geheuer gewesen, wenn sie ihn im Fernsehen gesehen hatte. An diesem Lächeln stimmte etwas nicht. Egal, wie honigsüß es auch war, in den Interviews die er gegeben hatte, sprachen seine Augen etwas anderes: Pure Berechnung. Bösartigkeit. Das war es, was Hikari darin gesehen hatte. Aber das hatte ihr auch gereicht, um sich lieber nicht weiter damit zu beschäftigen.
„Er hat selbst unschuldige Menschen mit reingezogen!", hörte sie Ryouga weiter sagen, was sie aus ihren Gedanken riss.
„IV? Seine Falle?" Yuuma waren die Fragezeichen über dem Kopf deutlich anzusehen.
„Ich werde es ihm heimzahlen!" fuhr Ryouga noch fort und wandte sich zum Gehen. Yuuma, halt dich von mir fern."
„Shark!" Yuuma machte Anstalten, ihm nachzulaufen, aber ließ es erst einmal bleiben. Auch Hikari sah ihm nach.
Fing nur für einen Moment seinen Blick auf, als er sie bemerkte, bevor er schnell weiter ging.
„Kamishiro-kun..."
Nun kannte sie zumindest den Grund für seine Teilnahme.
Rache.
Das unwohle Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich.

Währenddessen wanderte Ruri durch die Straßen. Immer noch auf der Suche, nach dem Mann mit der gestohlenen Numbers, musste sie sich langsam eingestehen, dass sie diesen aus den Augen verloren hatte und auch das Radar nicht mehr ausschlug.
„Wie frustrierend...", grummelte sie vor sich hin, als sie plötzlich eine männliche Stimme vernahm, die sie nur allzu gut kannte.
„PHOTON STREAM OF DESTRUCTION!"
„Kaito!" Sie aktivierte ihr D-Gazer Tattoo, welches in einem knalligen Orange leuchtete und die Iris ihres linken Auges sich von einem violetten Farbton zu einem hellen Grün verfärbte. So schnell sie konnte, rannte sie in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und konnte gerade noch Kaito dabei beobachten, wie er gleich zwei Gegner gleichzeitig ausschaltete.
Mithilfe seiner ‚Photon Hand' entriss er den beiden Gegnern nicht nur ihre Numbers, sondern auch deren Seelen.
Seine Gegner lagen regungslos auf dem Boden und er drehte sich zu Orbital 7 um, der etwas Abseits stand.
„Die Numbers wurden sichergestellt", sagte er zu dem Hilfsroboter, scheinbar ohne Ruri bemerkt zu haben.
Orbital 7 salutierte. „Verstanden!"
Kaito wandte seinen Blick von Orbital ab und sah auf. Wirklich überrascht wirkte er nicht, als er Ruri sah. Vielleicht hatte er ihre Anwesenheit ja doch schon bemerkt.
Ruri wusste es nicht.
„Ruri." Er starrte sie an. Trotz, dass es nur wenige Sekunden waren, kam es ihr vor, als würde sein Blick sie vollständig röntgen.
Dieser stechende Blick brachte ihr Herz wieder zum Klopfen und sie fühlte, dass sie rot wurde und sah lieber zur Seite.
„Verzeihung. Ich hätte einfach weiter gehen sollen.", sagte sie leise.
Kaito schien es jedoch nicht zu stören, dass sie ihn beobachtet hatte. Sie sah ihn aus den Augenwinkeln mit den Schultern zucken.
„Ruri-sama! Hattet Ihr schon Erfolg?", hörte sie Orbital fragen und traute sich kaum, zu ihm zu sehen. Selbst, wenn sie wegsah, konnte sie fühlen, wie Kaito sie mit seinen Augen schier durchbohrte.
Innerlich schluckte sie den Kloß in ihrem Hals runter, der sich unter ihrer zittrigen Aufregung dort gebildet hatte.
„Mir... Ich..." Sie wollte das Wort ‚Missgeschick' nicht vor Kaito und Orbital in den Mund nehmen. „Ich bin an Jemandem dran, aber ich habe ihn aus den Augen verloren.", gestand sie schließlich.
Bitte guck weg. Sieh mich nicht so an. Bitte..., ging es ihr immer wieder durch den Kopf, während sie diesen lieber weiter gesenkt hielt.
„Verstehe.", hörte sie Kaito ruhig sagen. Es war sein üblicher, emotionsloser Tonfall. Sie vernahm seine Schritte, und diese schienen auf sie zuzukommen. Ungewollt kniff sie ihre Augen zusammen, als Kaito plötzlich ihre Schulter berührte und ihr locker auf diese klopfte. „Funktioniert das Radar noch?"
Ruri zuckte auf und sah doch wieder zu ihm. „U-uhm, ja.", sagte sie stammelnd. „Aber dieser Kerl.. Ich weiß nicht, was das für eine Numbers ist, aber irgendwie scheint sie ihm mächtig viel Glück zu bringen. Das Radar bekommt ihn aktuell nicht auf den Schirm."
Kaito schwieg kurz. „Gib nicht auf. Du erwischst ihn sicher noch.", sagte er schließlich. „Wir sehen uns später."
Damit verschwand er in der immer mehr aufkommenden Dunkelheit und Orbital 7 folgte ihm.
Ruri blieb mit knallrotem Gesicht zurück. Diese Geste und Kaitos Worte. Das war schon mehr, als sie je von ihm erwartet hätte.
Sie seufzte leise in die Nacht hinein und lief weiter. Irgendwann musste sie diesen Typen ja wieder finden.
Ihr Weg führte sie durch die schmalen, verlassenen Gassen.
Gerade kriminelle Numbers-Besitzer trieben sich lieber in den Gassen von Heartland herum, als direkt öffentlich auf der Straße.
Sie lief an einem alten, verlassenen Süßwarenladen vorbei, als ihr Radar plötzlich wieder ausschlug.
„Na wurde aber auch Zeit!", sagte sie erleichtert zu sich selbst und rannte in die Richtung des Signals.
Vor sich sah sie ihn schließlich: Einen in weiß gekleideten Mann mit Hut und etwas um den Hals, das in der Dunkelheit der Nacht zunächst tatsächlich an einen Poncho erinnerte.
Der Mann kniete am Boden. Vor ihm lag ein anderer Mann, allem Anschein nach, bewusstlos. Der Mann nahm sich seelenruhig die Karten des Gegners.
„Nun gibt es kein weiteres Entkommen mehr für dich!", sagte Ruri langsam. Ihre Stimme hatte einen eisigen Tonfall angenommen.
Der Mann zuckte auf, drehte seinen Kopf in ihre Richtung und stand langsam auf.
Doch es war nicht der Mann, den Ruri verfolgt hatte. Er hatte ihm lediglich von hinten ähnlich gesehen.
Der augenscheinliche Poncho entpuppte sich als breiter Schal und der Kerl vor ihr trug eine Sonnenbrille und einen Ziegenbart.
„Hoh?" Er neigte seinen Kopf und grinste dreckig. „Was will denn so ein kleines Mädchen von mir?", sagte er langsam, während eine unheilvolle Aura ihn einhüllte.
Auch wenn er nicht ihr eigentliches Ziel war: Der Kerl war definitiv im Besitz einer Numbers!
Ruris Lippen umspielten ein kaltes Lächeln. „Kleines Mädchen? Du weißt wohl nicht, wen du hier vor dir hast."
Der Kerl lachte leise. „Sollte ich Angst haben, Kleine?"
„Ich bin das kalte Licht, dass die Finsternis in den Herzen der Menschen einfriert und zerbricht. Man nennt mich die eiskalte Numbers Huntress." Das Lächeln auf Ruris Lippen wurde noch breiter und noch kälter.
„Numbers Huntress? Noch nie gehört. Aber wenn du scharf, auf eine Abreibung bist, du Gö-"
„Duel Mode. Photon Change!" rief Ruri schon, ohne ihren Gegner noch weiter zu Wort kommen zu lassen.
Ihr D-Gazer Tattoo erschien erneut an ihrem linken Auge und ihre Kleidung, ein kürzerer Mantel, der dem von Kaito recht ähnlich sah, färbte sich in den selben Farben in Weiß, Violett mit goldenen Ornamenten, während sie sich ihre Haare in dem Prozess zu einem Pferdeschwanz band und ihre Duel Disk durch eine spezielle Mechanik an ihrem linken Arm erschien.
„Gestatte mir, deine verdorbene Seele zu jagen und die Dunkelheit aus deinem Herzen zu reißen!"
Der Mann wirkte nun doch etwas eingeschüchtert und trat einige Schritte, zurück, aber es gab kein Entkommen für ihn.
„Hier wird nicht weggelaufen!" Sie streckte ihre rechte Hand aus, woraufhin eine Art Seil aus roter Energie erschien und sich um das rechte Handgelenk ihres Gegners wickelte.
„W-was ist das, du Miststück!?", rief ihr Gegner aufgebracht und versuchte sich loszureißen, während das Seil wieder verschwand, aber er schaffte es nicht.
„Ein Duel Anchor. Er verbindet uns so lange, bis das Duell beendet ist.", antwortete Ruri kühl.
„Tch.." Der Mann biss sich auf die Unterlippe. „Als ob ich mich einschüchtern l-lasse!" Er aktivierte seine Duel Disk und seinen D-Gazer.
„Duel!"

(Duel: Naitou Ruri/ LP: 4000 – Numbers Duelist/ LP: 4000)

"Ich fange an, Kleine! Draw!" Der Mann zog seine 6. Karte und grinste leicht. „Ich beschwöre Scaramallion, Malebranche of the Afterlife (Level: 3 /ATK/ 800 DEF/ 2000) von meiner Hand als Spezialbeschwörung! Scaramallion kann als Spezialbeschwörung von meiner Hand beschworen werden, wenn ich keine Magic- oder Trap Cards kontrolliere!", erklärte er weiterhin grinsend. „Aber das war noch nicht alles! Als nächstes beschwöre ich noch Grabbersnitch, Malebranche of the Afterlife! (Level: 3 /ATK/ 1000 DEF/ 1500) Und nun bilde ich mit diesen beiden Monstern das Overlay Network! Xyz-Beschwörung! Meister der Schatten, geboren aus ewiger Finsternis, zerschneide mit deiner Sense sämtliche Hoffnung und hole den Sieg für mich! Zeige dich Numbers 48: Shadow Lich!" (Rang: 3 /ATK/ 1800 DEF/ 0)
Die dunkle Aura um Ruris Gegner wurde stärker und aus dem Overlay Network Portal stieg ein Monster, dem Sensenmann, wie man ihn sich so vorstellte, nicht unähnlich, mit langer, dunkelroter, zerfetzter Kutte und einer riesigen Sense in der linken Hand, auf der die Nummer 48 blutrot leuchtete.
Der Mann lachte dreckig. „Mal sehen, was du nun vorhast zu unternehmen, Mädchen~ Ich setze noch eine Karte. Turn End."

Innerlich schauderte es Ruri, auch wenn sie äußerlich weiterhin gelassen und kühl blieb. Angst zu zeigen, konnte sie sich nicht leisten. Vor allem nicht vor einem Gegner mit einer Numbers-Karte.
„Mein Turn! Draw!", begann sie, ohne großartig auf das gehässige Gerede ihres Gegners einzugehen und zog nun ihre 6. Karte. Sie warf einen schnellen Blick auf ihr Blatt. Schlecht sah es nicht für sie aus, aber... Sie sah zu dem Monster. Es war nicht super stark, aber wer wusste schon, was der Effekt von dieser Numbers war?
„Ich-„, fing sie an, doch wurde sie recht schnell in ihrem Vorhaben unterbrochen.
„Nicht so voreilig, Kleine~ Ich aktiviere den Effekt von Shadow Lich! Während des Spielzugs meines Gegners kann ich eine Overlay Unit entfernen, um ein Phantom-Token (Typ Unterweltler/FINSTERNIS/Level: 1 /ATK 500/ DEF 500) als Spezialbeschwörung zu beschwören. Und so lange ich ein Phantom Token auf dem Feld habe, kann Shadow Lich nicht angegriffen werden! Zusätzlich werden seine ATK um 500 erhöht und liegen nun bei 2300!"
Ruri blinzelte leicht. Der Effekt war wirklich mies. Aber wie die meisten Duellanten, litt ihr Gegner an ziemlicher Selbstüberschätzung.
Ich kann ihn also nicht angreifen. Und Numbers lassen sich nur durch andere Numbers zerstören... oder aber...
„Dir wird das Grinsen schon noch vergehen.", fuhr Ruri fort. „Als erstes aktiviere ich eine Magic Card: Photon Ice Breaker – Magical Triangle! Wenn ich drei Photon Ice Breaker-Monster mit unterschiedlichem Namen auf der Hand habe, muss ich sie meinem Gegner zeigen und darf dafür eine deiner Karten auf dem Spielfeld zerstören!"
Ruri hielt drei ihrer Monster hoch und zeigte sie ihrem Gegner. „Und ich wähle deine verdeckte Karte!"
Ihr Gegner zuckte auf, als seine verdeckte Karte zerstört wurde, aber grinste dann. „Hoh? Du hast nicht mein Monster gewählt?"
Ruri aber starrte ihn nur ausdruckslos an. „Es ist besser, auf alles vorbereitet zu sein.", sagte sie, aber mehr zu sich selbst. „Als nächstes, wenn die ausgewählte Karte zerstört wurde, darf ich ein Photon Ice Breaker-Monster von meiner Hand spezialbeschwören! Und ich beschwöre Photon Ice Breaker – Strategist (Level: 3 /ATK/ 1600 DEF/ 1600) und aktiviere seinen Effekt! Wenn ich eine Karte von meiner Hand abwerfe, kann ich seinen Level verdoppeln! Und nun mache ich eine weitere Spezialbeschwörung! Wenn ich ein Effektmonster von meiner Hand abwerfe, kann ich ihn hier beschwören: Zeige dich, Photon Ice Breaker - General Radion! (Level: 6 /ATK/ 2100 DEF/ 2300) und nun überlagere ich meine beiden Level 6 Monster und bilde mit ihnen das Overlay Network! Xyz-Beschwörung! Ewiges Eis. Deine Schwingen bringen die Luft zum Klirren, mit deinem eiskalten Atem friere alles ein und leihe mir deine Kraft! Komm und zeige dich: Photon Ice Dragon – Aurion! (Rang: 6 /ATK/ 2300 DEF/ 1400)"
Ein riesiger, weißer Drache, dessen Körper und Flügel mit Eis überzogen waren, stieg aus dem Portal hervor und gab einen furchteinflößenden Schrei von sich.
Ruri merkte, wie ihr Gegner ein paar Schritte nach hinten ging. Sie hatte ihre Beute genau da, wo sie sie haben wollte.
„Ich aktiviere Aurions Effekt! Wenn ich eine Overlay Unit abhänge, kann ich eine Karte auf der Seite meines Gegners einfrieren und deren Effekte annullieren. Und wenn diese Karte ein offenes Monster ist, kann es zusätzlich bis zur nächsten End Phase meines Gegners weder angreifen, noch seine Position ändern! Und ich wähle natürlich Numbers 48! Freezing Breath!"
Aurion erhob sich in die Lüfte, öffnete sein Maul und stieß einen erneuten Schrei aus. Der kalte Atem des Drachens verwandelte das Feld seines Gegners in eine einzige Eislandschaft und eine dicke Eisschicht zog sich über Shadow Lich.
„Was!?" Das Gesicht ihres Gegners wirkte nun gar nicht mehr amüsiert. Sein Hass schien sich nur noch mehr zu verhärten. Der Einfluss seiner Numbers machte sich immer deutlicher bemerkbar. „Dafür wirst du büßen!"
Ruri jedoch blieb kalt und erbarmungslos. Auch wenn sie tief in ihrem Inneren einen bitteren Beigeschmack fühlte. Aber für Haruto musste sie so sein. Nur so war sie eine Hilfe und von nutzen.
„Und nun spiele ich die Magic Card Resurrection of the Dead und hole das Monster zurück, dass ich eben abgehangen habe: Komm zurück, Photon Ice Breaker – General Radion!"
Ruri atmete tief ein. „Und da der Effekt deines Monsters annulliert wurde, fällt sein Angriff auch in den Ursprungszustand zurück! Und nun, Aurion! Greif Shadow Lich an! Photonic Ice Stream!"
Aurion erhob sich erneut und feuerte einen gleißend hellblauen Strahl aus seinem Maul direkt auf Shadow Lich.
Ihr Gegner hielt sich fluchend die Hände vors Gesicht, während seine Life Points auf 3500 sanken.
„Pah! War das schon alles? Eine Numbers kann nur durch eine andere Numbers zerstö-", begann der Duellant, doch schrak im selben Moment auf, als er merkte, dass sein Monster vernichtet worden war. „Wie...!?"
Ruri lächelte. „Es stimmt. Eine Numbers kann nur durch eine andere Numbers zerstört werden. Dies gilt allerdings nur, wenn die Numbers im Besitz all ihrer Effekte ist! Aber da Shadow Lichs Effekte von Aurion eingefroren und annulliert wurden, ist auch dieser Effekt nicht mehr vorhanden!"
„Was!?"
„Und nun greife ich mit Photon Ice Breaker – General Radion direkt an! Ice Sword Slash!", fuhr Ruri nun fort und ihr Monster in Gestalt eines jungen Mannes in blauweißer Robe zog sein Schwert und griff ihren Gegner direkt damit an.
Dieser schlitterte nach hinten und seine Life Points sanken auf nun mehr 1400.
„Ich setze noch eine Karte. Turn End."
Eigentlich hatte Ruri gehofft, sie könnte dieses Duell so schnell, wie möglich, hinter sich bringen. Doch für einen One-Turn-Kill hatte es nicht ausgereicht.
Ihr Gegner erhob sich wankend.

„Das wirst du noch bitter bereuen!", knurrte er. „Mein Turn! Draw!" Er grinste kurz. „Als erstes aktiviere ich selbst die Magic Card Resurrection of the Dead und hole Numbers 48: Shadow Lich zurück auf mein Feld! Dann spiele ich die Magic Card Xyz Unit! Wenn ich ein Monster damit ausrüste, enthält es ATK in Höhe seines Ranges x 200. Der Rang von Shadow Lich beträgt 3, das bedeutet sein Angriff beträgt nun 2400! Und nun greife ich mit Shadow Lich deinen putzigen Drachen an! Shadow Scythe!"
„Dann aktiviere ich meine Trap Card: Lumenize! Wenn ein Monster meines Gegners angreift, kann ich den Angriff negieren und ein Monster mit Licht-Attribut auf meiner Seite des Feldes wählen! Dieses Monster erhält ATK in Höhe des Angriffs deines Monsters und ich wähle natürlich Aurion! Das heißt, seine ATK betragen nun 4700!"
Der Typ zuckte auf. „WAS!? NEIIN!", schrie er, als ihm klar wurde, das er einen Fehler begangen hatte.
Ruris Drache gab einen markerschütternden Schrei von sich und wehrte den Angriff des Monsters mit einem eigenen Angriff brutal ab. Der eisige Strahl aus dem Maul des Drachen fror seinen Gegner ein. Auch wenn die Numbers nicht zerstört werden konnte, so reichte der Fehler ihres Gegners ihre Trap Card nicht zu beachten aus, dass seine Life Points auf 0 fielen. Die Wucht des Angriffs ließ ihn gegen eine Hauswand donnern, an der er herunterrutschte und reglos am Boden liegen blieb.
Die AR-Vision löste sich auf und auch Ruris D-Gazer Tattoo verschwand. Die Farben ihres Mantels kehrten zu ihrem Ursprung zurück und langsam schritt sie auf ihren Gegner zu. „Photon Hand!", murmelte sie dabei und streckte ihren rechten Arm aus, von dem aus eine Hand aus blauer Energie auf ihren Gegner zu schnellte und in dessen Brust griff. Ihr Gegner schrie auf, als seine Seele mitsamt der Numbers ihm auf diese Weise entzogen wurde. Die Nummer 48, die zuvor noch an seinem Hals geleuchtet hatte, verschwand und seine Haare färbten sich weiß, während seine Haut grau und faltig wurde.
Ruri steckte die neue Numbers zu den anderen, die sie bisher gesammelt hatte und nahm sich die Heart Pieces ihres Gegners.
„Numbers sichergestellt.", murmelte sie vor sich hin, während sie sich langsam von dem leblosen Körper entfernte.

Ruri ging zurück, zu den beleuchteten Wegen. Von etwas weiter weg, vernahm sie enormen Krach, welcher danach klang, als hätte man einen Zug gewaltsam angehalten. Doch das alles interessierte sie nicht mehr. Sie fühlte sich leer und ausgelaugt und vor ihren Augen verschwamm für einen Moment ihre Sicht. Wankend hielt sie sich an einer Wand fest, bis sie eine Hand auf ihrer Schulter fühlte.
„Das reicht für heute. Du solltest dich ausruhen." Ruri drehte sich um. „Kaito..."
Kaito jedoch sah sie nicht direkt an. „Wir müssen fit sein, für das Turnier." Er ließ ihre Schulter wieder los. „Zumindest... Ich habe dich nie darum gebeten, mich zu unterstützen. Aber es ist nicht schlecht, zu wissen, dass ich du mir Rückendeckung gibst...", sagte er langsam.
Ruri errötete. War das seine Art ‚Danke' zu sagen?

Unpredictable - UnvorhergesehenWhere stories live. Discover now