Number 1: Mädchenherzen

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Ein Papierkügelchen flog durch die Luft und traf genau sein Ziel: Den Hinterkopf eines kleinen, zierlichen Mädchens mit hell-fliederfarbenen Haaren, die an der linken Seite zum Teil zusammengebunden waren, während der Rest ihm offen bis zur Hüfte hinabfiel. Ein paar rote Haarspangen zierten ebenso die linke Seite des Haarschopfes.
„Ey, Mochizuki! Freust du dich schon auf den World Duel Carnival?", ertönte die schnarrende Stimme eines Jungen, aus dessen Richtung das Kügelchen hergekommen war.
Mochizuki Hikari reagierte nicht auf das dumme Gelächter. Sie starrte nur immer noch völlig verunsichert auf das Heart Piece, welches sie in ihren kleinen Händen hielt. Einige Strähnen ihres weißen Ponys fielen ihr dabei ins Gesicht, welches noch von zwei puscheligen, kinnlangen Strähnen umrahmt wurde.
Ihr winziger Körper bebte unter der Anstrengung, nicht laut loszuweinen, während sich leichte Tränen in ihren hellblauen Augen gebildet hatten.
Ihr Herz hämmerte wie wild gegen ihre Brust und ihr war schwindlig.
Warum um alles in der Welt, hatte man ihr das angetan? Eigentlich kannte sie den Grund.
Weil sie schwach war, sich nicht wehren konnte und ihre Mitschüler es liebten, sie zu ärgern. Sie wussten, dass Hikari ängstlich war, dass sie zurückhaltend und schüchtern war und lieber still alles hinnahm, was man ihr antat. Und sie wussten, dass Hikari sich nicht gerne duellierte. Dass sie regelrecht Angst davor hatte. Und genau deswegen hatte Irgendwer sie einfach, ohne ihre Zustimmung, beim World Duel Carnival angemeldet, der morgen beginnen würde.
Es war nicht so, dass Hikari dass Duellieren an sich hasste. Das nicht. Im Gegenteil, sie sah anderen liebend gerne dabei zu und hatte Spaß daran, auf diese Weise Strategien zu analysieren. Aber selber sich zu duellieren war ihr ein Graus. Sie war sich sicher, dass sie nicht gut war. Eigentlich, so hatte sie überlegt, hätte sie das Heart Piece auch einfach jemandem schenken können. Aber das wollte sie auch nicht.
Sie hatte sich das mit ihrer Schüchternheit eingebrockt und musste die Suppe eben nun ausbaden. Sie gab den anderen keine Schuld. Nur sich selbst. Und immerhin, so dachte sie mit einem traurigen Lächeln, würde sie wahrscheinlich eh nach einem Duell schon raus fliegen und gar nicht erst so weit kommen. Was war schon eine kurze Blamage, wenn sie danach Ruhe hatte?
Die 14-jährige ergab sich einfach ihrem Schicksal, ignorierte weiterhin die dämlichen Fragen und Zurufe ihrer Mitschüler und sah zur Tür, die aufging. Kamishiro Ryouga, von den Meisten nur „Shark", genannt, spazierte mit den Händen in den Hosentaschen wortkarg zu seinem Platz und setzte sich.
Hikari hatte die Gerüchte um ihn gehört. Das er vor ein paar Wochen von Tsukumo Yuuma aus dem ersten Jahr, in einem Duell geschlagen wurde.
Scheinbar mussten diese Gerüchte stimmen, auch wenn Hikari sich das kaum vorstellen konnte. Ryouga war einer der besten Duellanten, die sie hier kannte und hatte bereits an wichtigen Turnieren teilgenommen. Wie konnte er da von einem völligen Amateur besiegt worden sein?
Es war ihr ein Rätsel. Aber sie zweifelte es auch nicht an. Immerhin hatte Ryougas Charakter sich seit seiner scheinbaren Niederlage ein wenig verändert. Er war zwar immer noch ruhig, aber nicht mehr so ein gemeiner Idiot.
Sie erinnerte sich sogar daran, wie er Vortags einen ihrer Stifte im Vorbeigehen aufgehoben hatte, der ihr vom Tisch gerollt war und ihn ihr wieder hingelegt hatte. Ganz kommentarlos war er daraufhin zu seinem Platz gegangen.
Hikari hatte sich nie viel mit Ryouga abgegeben. Er war ihr immer zu rüpelhaft gewesen und hatte ihr oft Angst gemacht, trotz, dass sie nicht umhin kam, sein Talent als Duellant zu bewundern. Aber sein Verhalten, dass er bisher an den Tag gelegt hatte, entschuldigte auch sein Talent nicht oder dass er gut aussah und beliebt bei den Mädchen war. Hikari verstand ihn als schwierigen Menschen, der oft die Schule schwänzte und sich augenscheinlich für etwas Besseres hielt. Aber seit kurzem wirkte er wirklich verändert.
Hikari wandte den Blick von ihrem Mitschüler ab, widmete sich wieder dem Lehrerpult und stand mit ihren Mitschülern auf, als ihr Klassenlehrer den Raum betrat und die spöttischen Fragen fürs Erste ihr Ende fanden.

Leichte Sonnenstrahlen fielen in den Klassenraum der Klasse 3-1 und brachen sich in den Fensterscheiben, so dass man die leichten Staubpartikel gut sichtbar erkennen konnte.
So früh am Morgen war die Sonne schon recht stark und reflektierte in dem Heart Piece, dass Miyano Ayami in ihren Händen hielt. Sie lächelte leicht, aber ihre gute Stimmung war dennoch etwas getrübt, wenn sie auf die Uhr sah.
Es war kurz vor Unterrichtsbeginn und sie war immer noch nicht da. Ayami seufzte laut, als es zur Stunde klingelte und ihre Mathematiklehrerin das Zimmer betrat.
Wie alle anderen stand sie auf und grüßte diese. Schielte dabei zur Tür, als sie sich wieder setzte. Zu spät. Wie immer.
Ihre Lehrerin ging gerade die Namen durch, als die Klassenzimmertür aufgerissen wurde und ein Mädchen, mit blondem Pony und kurzen, Orangefarbenen Rattenschwänzen hereinplatze. „Sorry!"
Ayami verdrehte ihre aquamarinfarbenen Augen.
„Sawashiro! Sie sind mal wieder zu spät. Das ist das zweite Mal in dieser Woche. Ein drittes Mal und ich werde mir eine Strafarbeit für Sie überlegen. Jetzt setzen Sie sich und seien Sie ruhig!", schimpfte die Lehrerin und das Mädchen lief rot an, kratzte sich an der Wange und huschte, so schnell wie möglich, zu seinem Platz neben Ayami.
„Tut mir Leid. Mein Paps wollte noch, dass ich ihm in der Werkstatt helfe und meine Brüder hatten sich den Spaß erlaubt, meine Schulsachen zu verstecken.", flüsterte das Mädchen ihrer Sitznachbarin zu.
„Also das Übliche, Satsuki.", flüsterte Ayami trocken zurück, während ihre Augen sich dem Lehrerpult widmeten.
„Warum so vorwurfsvoll, Ayami-chan?", gab Sawashiro Satsuki schmollend zurück, ehe die Lehrerin sie ein weiteres Mal zur „Ruhe" aufforderte.
Ayami kam nicht drum herum, doch leicht zu grinsen. Satsuki war ihre beste Freundin und sie kannte diese schon seit der Mittelschule. Mittlerweile waren sie im Abschlussjahr an der Oberschule und mehr oder weniger unzertrennlich. So kannte Ayami auch genau Satsukis Macken. Während sie selber eher ruhig, sehr weiblich und höflich war, war Satsuki ein frecher, jungenhafter Wirbelwind und während ihrer Mittelschulzeit sogar Anführerin einer Schläger-Gang von Mädchen gewesen. Diesen fragwürdigen „Posten" hatte sie aber abgelegt, als sie Ayami kennengelernt hatte. Und trotz, dass Ayami und Satsuki wie Wasser und Feuer waren, waren sie ein Herz und eine Seele und stritten sich so gut wie nie.

Nachdem der Unterricht vorbei war und die erste Pause begonnen hatte, stand Satsuki als erstes auf und hockte sich auf Ayamis Pult. Dort schlug sie ihre Beine übereinander und griff beherzt nach dem Heart Piece, dass neben Ayamis Federmappe lag. Ihre bernsteinfarbenen Augen leuchteten. „Du hast also eines bekommen."
Ayami sah zu ihrer besten Freundin und nickte. „War heute Morgen im Briefkasten."
Satsuki grinste breit. „Ich wette, du zeigst den ganzen Kerlen, die da mitmachen, wo es langgeht."
Ayami wischte eine Strähne ihres hellblauen Ponys aus dem Gesicht. Der Rest ihrer Haare war rabenschwarz, am Nacken kurz und wurde nach vorne hin länger, so dass die vorderen Strähnen fast bis zu ihrer Brust reichten.
„Mal sehen. Da werden sicher viele, unglaublich gute Duellanten teilnehmen. Würde mich nicht wundern, wenn da richtige Profis mitmachen und gegen die habe ich wohl nicht so eine Chance. Ich sehe das ganz realistisch, aber das Wichtigste ist doch, dabei zu sein.", antwortete sie.
Satsuki verzog das Gesicht. „Wenn ER dabei ist, hoffe ich, du trittst diesem Penner so richtig in die Klöten, dass ihm sein dummes, falsches Lächeln endlich mal vergeht. Dieser Wi-"
„Geht das schon wieder los?" Ayami seufzte. „Das ist Vergangenheit. Du solltest doch mal langsam darüber hinweg sein." Sie sah ihre beste Freundin ernst an.
„Darüber hinweg sein!? Dieses Arschloch verdient nichts anderes als Schläge, für den Rest seines verdammten Lebens. Dem würde eine Portion seines sogenannten „Fanservice" selber ziemlich gut tun! Blöder Pisser! Wenn ich dem noch einmal über den Weg laufe, trete ich ihm so in den Arsch, dass er mir ohne Mühe die Fußnägel abkauen kann! Ich schwöre..."
Ayami gab es auf, Satsuki von ihren Hasstiraden abzuhalten. Wenn es um ihre erste, große Liebe ging, war es fast unmöglich, Satsuki zu beruhigen. Der junge Mann war ein Duellant, von dem Satsuki einst ein riesiger Fan gewesen war und den sie abgöttisch verehrt und geliebt hatte. Doch die große Liebe war schnell zu ihrem selbsternannten „Staatsfeind Nummer Eins" geworden, nachdem dieser ihr während eines Duells einen äußerst brutalen Korb verpasst hatte, als Satsuki mal die Gelegenheit bekommen hatte, sich auf einem kleinen Turnier mit ihrem Idol zu duellieren.
„Mal was anderes.", unterbrach Ayami ihre Freundin und Satsuki sah wieder zu ihr.
„Ja?"
„Du wolltest ja nicht mitmachen, oder?"
Satsuki nickte. „Nö. Ich hab keine Lust mehr, mich zu duellieren. Dieser Pe-", begann sie wieder, wurde von Ayami aber erneut unterbrochen.
„Wollte es nur noch mal wissen. Dann kannst du mich ja zumindest anfeuern."
Satsuki nickte gleich. „Klaro. Ich hab eh vor, dich auf meine Art zu unterstützen!" Sie grinste wieder und Ayami ahnte bereits, dass Satsuki etwas in Planung hatte.
„Na, da bin ich gespannt. Was solltest du deinem Vater eigentlich helfen?"
Satsuki kratzte sich am Hinterkopf. „Er hatte Probleme mit den Bremsen eines Motorrads. Die hatten eine Macke."
Satsuki Eltern waren geschieden und sie lebte zusammen mit ihren zwei jüngeren Brüdern bei ihrem Vater. Dieser besaß eine kleine Werkstatt in seiner Garage, in der Satsuki immer wieder aushalf. Satsuki mochte auf den ersten Blick nicht so aussehen, aber sie war ein richtiges Genie, wenn es um Technik ging. Sie liebte es, zu basteln und kleine Maschinen zu bauen und hatte auch schon mal auf einem kleinen Technik-Wettbewerb einen Preis gewonnen, der Stolz in der Vitrine ihres Zimmerschrankes stand.
So war es auch nicht verwunderlich, dass Satsuki etwas in diese Richtung später machen wollte.
Ayami selbst, kannte sich nicht so sehr mit Technik aus, interessierte sich aber für andere wissenschaftliche Dinge, so wie für Literatur und Physik. Etwas, was sie von ihrer Mutter geerbt hatte, die vor fünf Jahren einfach verschwunden war. Wohin, wusste Ayami nicht. Aber sie hatte die Hoffnung, es eines Tages heraus zu finden.

Hikari lief durch den Gang des Schulflurs. Gleich hatten sie Sport, woran sie aber fast nie teilnahm. Nicht, weil sie immer schwänzte und keine Lust hatte, sondern weil es ihr ärztlich verboten war.
Hikari litt seit ihrer Geburt an Asthma und hatte noch dazu eine chronische Anämie, durch die sie körperlich sehr eingeschränkt war. Deswegen hasste sie Sport auch. Weil sie meistens nur auf der Bank saß und zusehen durfte. Die einzige Ausnahme, waren die Leichtathletik-Stunden, in denen sie bei ein paar Übungen mitmachen durfte und Schwimmen. Auch wenn sie wahrlich keine gute Schwimmerin war.
„Hikari-chaaaan!"
Hikari sah auf und drehte sich um, als sie die glockenreine Stimme vernahm.
Ein Mädchen, mit brustlangem, an den spitzen leicht gewellten Haaren, welches, bis auf zwei seitliche Strähnen, die goldblond waren, einen weißblonden Farbton besaß, lief auf sie zu.
Einige männliche Schüler drehten sich um und sahen dem Mädchen mit geröteten Wangen nach.
Mit seinen hellen Haaren, der hellen Haut und den großen, himmelblauen Augen wirkte das Mädchen wie ein Engel und nicht von dieser Welt.
„Maria-chan.", stieß Hikari überrascht hervor.
Der Name des Mädchens war Hoshizora Maria und sie war eine Klasse unter Hikari. Genauer gesagt in der Parallelklasse von Yuuma.
Hikari kannte Maria allerdings schon länger, da Maria einige Häuser weiter in einer großen Villa lebte und man sie so gut als Hikaris Nachbarin bezeichnen konnte.
„Wie geht es dir?", fragte Maria höflich. Dass sie erst 13 Jahre alt war, sah man ihr nicht an. Sie wirkte jetzt schon wie eine richtige Lady.
„Ganz okay, nur...", begann Hikari und blickte auf den Boden.
„Nur?" Maria folgte ihr und hängte sich an Hikaris Arm, als diese mit ihr weiter lief.
Hikari seufzte und kramte das Heart Piece aus ihrer Schultasche.
„Ein Heart Piece!?" Marias Augen leuchteten. „Du machst auch mit, beim World Duel Carnival?! Das ist doch toll! Ich hätte nicht gedacht, dass du mitmachst!"
Hikari wurde rot und kratzte sich kurz an der Wange, ehe sie seufzte. „Nicht freiwillig. Jemand hat mich einfach angemeldet..."
Marias strahlen verschwand und sie bedachte Hikari mit einem mitfühlenden Blick. „Wie gemein. Du weißt nicht, wer das war? Du könntest es doch auch sicher zurückgeben oder nicht?"
Hikari schüttelte den Kopf. „Nein. Aber wohl jemand aus meiner Klasse. Schätze, jemand hat sich meine Adresse aus den Unterlagen im Klassenbuch herausgepickt.", antwortete sie. „Ich weiß... aber... Ich muss das dennoch jetzt ausbaden. Immerhin bin ich selber daran schuld. Wenn ich nicht so schüchtern wäre..."
Sie sah zu der Jüngeren auf.
Maria tätschelte ihr beruhigend die Schulter. „Mach dir keinen Kopf. Du packst das schon. Hey, wenn du magst, kann ich nach der Schule ja zu dir kommen und dir helfen, mit deinem Deck. Hab nach der Schule Zeit, der Fecht-Club fällt heute aus."
Hikari sah ihre Nachbarin baff an. „Eh. Zu mir? Wirklich? Uhm klar, danke. Meine Eltern sind eh nicht zu Hause."
Marias Augen leuchteten wieder förmlich. „Danke! Dann helfe ich dir da!"

Dass der World Duel Carnival wirklich vor der Tür stand, war weder zu überhören, noch zu übersehen.
Jeden Tag kamen mittlerweile neue Duellanten und deren Begleitungen aus aller Welt nach Heartland City.
Naitou Ruri, ein Mädchen mit hüftlangen hellgrünen Haaren, die Ihr vorne aber nur bis über die Schultern fielen und einem orangefarbenem Pony, der von einem Haarreif gebändigt wurde, stand angelehnt, an eine Wand und beobachtete mit ihren violetten Augen stillschweigend ihre „Kollegen" Gauche und Droite. Gauche, der die ganzen Bildschirme anstarrte, die Heartland überwachten, war hellauf begeistert und so aufgedreht, wie, als würde er selber an dem Event teilnehmen. Ruri konnte sich zumindest ein minimales Lächeln nicht verkneifen. Droite dagegen wirkte kühl und gefasst, wie immer.
„Ich bin schon richtig aufgeregt!", kam es von Gauche immer wieder. Er wirkte fast wie ein kleines Kind in einem Freizeitpark. Nun, genaugenommen waren sie hier auch in einem.
„Wir können hier nicht so aufgedreht sein, Gauche.", ermahnte Droite ihn in einem kühlen Ton. „Die Mission unseres Komitees ist es, den World Duel Carnival zu überwachen. Wir müssen ruhig bleiben.
Gauche schnaubte und drehte sich zu der jungen Frau um. „Du bist so eine Spaßbremse. Aber was erwarte ich auch? Eine Person, mit so einem kalten Herz, wie du, Droite, hat ja niemals Spaß, nicht wahr?"
„Was?"
Ruri rollte leicht mit den Augen. Warum musste sie hier sein? Sie hatte definitiv wichtigeres zu tun, aber sie wurde ja herbeordert.
„Hört auf, euch zu streiten.", ertönte es neben ihr und Ruri schielte missmutig zu der Sitzfläche, die an einen Thron erinnerte. Dort saß Mr. Heartland, der sie hergerufen hatte. Ruri mochte ihn nicht. Aber sie arbeitete für ihn und hatte ihm gegenüber loyal zu sein.
„Die Vorbereitungen laufen gut und ruhig.", sagte er ruhig und blickte zur Seite, als das Geräusch des hochmodernen Aufzugs erklang.
Ruri blickte sofort zu dem jungen Mann im schwarzen Mantel, dessen blondes Haar, mit den grünen Ponysträhnen durch seine Frisur an eine Zwiebel erinnerte. Neben ihm stand ein kleiner Roboter.
„Kaito.", entkam es ihr fast zeitgleich, mit Mr. Heartland selbst.
Mr. Heartland stand auf und schritt auf ihn zu. „Ich habe bereits auf dich gewartet. Ruri-chan ist auch schon hier."
Kaito bedachte Mr. Heartland mit einem nicht gerade freundlichen Blick. „Um was geht es, dass Sie mich und Ruri hier her zitieren?" fragte dieser. Nur kurz glitt sein Blick auch zu Ruri, die sich langsam von der Wand löste und zu ihm ging.
„Was meinst du mit 'her zitieren'?", fragte Mr. Heartland und streckte dabei seine Arme gestikulierend aus. „Ich will, dass ihr euch diese prachtvolle Szene anseht, bevor der Carnival beginnt." Er streckte einen Arm in Richtung der Bildschirme aus. „So viele Duellanten versammeln sich in Heartland City, dank des World Duel Carnivals."
„Und unter denen werden sicher viele, mit Numbers sein.", unterbrach Ruri Mr. Heartland recht trocken. „Das ist es, worauf Sie hinaus möchten, nicht wahr?"
Heartland sah zu Ruri. „In der Tat. Und es wäre nur sinnvoll, wenn ihr die Numbers an euch reißt und einer von euch dabei den Carnival gewinnt. Wobei ich..." Er blickte zu Kaito. „Bei dir die größten Chancen sehe."
Ruri sagte nichts. Ihr war schon klar, dass Heartland sein vollstes Vertrauen eher in Kaito, als in sie setzte. Damit hatte er im Grunde auch recht. Kaito war stärker als sie und einen Sieg würde sie ihm sowieso gönnen. Von ganzem Herzen sogar...
Das, was sie aber schlimm fand, war einfach die Situation, in der vor allem Kaito steckte, der genauso wenig freiwillig für Heartland arbeitete. Aber es ging um Harutos Gesundheit und...
„...Also werdet bloß nicht übermütig, weil laut meinen Daten, werdet ihr es noch mit sehr harter Konkurrenz zu tun bekommen."
Ruri ballte unbewusst eine Faust, während Kaito nur Heartland schweigend anstarrte.
„Entspannt euch!", mischte sich Gauche ein. „Wenn ihr es nicht schafft, werde ICH eben die Numbers für euch sammeln!"
Kaito gab sich weiterhin unbeeindruckt. „Egal, wer es ist, sie sind alle keine Gegner für mich."
Ruri nickte ihm beipflichtend. „Und ich werde mich auch nicht so einfach schlagen lassen, egal von wem!"
„Ich bin genau wie du, immer zuverlässig, Kaito-sama.", sagte Gauche ein wenig beleidigt und sah zu Ruri. „Oh, das junge Fräulein spuckt ja auch recht große Töne. Gefällt mir." Er versuchte einen Arm um Ruri zu legen, die aber geschickt auswich. „Spar dir dein großes Mundwerk, Gauche und kümmer dich um deinen Job!", sagte sie kühl.
„Jetzt lass es bleiben.", ermahnte Droite Gauche, der kurz schmollend zu ihr sah.
In diesem Moment meldete sich ein Angestellter von Mr. Heartland an einem der Bildschirme.
„Mr. Heartland-sama. Da ist ein Jugendlicher vor dem Haupttor, der sich die Qualifikation zur Teilnahme wünscht."
Ruri sah auf.
„Schickt ihn weg.", sagte Mr. Heartland, doch der Mann am Bildschirm fuhr fort. „Und außerdem... meint er, er geht nicht, ehe er kein Heart Piece bekommen hat. Er ist so ein unvernünftiges Kind."
„Unvernünftig?", fragte Heartland und in diesem Moment zeigte die Übertragung den Jungen, der sich an das Bein eines Mitarbeiters geklammert hatte, während ein dritter Mitarbeiter versuchte, ihn wegzuziehen.
Ruri zuckte leicht auf.
Es war Tsukumo Yuuma.
„Biiiiiiitteeeee! Das ist total wichtig für mich!", hörte sie Yuuma flehen und betteln. „Ich will ein Heart Piece! EIN HEART PIIIIIECE!"
Ruri sah zu Kaito, der auch den Bildschirm anstarrte. Sie wusste, was in ihm vorging.
„Jetzt beeilt euch schon und schickt ihn weg.", sagte Heartland erneut.
„Roger!", kam es fast zeitgleich mit Kaitos: „Wartet!"
Mr. Heartland sah zu ihm.
„Lassen Sie ihn teilnehmen.", sagte Kaito.
Mr. Heartland bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick. „Kennst du ihn etwa?"
Kaito drehte sich weg. „Nein. Aber er könnte auch eine Numbers bei sich haben."
Mr. Heartland grinste schief. „Kaito... Versuchst du etwa, etwas vor mir zu verheimlichen? Ich erinnere mich, an diese seltsame Explosion im Heartland Institut, vor ein paar Tagen."
Ruri zupfte hinter ihrem Rücken an ihren Fingern herum. Sie kannte ja immerhin die Wahrheit hinter der Explosion. Und sie hoffte inständig, Heartland würde dieser nicht weiter auf den Grund gehen.
„Das war nur ein technischer Defekt.", gab Kaito schlicht als Antwort. „So lange ich Numbers sammle, haben Sie eigentlich keinen Grund, sich zu beschweren. Ich bin nicht dazu verpflichtet, Ihnen alles mitzuteilen, was ich tue."
„Ich verstehe." Heartland schien erst einmal genug gehört zu haben. Wahrscheinlich wusste er eh bereits, dass Kaito etwas damit zu tun haben musste.

Kurze Zeit später stand Ruri mit Kaito und Orbital 7 auf dem Rollband, dass sie durch die Gänge fuhr.
„Kaito-sama, Ruri-sama. Ihr habt nicht vor, von dem Vorfall mit Tsukumo Yuuma zu berichten?"
Ruri sagte nichts, aber das brauchte sie auch nicht. Kaito bedachte den Roboter schon mit einem für ihn typischen, vernichtenden Blick. „Ich habe dir befohlen, still zu sein!" Seine eisblauen Augen funkelten kalt.
Orbital zuckte etwas zusammen. „V-Verstanden!"
Ruri hatte etwas Mitleid mit dem Hilfsroboter. Sie mochte Orbital 7 ziemlich gern und Kaito war wirklich oft sehr grob zu ihm.
Eine Weile beobachtete sie Kaito aus den Augenwinkeln heraus. Ob er gerade daran dachte, was neulich passiert war? Vermutlich war es so. Sie errötete leicht, als Kaito ihren Blick für ein paar Sekunden auffing und sah schnell wieder nach vorne. Verfluchte ihr klopfendes Herz, das sie immer begleitete, wenn sie in seiner Nähe war. Eigentlich war da kein Platz für solche Gefühle. Sie hatten einen Auftrag zu erledigen. Immerhin ging es hier um mehr, als nur ein paar Karten.
„Ich werde ihn besiegen."
Ruri zuckte auf. Kaito hatte sie aus ihren Gedanken gerissen.
„Warte. War nicht Tsukumo Yuuma Euer Rivale?", fragte Orbital nach und Ruri wurde bewusst, wen Kaito meinte.
Astral. Dieses Wesen, mit dem er sich duelliert hatte und welches scheinbar in Yuumas Anhänger lebte, in dessen Inneren sich eine eigene Dimension befand.
„Das stimmt nicht.", antwortete Kaito. „Tsukumo Yuuma..."
„Tsukumo Yuuma?", hakte Orbital nach.
„Tsukumo Yuuma ist nicht mehr, als ein Idiot."
Es war hart und simpel ausgedrückt. Und vielleicht hatte Kaito Recht. Vielleicht steckte in diesem Jungen aber auch noch viel mehr, als man bisher sagen konnte, dachte Ruri bei sich.

Tsukumo Yuuma klammerte immer noch an einem Mitarbeiter. Mittlerweile hatte er sich an dessen Oberkörper festgeklammert. Astral schwebte, ungesehen von allen anderen im Hintergrund.
„Ich gehe erst, wenn ich ein Heart Piiiiece habeeee!", jammerte der Junge weiter.
Mizuki Kotori und der Rest seiner Freunde, betrachteten die Szenerie mit wenig Begeisterung und peinlich berührter Verlegenheit. Mittlerweile hatte sich eine große Menschentraube angesammelt, die das Szenario teils neugierig, teils belustigt und teils kopfschüttelnd betrachtete.
Zwischen den ganzen Menschen stand ein Mädchen, mit knapp brustlangen, tomatenroten Haaren, deren Spitzen sich im Übergang in einen Weißton verwandelten. Neugierig blickte die junge Frau mit ihren grünen Augen durch ihre Brille und schlürfte an dem Strohhalm eines Getränkebechers, an dem auch eine kleine Figur in Form eines Magical Girls dran befestigt war.
„Was für ein interessantes Kerlchen.", murmelte sie dabei und schlürfte lautstark weiter.
Der Name des Mädchens war Sakurai Kimiko. Tochter eines großen Firmenbesitzers in Heartland City. Eigentlich hätte Kimiko gar nicht hier sein dürfen, doch sie war es dennoch. Ihre Eltern waren nicht zu Hause und wussten so nichts von den Aktivitäten ihrer Tochter.
Sie verfolgte das Geschehen weiter. Dieser Yuuma war wirklich hartnäckig und entgegen wahrscheinlich aller Erwartungen öffnete sich plötzlich das große Tor, das sich wie ein Schiebepuzzle auseinander zog.
Yuuma und auch die schaulustige Meute staunte nicht schlecht, als Mr. Heartland mit Gauche und Droite an seiner Seite auf einem riesigen, gelben, bunt leuchtenden Herzwagen und mit einigen, Trompete spielenden Müll-Robotern mit Hüten als Vormarsch, angerollt kam.
Yuuma, den es aufs Hinterteil gehauen hatte, saß noch ganz verdattert da, während die Mitarbeiter sich sofort höflichst gerade hinstellten.
„Ist das nicht... Mr. Heartland!?", hörte Kimiko das Mädchen mit den grünen Haaren fragen und sah kurz zu der Mittelschülerin. Dann glitt ihr Blick wieder zu Heartland, der sich von den Leuten feiern ließ und fröhlich winkte, bis...
„Hey, Alter!" Ihr Blick ging wieder zu dem Jungen namens Yuuma und sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während Heartland mitten in seinem Winken stoppte.
„Alter?"
„Mister Heartland-sama für dich!", zischte ein Mitarbeiter Yuuma zu.
„Okay, okay, Heartland.", plapperte Yuuma.
„Mister!", fügte der andere Mitarbeiter bei.
„Alles klar, Mister Heartland!", wiederholte Yuuma wieder.
„SAMA!", fauchte der andere Mitarbeiter laut und Kimiko prustete heftige Blasen über den Strohhalm in ihr Getränk, weil sie fast laut gelacht hätte.
„Hören Sie, Ich hab' die Online-Anmeldung für den Duel Carnival nicht gesehen.", erklärte Yuuma sichtlich verlegen. „Hab die nicht gesehen... weil... ehm... ich sie nicht gesehen hab!"
Eine logische Schlussfolgerung, dachte Kimiko sich und musste sich mittlerweile den Mund zu halten, um wirklich nicht laut zu lachen, weil selbst Heartlands angefressenes Gesicht, unter der Anstrengung, bloß nicht laut zu werden und die Fassung zu verlieren, einfach zum Schießen komisch war.
Er wirkte wie eine Kröte, die eine Fliege lebendig verschluckt hatte.
„... also, was ich sagen will, ich habe nicht auf auf den Link zum registrieren geklickt..."
So langsam schien Heartland seine Fassung zurückzugewinnen und setzte wieder sein väterliches Zahnpastalächeln auf.
„Ich habe schon verstanden. Es braucht nicht mehr gesagt zu werden. Ich kann dein Verlangen mit meinem brennenden Herzen fühlen!", sagte er übertrieben theatralisch und griff nach einem Heart Piece, welches Gauche ihm vorhielt. „Erlaube mir, deine Träume wahr werden zu lassen." Er ließ das goldene Herz mit dem roten Kristallstück in der rechten oberen Ecke in Yuumas Hände fallen.
„Ich habs! Ich hab ein Heart Piece! Er hat mir echt eines gegeben!", rief Yuuma und sprang dabei in die Luft.
Kimiko lächelte leicht, sah aber dann auf ihre Armbanduhr, die ihr ansagte, dass es Zeit für sie war, wieder nach Hause zu gehen. Auch wenn keiner daheim war, ihre Mutter mit Freundinnen nach Italien gereist war, so war es dennoch besser, wieder heimzukehren, in ihr Zimmer. Ihr Vater zumindest, würde heute Abend nach Hause kommen, fürs erste und da war es nicht gut, wenn dieser etwas merken würde.

Nach einer Weile war sie in dem großen Anwesen angekommen, welches sie ihr Zuhause nannte. Im Flur zog sie ihre Schuhe aus und sprintete nach oben in ihr Zimmer, welches sie schnell abschloss, bevor noch das Zimmermädchen herein kam, um nach dem Rechten zu sehen.
Sie stellte ihren Trinkbecher auf ihren Schreibtisch und lief zu ihrem Bett.
Dort zog sie einen Koffer hervor und öffnete diesen. Darin befanden sich ein paar Duel Monsters Karten, die sie vor ihren Eltern versteckt hielt. Trotz des Erfolges von Duel Monsters, hielt ihre Familie nicht viel davon und war der Meinung, dass es wichtigeres gab, als ein Kartenspiel, das doch eher von Kindern gespielt wurde.
Sie konnten den Erfolg von Duel Monsters nicht wirklich nachvollziehen und warum es so beliebt war, dass es sogar Turniere gab. In der Hinsicht schienen sie noch im vorherigen Jahrhundert zu leben.
Auch wenn es Kimiko untersagt war, selbst zu spielen, so durfte sie sich zumindest diese Turniere im Fernsehen ansehen. Kimiko seufzte etwas und nahm etwas plakatartiges aus dem Koffer und entrollte es.
Ihr entgegen blickte das strahlende Lächeln eines europäisch anmutenden, jungen Mannes, in ihrem Alter, in eleganter, Kleidung, die ein wenig an die Kleidung aus dem 17. oder 18. Jahrhundert erinnerte, die britische Adlige getragen hatten.
Seine Augen wirkten wie zwei funkelnde Rubine auf sie und trotz, dass sich eine kreuzförmige Narbe senkrecht über seine rechte Gesichtshälfte zog, tat dies seinem charmanten Aussehen keinen Abbruch. Seine Haare standen hinten ab, einzig die zwei vorderen Strähnen, wovon die linke etwas länger, als die rechte war, waren glatt und nicht so verwegen strubbelig, wie der Rest. Er besaß einen goldblonden Pony, während der Rest seiner Haare den rotvioletten Farbton von Schwarzkirschen innehielt.
„IV-sama..." Kimiko strich kurz über das Poster. „Ich hoffe, ich treffe dich bald wirklich..."

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